Shadow Night: Die Sache mit den Silberlöffeln (Lobelia)

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Lobelia starrte auf die Kiste Silberlöffel auf dem Tisch vor ihrem Sessel. "Für Lobelia. Von Cousin Bilbo." stand darauf. Erst war sie wütend gewesen und wollte sie wieder loswerden, doch Silberlöffel wollte sie nicht einfach weggeben und so stand die Kiste nun seit einigen Tagen einsam auf dem Tisch. Vermutlich würde jeder Hobbit, der sie dort stehen sah, davon ausgehen, dass sie sie so präsentieren wollte. Doch dies war tatsächlich nicht ihre Absicht. Eigentlich hatte sie die Kiste auch zuvor in einer ihrer Truhen verstaut, jedoch saß sie am ersten Abend so lange wach und dachte über diese Kiste nach, bis sie sie wieder hervorholte. Jetzt konnte sie die Kiste wenigstens bei ihren Überlegungen anstarren.
Anfangs war sie so wütend, da sie dachte, Bilbo wolle sie auf den Arm nehmen oder ihr zumindest noch ein letztes Mal eine seiner "subtilen" Botschaften vermitteln. Jedoch begann sie inzwischen zu glauben, dass er es wirklich so gemeint hatte, als er sie ihr gab.
Lobelia hatte in den letzten Tagen häufig über ihren Cousin nachgedacht. Wirklich positiv waren ihre Erinnerungen an ihn nicht, aber sie brachte es auch nicht über sich die Kiste wieder wegzustellen und langsam fand sie Gefallen daran, Abend für Abend allein in ihrem Sessel zu sitzen und diese Kiste mit den Silberlöffeln anzustarren.
Sie war der Meinung, dass sie sich diese Silberlöffel nun auch wirklich verdient hatte, nachdem sie sich jahrelang um sie bemüht hatte.
Lobelia erinnerte sich nur ungern an den Tag, an dem Bilbo von seiner dummen Reise wiedergekehrt war. Immerhin hatten sie und ihr geliebter Mann endlich das Smial und konnten diese hässlichen Möbel und unschönen Spitzendeckchen in der Auktion los werden. Aber natürlich musste Bilbo genau dann auftauchen. Er hatte schon immer ein schlechtes Timing. Was ihr auch noch in Erinnerung geblieben war, war der lächerliche Versuch, der unternommen wurde, um Bilbos Identität festzustellen. Jedoch gab es auch etwas, das sich bei ihr eingebrannt hatte. Etwas, das ihr seid dem nie aus dem Kopf gegangen war. Es war Bilbos Blick.
Der Blick, als man ihn fragte, wer Thorin Eichenschild sei. Und der Blick, den er ihr zuwarf, als er die Tür zu seinem ausgeräumten und verlassenen Smial öffnete. Er war voller Enttäuschung und Trauer und er war so...verloren, wie Lobelia es bei keinem Hobbit zuvor gesehen hatte.
Es war ja auch nicht so, als wäre Bilbo Beutlin normal. Er war schon immer anders gewesen, selbst in der Zeit, in der er sich anzupassen versuchte. Er hatte sich stark verändert über die Jahre. Mehr, als Hobbits es tun würden.
Doch dieser Blick, den behielt er noch für lange Zeit.
Anfangs dachte Lobelia, es lag daran, dass er von seiner Reise enttäuscht war.(Nicht, dass sie da Mitleid mit ihm hätte, immerhin war das seine eigene Schuld. Welcher Hobbit ging schon auf eine Reise?) Doch der Blick verschwand auch nicht, nachdem er sein Smial wieder gefüllt hatte und jegliche Annehmbarkeiten eines Hobbits genoss.
Eines Abends(Sie achtete darauf, dass es niemand aus der Nachbarschaft sah.) ging sie schließlich zu ihm.
Er öffnete die Tür und wollte sie gleich wieder schließen, als er sie erblickte, doch sie hielt dagegen, bis er sie schließlich einließ.
Lobelia war nunmal neugierig. (Jawohl, neugierig. Nicht diese Wörter, die Bilbo gebraucht hatte.) und auch, wenn sie beide sich nicht leiden konnten, waren sie nunmal Familie. Und Familie hatte etwas zu bedeuten. Auch Bilbo wusste das. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb er ihr schließlich antwortete.
Seine Antwort, als sie erneut nach "Thorin Eichenschild" gefragt hatte, war jedoch mehr als entsetzlich gewesen: Er war ein Zwerg. Ein Zwerg! Und das Einzige was Bilbo getan hatte, war zu grinsen und zu sagen: "Und er war nicht der einzige."
Lobelia war fassungslos gegangen und hatte den ganzen Abend, ähnlich wie in diesem Moment, in ihrem Sessel gesessen. Nur, dass sie damals fast gar nichts dachte. Bilbo hatte sie kurz vor ihrem Verlassen des Smials gebeten, dass sie wenigstens "bis morgen wartet, bis alle es wissen". Als ob sie...nun...sie gab zu, sie hätte es wohl durchaus getan. Doch so schwieg sie eisern darüber. Ihr war nämlich auch aufgefallen, dass man sie, als seine Cousine, ebanfalls schräg ansehen würde, würde man erfahren, dass Bilbo Beutlin mit Zwergen verkehrte.
Ja, sie selbst war ehrgeizig und sich durchaus bewusst, dass alle anderen dafür andere Worte gebrauchten, aber sie wusste, dass sie für ihren geliebten Sohn etwas hinterlassen musste. Bilbo war dagegen alles andere als arm und wenn er etwas zu hinterlassen hatte, dann ihnen. (Als er dann Frodo das gesamte Smial hinterlassen hatte, hatte sie sich in der Vorratskammer eingeschlossen und hatte ihre Wut dort verarbeitet. Aber das war etwas anderes.)
Kurzgesagt: Sie hatte sich also keine Sorgen darum gemacht, wie er angeschaut werden würde.
Natürlich hatte sie es jedes Mal gewusst, wenn wieder ein Zwerg bei Bilbo gewesen war, jedoch hatte sie es immer vermieden auf sie zu treffen.
Bis sie eines Nachmittags gegen einen von ihnen lief. Er hatte viele weiße Haare im ganzen Gesicht und seine Augen waren müde, aber nicht unfreundlich. Sein Blick sprach von seinem Alter und seiner Weisheit. Sie war so überrascht von ihrem Aufeinanderprallen, dass sie sprach ohne zu denken: "Seid ihr Thorin Eichenschild?" Und der Ausdruck des Zwerges nahm den gleichen an, wie der, den Bilbo hatte.
"Nein, das bin ich nicht, aber ich habe ihn sehr gut gekannt." Dann blickte er wieder über die Landschaft und schien in Gedanken zu versinken. Lobelia wollte gerade wieder fragen, als er plötzlich sagte: "Ein sehr schöner Ort ist das hier. Beim letzten Mal konnte ich ihn gar nicht richtig sehen, weil es so dunkel war." Lobelia versuchte zu entdecken, ob er unter all den Haaren im Gesicht lächelte, sagte aber nichts. Nachdem es viele Minuten lang Stille gab, ging sie schließlich einfach weiter. Der Zwerg schien weder daran interessiert ihren Namen zu erfahren, noch seinen eigenen preiszugeben. Und das war in Ordnung für sie. Denn sie hatte beschlossen, die Frage nach Thorin Eichenschild und Bilbos Reise nie wieder zu stellen, wenn jeder, der es wusste, diesen Ausdruck hatte.
Jetzt saß sie allein in ihrem Sessel vor der Kiste Silberlöffel. Bilbo war fort und sie wünschte sich, sie hätte doch noch einmal gefragt.

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