Kapitel 31 - Run, Rabbit

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Die Sonne ist untergegangen und die Sterne leuchten heller, als in den letzten neunundsechzig Nächten zuvor. Eine leichte Brise zieht an mir vorbei und weht mir meine Haare ins Gesicht. Ich schaue hinauf in den Himmel, mein Brustkorb hebt sich langsam und schwer. Obwohl es für den Augenblick still um mich herum ist, finde ich keine Ruhe. Die letzten zwei Monate haben ihre Spuren auf mir hinterlassen, doch ein gesenktes Haupt kann ich mir bei Liv nicht erlauben. Es steht zu viel auf dem Spiel, wir haben zu viel zu verlieren. Mit meinem Handy mache ich ein Foto von dem Himmel, doch weiß nicht, wann ich dazu kommen werde jemandem zu zeigen, wie wunderschön die Ungewissheit doch sein kann.

»Könnt ihr mal schneller machen?« rufe ich ungeduldig in das Haus hinein. Blake staunt nicht schlecht und berührt mit ihrer Hand meine Schulter. »Dein Gehör muss sich durch das Training wohl deutlich verschärft haben« Das ich seit längerem Kopfschmerzen habe, die mich Nacht für Nacht wach halten, weil mir alles zu laut ist, verschweige ich ihnen. Das positive überwiegt hier einfach das negative, denn ich bin ständig wachsam. »Denke ich auch« antworte ich ihr dankend. »Was machen wir heute, Blake?« Liv, neugierig und motiviert so wie ich sie zuvor gar nicht kannte, kann den Sonnenuntergang immer kaum erwarten. Sobald es dunkel wird und sich der Nebel legt, sind wir für uns und können unseren Kräften vollends nachgeben. Als Ausgleich dafür, dass unser Erzeuger uns eine Kindheit voller Missbrauch bescherte, sind meine Brüder und ich, sobald es dunkel wurde, immer rennen gegangen. »Heute gehen wir spazieren« und als Blake in ihr überraschtes Gesicht schaut, lächelt sie. »Einfach nur spazieren?« will sie sich vergewissern. Blake schüttelt mit dem Kopf. »Es ist nicht einfach nur spazieren. Mit der übernatürlichen Geschwindigkeit umgehen zu können, sich zu verteidigen und zu kämpfen, dabei aber zu lernen seine Kraft richtig einzusetzen« »Und Gott sei Dank hast du das gelernt« unterbreche ich unsere neue Freundin und Trainerin, was Liv schamlos zum Lachen bringt. »Wie gut dass du heilen kannst« fügt sie scherzhaft hinzu. »Ist das wohl leichteste für uns, wenn man daran denkt, was noch vor uns liegt.« »Dass da wäre?« erkundigt sie sich. »Das Beobachten und Einschätzen von etwas, ist für uns anders als für normale Vampire. Wir können aktiv etwas an der Situation verändern, doch müssen aufpassen, wie wir es tun« »So wie Dana mir meinen Schmerz genommen hat?« »Nein, nicht direkt. Wir können mit der Fantasie und Realität von jemandem spielen. Beispielsweise können wir jemanden den schönsten Augenblick seines Lebens schenken, oder aus einem Albtraum nicht mehr aufwachen lassen. Wir können ihn für einen Moment glauben lassen, er hätte keine Schmerzen mehr, aber ihm nicht wahrhaftig seinen Schmerz nehmen. Ergibt das Sinn für dich?« »Ja und nein« antwortet Liv ehrlich. »Also nur damit ich es richtig verstehe, ich könnte die Fantasie von jemandem zum Leben erwecken, egal wie schön oder schmerzhaft sie ist und so die Realität verblassen lassen?« »Genau!« Froh darüber, dass Liv Blake verstanden hat, nickt sie ihr zu. »Deshalb ist das Beobachten und Einschätzen so unglaublich wichtig für uns. Wir müssen wissen wann, aber noch viel wichtiger, wie wir aufhören können. Denn wenn wir den Moment verpassen, können wir für immer in Himmel oder Hölle stecken bleiben« Irgendwann muss jeder von uns die Wahrheit hören, egal wie schwer es ist. Nach mehr als zwei Monaten haben wir drei uns dazu entschieden, dass Liv bereit ist den nächsten Schritt zu wagen. Sie hat so hart an sich gearbeitet und hat niemals aufgegeben. Ich hoffe nur, dass wir für das, was auf sie zukommen wird, sie genug vorbereitet haben.

Seit nahezu einer Stunde laufen wir hier rum und sind inzwischen ein gutes Stück von unserem Haus entfernt. Hier wimmelt es nur so von kahlen Felsen, die sich in einzelne Felsformationen aufgebrochen haben. »Ich glaube wir sind zu weit gelaufen. Hier in der Nähe wandern Touristen gerne« erkläre ich den beiden. »Aber doch nicht nachts« sagt Blake. »Vorsicht ist besser als Nachsicht, lasst uns lieber in die andere Richtung laufen« Meine Alarmglocken beginnen zu Leuten, mein ganzer Körper spannt sich an. »Zu spät. Hier ist jemand« »Was meinst du?!« »Da, er kommt aus dieser Richtung!« Ich nicke mit dem Kopf dort hin, wo ich den Geruch wahrgenommen habe. Nun nehmen meine Freundinnen die selbe Spur wahr. »Erkennst du den Geruch?!« Doch sie schüttelt mit dem Kopf.
»Fuck. Liv, bleib hinter uns!« befehle ich ihr strenger, als ich es wollte.

Die Ersten unserer Art #DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt