Kapitel 21

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Kapitel 21

„Destination Zero“

Irgendwo im Manoa District, Honolulu, Hawaii

Juni 2012

Leah seufzte auf, als sie die Lichter von Steves Auto um die Ecke biegen sah, blieb aber noch einige Minuten im Schatten der Häuser stehen. Mit geschlossenen Augen lehnte sie ihren Kopf gegen die Mauer und seufzte. Ihr Herz pumpte Blut und Adrenalin durch ihre Adern und ihr Atem kam schwer.

Es tat ihr leid, dass sie Steve einfach so ausgetrickst und ohne Erklärung davongelaufen war. Doch es gab keine andere Möglichkeit. Jetzt nicht mehr. Das, was Steve dazu brachte, Leah nicht im Stich zu lassen, brachte Leah dazu, ihn – im wahrsten Sinne des Wortes – aus der Schusslinie haben zu wollen. Sie wollte ihn und auch die anderen Mitglieder der Five-0 Task Force schützen. Zumindest so lange, bis deren Eingreifen sicher war. Dafür hatte sie gesorgt und betete, dass dieser Plan nicht so gnadenlos schnell den Bach herunter ging, wie es ihr ursprünglicher getan hatte. Und erneut stellte sie sich die Frage, woher Cal es wissen konnte. Denn an einen glücklichen Tipp glaubte sie nicht.

Nein, sie musste unter Beobachtung gestanden haben, seit sie aus dem Krankenhaus entführt beziehungsweise von Five-0 gerettet wurde. Doch wie nur hatten sie es angestellt, sodass selbst Steve nichts bemerkt hatte? Und warum hatte man sie nicht einfach getötet, als die Chance dazu bestand? Es musste wesentlich mehr dahinter stecken, schloss sie. Nur was, zum Teufel?

Sie atmete einige Male tief durch, spürte dabei den stechenden Schmerz, den die Prellungen auf Brust und Rippen auslösten. Dennoch drückte sie sich von der Hauswand ab und überquerte die Straße, nur um in die nächste Seitenstraße einzubiegen. Sie rannte über Hinterhöfe und durch Seitenstraßen, ging dabei in ihrem Kopf immer wieder ihre nächsten Schritte durch und hoffte, dass es klappen würde. So erreichte sie bald die Downtown.

Hier waren die Straßen belebter. Überall tummelten sich Touristen und Einheimische, erfreuten sich am Nachtleben von Honolulu. Die Lichter der Werbetafeln und vorbeirauschenden Autos stürmten auf sie ein und Leah hielt einen Moment inne.

In den beinah zwanzig Jahren hatte sich Vieles verändert und trotzdem erinnerte sie sich daran, wie sie hier mit ihren Eltern, Lesley und Lennard die vielen kleinen Geschäfte durchstöbert hatte; danach waren sie meist an den Strand gegangen, hatten gebadet, Ball gespielt und zum Abschluss Shave Ice gegessen. Für sie waren es die schönsten Erinnerungen an ihre Kindheit und frühe Jugend. Sie seufzte auf und fragte sich zum wohl hunderttausensten Mal, warum es gerade ihre Familie hatte treffen müssen.

Erst allmählich wurde ihr bewusst, dass sie durch ihren Aufzug etliche irritierte Blicke erntete und dankte im Stillen der Eingebung, Marke und Ausweis eingesteckt zu haben. Außerdem war es ein glücklicher Umstand, dass sie nicht vom Dienst suspendiert, sondern lediglich auf Urlaub war.

Sie heftete ihre Marke an ihren Gürtel, versuchte ihre Atmung zu beruhigen, was die Prellungen zunehmend schwieriger machten und lockerte ihre vor Schmerzen verspannte Schulter.

Langsam ging sie weiter, nahm ihre Umgebung in sich auf, um eventuelle Verfolger oder Beschatter ausfindig zu machen. Außerdem wollte sie bei ihrem nächsten Vorhaben so wenig Zuschauer wie möglich haben.

Sie wusste selbst, dass das, was sie als nächstes vorhatte, vermutlich nicht die beste Idee war, allerdings fehlten ihr die Optionen. Um dorthin zu kommen, wohin Cal sie bestellt hatte, brauchte sie definitiv ein Auto. Und um ihren auf die Schnelle konstruierten Plan weiterzuverfolgen, wäre ein Taxi von Vorteil. Außerdem benötigte sie ein Handy, wenn möglich eines der neueren Generation.

In einer Seitenstraße, vor einem kleinen Club oder einer Lounge, fand sie, wonach sie suchte. Sie stieß die Luft aus, vergewisserte sich ein weiteres Mal, dass niemand sie direkt beobachtete und holte ihren Ausweis aus der Hosentasche. So näherte sie sich dem Taxi. Dessen Fahrer lehnte glücklicherweise außen am Wagen, tippte auf seinem Mobiltelefon herum und wartete vermutlich auf seine Fahrgäste.

Leah strafte die Schultern, marschierte festen Schrittes und erhobenen Hauptes auf den schmächtigen Mann zu.

„Sir“, sagte sie, als sie nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war. Der eher nach einem pubertierenden Jungen aussehende Mann sah von dem Gerät in seiner Hand auf, erblickte Leah und seine Augen weiteten sich. Sie trat direkt vor ihn, hielt ihren Ausweis hoch und deutete auf die Marke am Gürtel.

„U.S. Marshal Service. Ich brauche ihr Auto und ihr Handy“, teilte sie ihm mit, was dessen Augen noch größer werden ließ.

„Was? Was? Ich verstehe nicht…“, stammelte den Mann los und Leah drohte der Geduldsfaden zu reißen, da sie soeben einen Blick auf die Uhr des Mannes hatte werfen können. Ihr blieben nur noch zwanzig Minuten der von Cal angesetzten Stunde und so lange würde bereits die Fahrt dauern. Sie atmete einmal tief durch, legte dem Mann eine Hand auf die Schulter

„Bitte Entschuldigen Sie“, teilte sie ihm bedauernd mit und hatte sein Telefon ergriffen, ihn vom Wagen weggeschleudert und war hinter das Steuer gesprungen, bevor dieser überhaupt wusste, wie ihm geschah. Während sie den Motor startete, rief sie aus dem geöffneten Fenster: „HPD wird Ihnen helfen“ und gab Gas.

Gekonnte schlängelte sie sich in hoher Geschwindigkeit durch die anderen Fahrzeuge, beachtete das ihr geltende Hupkonzert nicht und scheute sich auch nicht davor, auf die Gegenfahrbahn auszuweichen, wenn es nicht anders ging. So brachte sie einen gewissen Abstand zwischen sich und den Fahrzeugbesitzer, verringerte dann das Tempo und tippte hastig eine SMS. Als sie den Highway erreichte, drückte sie das Gaspedal erneut durch, war dankbar, dass der Verkehr nun nachließ, da sie die Downtown hinter sich gelassen hatte. Sie raste den Pali Highway entlang, sah immer wieder auf die Uhr im Armaturenbrett und schüttelte innerlich den Kopf.

Sie erreichte die Ausfahrt, doch es lang noch immer die Hälfte der Strecke vor ihr, wovon ein Großteil keine befestigte Straße mehr war. Zehn Minuten, teilte ihr die Uhr mit und Leah bügelte um die nächste Kurve. Verdammt, das würde sie nicht rechtzeitig schaffen.

Endlich lichteten sich die Häuser und die Scheinwerfer des Autos durchbrachen die zunehmende Dunkelheit. In ihrer Unruhe hätte sie beinah die Abbiegung auf den Pfad verpasst, musste nun auch das Tempo drosseln. Der Wagen holperte über den sandigen Weg und Leah folgte den Wegweisern, obwohl sie ganz genau wusste, wo sie hin musste. Der Weg, kaum mehr als ein breiter Trampelpfad, schlängelte sich durch die üppige Vegetation und das schmale Licht der Scheinwerfer ließ keine hohe Geschwindigkeit zu.

Mit nur noch wenigen Minuten, bis ihre Frist verstrichen war, erreichte Leah die einzige Serpentine; und wenn man es nicht wusste, würde man den schmalen Pattweg, der geradeaus weiterführte, komplett übersehen, da er sehr stark von Büschen, Ästen und jeglichem Kraut überwuchert war.

Leah fuhr direkt in die dunkle Pflanzenwand und „parkte“ den Wagen neben dem Trampelpfad, mitten im Geäst und genau vor einem Baum. Als sie die Scheinwerfer ausschaltete, hätte sie sich selbst in den Hintern treten können. Warum zum Teufel hatte sie nicht daran gedacht, eine verdammte Taschenlampe mitzubringen?

Sie stellte das Standlicht an, griff das Handy vom Beifahrersitz und versteckte es in ihrem BH, bevor sie ausstieg und ihre Pistole aus dem Gürtelholster nahm. Sie versicherte sich, dass man das Taxi sehen würde, wenn man die Serpentine erreichte, atmete tief ein und aus und schlug sich in geduckter Haltung hinein in das Dickicht und die vollkommene Dunkelheit.

Kumaka - Die ZeuginWhere stories live. Discover now