|Kapitel 4 - Distanz|

En başından başla
                                    

Kenshin mustert mich aufmerksam, scheint über seine nächsten Worte gut nachzudenken und sie mit Bedacht zu wählen.
»Dein Wille ist stark, Lyra und in deinen Augen brennt ein vernichtendes Feuer, was mir wieder Hoffnung schenkte. Deshalb habe ich dich ausgebildet und zu der Kriegerin geformt, die du seit deiner Geburt werden solltest. Weil du deiner Schwester und mir Hoffnung schenkst.«

Ein bitteres Lächeln umspielt meine Mundwinkel, nachdem Kenshin ausgesprochen hat und sich erneut der Dämmerung zuwendet. Ich tue es ihm gleich und verschränke dabei die Arme vor der Brust.
»Wie soll ich euch Hoffnung schenken, wenn ich sie selbst bereits vor geraumer Zeit verloren habe?« Ich schüttele den Kopf. »Außerdem hilft sie uns nicht weiter, dass weißt du genauso gut wie ich. Du selbst hast mir gelehrt, niemals Hoffnung für etwas zu hegen, was mit hoher Wahrscheinlichkeit niemals eintreffen wird. Wir sind auf uns gestellt. Es gibt keinen Gott oder irgendeine übernatürliche Kraft auf die wir jetzt noch vertrauen können.« Ich sehe ihn lediglich nicken.

»Richtig, Lyra. Dennoch habe ich dir ebenfalls beigebracht, dass insgeheim jeder von uns – und sei es auch nur ein kleiner Funke – Hoffnung hegt. Hoffnung, Liebe oder Schmerz ist das Einzige, was uns zeigt, dass wir noch am Leben sind. Auch du solltest zumindest einem dieser Gefühle einen festen Platz in deinem Leben sichern.«
Ich sehe Kenshin nicht in die Augen, als ich ihm emotionslos antworte: »Der Schmerz begleitet mich schon seitdem ich geboren wurde. Ich weiß, dass ich lebe, wenn ich das Elend auf den Straßen sehe, wenn es mir vor Hunger beinahe den Magen umdreht und ich meine Schwester anblicke. Hoffnung kann ich mir schlichtweg nicht leisten.«

Ich lasse meinen Mentor am Fenster stehen und gehe in die kleine, verdreckte Küche, der Wohnung. Sie zu putzen ist nicht notwendig, da wir sie ohnehin nicht mehr nutzen können. Vor einigen Jahren, als Defacity die Fossilen Brennstoffe noch nicht ausgegangen waren und uns überteuerter Strom zur Verfügung stand, sah das noch anders aus. Meine Mutter pflegte die Küche und stand jeden Tag am Herd, um uns etwas halbwegs nahrhaftes aufzutischen. Doch dann war das Essen stetig knapper, der Strom abgeschaltet und der äußere Sektor sich selbst überlassen worden. Das war vor ...

»Es ist jetzt genau sieben Jahre her, seitdem ich euch beide aufgelesen habe«, erinnert Kenshin mich wieder an jene regenschwere Nacht, in der sich mein ganzes Leben für immer veränderte. Meine Mutter verschwand für immer aus meinem Leben. An meinen Vater kann ich mich nicht mehr erinnern, dafür war ich damals zu jung. Ich kenne nur seinen Namen und weiß, dass meine Mutter ihn kurz vor Skaras Geburt verlassen hat.
Kenshin hat Mutters Platz übernommen. Der Mann, der mich zu der knallharten Kriegerin ausgebildet hat, die ich heute bin. Im Umgang mit meinem Katana-Schwert, welches er mir mit vierzehn Jahren gegeben hat, macht mir jedenfalls keiner mehr etwas vor. Und das verdanke ich alleinig meinem Lehrer mit den asiatischen Wurzeln, der selbst ein Meister der chinesischen Kampfkunst ist. Er hat mir alles beigebracht, was ich heute weiß.

»Sieben Jahre«, murmele ich leise und öffne einen der unteren Küchenschränke, der ein Besorgnis erregendes Qietschen von sich gibt. Der Wasserkanister darin, ist nur noch zu einem Viertel gefüllt und wird dementsprechend nicht mehr lange reichen. Hoffentlich regnet es bald wieder, ansonsten muss ich mir dringend etwas überlegen.
»Bereits damals wusste ich, dass du die nötige Willenskraft besitzt, um zu überleben. Ich war mir sicher, dass du stark sein würdest und meinen Trainingseinheiten stand halten würdest«, erklärt er mir ernst, was ich mit einem müden Lächeln abtue.

»Ich habe die ersten Wochen jeden Abend geweint, konnte mich teilweise vor Schmerz kaum bewegen und habe jeden dritten Tag mit dem Gedanken gespielt aufzugeben. Ich war alles andere als stark.« Kritisch betrachte ich den Inhalt, meiner halbvoll gefüllten Tasse. Das Wasser schmeckt bereits abgestanden und ist durchsetzt von verschiedenen Partikeln, dessen Ursprung ich lieber nicht wissen möchte. Es ist ohnehin ein Wunder, dass mein Körper nicht schon längst Krank und von Parasiten durchsetzt ist. Immerhin gibt es keinen Strom um zu Kochen und Feuer ist verboten, da der aufsteigende Rauch die Echos anstachelt. Wird man erwischt wird man verprügelt und anschließend zu den menschenfressenden Kraturen geworfen.
Um mich davon abzulenken blicke ich zurück zu Kenshin, dessen Gesichtszüge den Ansatz eines Lächelns zeigen. Mehr Gefühlsregung werde ich wohl nie zu sehen bekommen.

»Du warst stark, Lyra. Stärker, als alle Menschen, die vorher von mir unterrichtet werden wollten. Denn eins unterscheidet dich von ihnen: Du hast zwar daran gedacht, hast aber im Gegensatz zu ihnen, schlussendlich nicht aufgegeben.« Ich zucke die Achseln und fokussiere die beiden Schwertgriffe, die man über seinen Schultern erkennen kann. So viel ich weiß, ist Kenshin der Einzige, der beidhändig mit zwei Jian kämpfen kann. Bereits eines dieser chinesischen Schwerter zu führen, benötigt höchste Konzentration und Präzision. Zwei in den Händen zu halten, grenzt an Wahnsinn.

»Das ist nicht mein Verdienst. Ich habe nicht aufgegeben, weil ich es einfach nicht konnte. Skara hatte schon immer Vorrang. Ich musste lernen sie zu beschützen und dabei konntest nur du mir helfen. Aufgeben kam nicht in Frage.« Kenshin streicht sich abwesend einige Haarsträhnen aus der Stirn und lehnt die Tasse Wasser ab, die ich ihm wie schon so oft anbiete.
»Es gibst nicht mehr viele Menschen, die so denken, wie du. Der Großteil der Bewohner von Defacity würde selbst die eigene Familie ins Feuer stoßen, um zu überleben. Auch, wenn die Chance vernichtend gering sein sollte.«

»Das Virus lässt sich nicht aufhalten. Früher oder später schafft es eine der Kraturen die Mauer zu überwinden. Wir sterben alle irgendwann. Was nützt es mir also heute meine eigene Haut zu retten, indem ich meine Schwester ausliefere, wenn ich morgen ebenso tot sein könnte? Ich würde mir nur Zeit erkaufen«, bemerke ich kalt, da meine Ansichten keinesfalls so heldenhaft und uneigennützig sind, wie Kenshin es empfindet. Ich habe meiner Mutter schlichtweg das Versprechen gegeben, für meine Schwester zu sorgen und ihr Leben zu schützen. Hätte sie mir dieses Versprechen nicht abgerungen, ich wüsste nicht, ob wir heute noch leben würden. Vermutlich hätte ich aufgegeben.

Kenshin sagt kein Wort und Stille kehrt ein. Ich lege den Kopf in den Nacken und betrachte die nackte Glühbirne über meinem Kopf, die schon seit Jahren nicht mehr leuchtet. Sie würde ohnehin kein Licht mehr spenden, da sie von einer braunen Schicht aus Staub und Dreck überzogen ist, so wie alles in dieser Stadt.

»Was hast du da?« Verwirrt blicke ich zu dem schwarzhaarigen Mann, der nach meiner Hand greift und mir das vergilbte Bild darin entwendet. Ich habe nicht einmal bemerkt, dass ich es noch immer in der Hand halte.
»Ich muss es heute Nachmittag irgendjemanden aus der Tasche gezogen haben. Leider kann ich dir nicht sagen, wem. So wichtig dürfte es seinem Besitzer allerdings nicht gewesen sein. Man erkennt sowieso nichts mehr darauf.« Ich zucke die Achseln und betrachte meinen Lehrmeister, der das kleine Stückchen Papier einen Ticken zu intensiv und zu lange mustert. Hat er vielleicht etwas darauf erkennen können? Kennt er womöglich sogar den Besitzer?

»Mmm«, brummt er nachdenklich, was von einem überraschten Aufblitzen in seinen dunklen Augen begleitet wird. Doch es verschwindet so schnell, dass ich glaube, es mir nur eingebildet zu haben. »Man erkennt wirklich nicht mehr viel darauf. Trotzdem kommt es mir so vor, als hätte ich es irgendwo schon einmal gesehen.« Er zuckt mit den Schultern und blickt zurück ins Wohnzimmer, das bereits in der Dämmerung liegt. Wir wissen beide, was das bedeutet.

»Ich hole mein Schwert und den Dolch«, erkläre ich schnell und mache mich für die kommenden Stunden bereit.
»Lyra, achte auf dein Erscheinungsbild und deine Manieren. Dieses Mal genügt es nicht, nur den simpelsten Auftrag zu bekommen. Ihr braucht ordentliches Essen, kein verschimmeltes Brot.«
»Ich weiß«, knurre ich verärgert und fahre mit den Händen durch mein glattes Haar, um es schließlich zu einem Zopf zu binden. Mir gefällt nicht, worauf das hinauslaufen wird. »Wir müssen ihn überzeugen uns wieder los zuschicken, sonst verhungert Skara noch. In den einzelnen Distrikten gibt es kaum noch etwas, was ich erbeuten kann und die frische Lieferung kommt erst nächste Woche.« Die Abstände werden immer größer, da das Angebot immer knapper wird. Wir wissen es beide, doch keiner von uns spricht es aus.

»Komm. Wir sollten heute pünktlich sein«, erklärt Kenshin ruhig und schwingt sich aus dem Fenster. Ich folge kurz darauf und Sekunden später stehe ich neben ihm auf dem Dach des Wohnhauses. Ich blicke nach unten auf die Straße, wo eine Gruppe gleich gekleideter und schwer bewaffneter Männer unterwegs ist.
»Die Patroullien wurden verstärkt. Am besten wir nehmen den Eingang am südlichen Stadtrand.«
Mein Mentor nickt ernst, dann setzt er sich in Bewegung, springt und landet sicher auf dem nächsten Hausdach.
Mit zusammengebissenen Zähnen folge ich ihm in eine lange und gefährliche Nacht.

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