Kapitel 21

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Nachdem Damien seinem kleinen Bruder verspricht, beim nächsten Einkauf mehr Milch anzufordern, zieht sich Sebastian wieder im Gästezimmer zurück.

"Ich werde Rosa gleich mal eine Nachricht schicken, dass sie dich morgen abholen soll.", kündigt Damien an und zückt nach seinem Smartphone.

"Sebastian hat mich vorhin eine Öko-Tante genannt, weil ich ihm gesagt habe, dass ich so ein Teil nicht besitze." Ich forme mit meinen Lippen eine schmale Linie und erhebe meine Augenbrauen. Damien beißt sich auf seine Unterlippe, um das Schmunzeln zu verbergen, aber ich hab ihn bereits dabei ertappt und muss selbst grinsen. Doch dann wird mir etwas bewusst; sollte Damiens Familie von meiner Vergangenheit erfahren? Sollte Sebastian wissen, dass ich von der Straße komme und Damien mir vor einem halben Jahr das Leben gerettet hatte? Sollte seine Mutter wissen, dass die dunkelrote Decke, die ich an jenem Tag als Regenschutz nutzte, mich durch die Nächte gebracht hat, ohne zu erfrieren? Ich weiß es nicht. Wenn man es genauer nimmt, hat Damien bereits zugegeben, dass seine Eltern sich wenig um ihre Kinder gekümmert haben, zumindest seiner Mutter sollte es egal sein, wenn ich mich als obdachlos oute.

Aber Sebastian würde das Ganze sicherlich sehr nahe gehen. Ich weiß, dass ihm Kyra viel bedeutet hatte, sonst hätte er wegen ihr nicht die anderen Studenten auf seiner Uni zusammengeschlagen. Mr. Hamilton bin ich nur zwei Mal über den Weg gelaufen und beide Male hat  er einen sehr schlechten Eindruck bei mir hinterlassen. Jedoch weiß ich, dass es das Schlimmste für ihn wäre, zu erfahren, dass sein Sohn mit einer Obdachlosen zusammen ist. Diese Gefahr für das Familien-Image wäre definitiv kein Anlass zur Feier in seinen Augen.

Ich entschließe mich, das Thema erst einmal aufzuschieben. Wahrscheinlich wäre es besser, mich auf Damien zu konzentrieren. Ich sollte ihn besser kennenlernen, anstatt mir Gedanken über seine Familie zu machen. "Also, erzähl mir mehr über die Benefizveranstaltung.", hake ich nach, als ich sehe, dass Damien sein Handy auf den Tresen legt und der Bildschirm von alleine aus geht.

 Er zieht sich das graue Jackett aus und löst die Manschettenknöpfe, für die ich mich heute morgen für ihn entschieden hatte. "Die Planung einer Benefizveranstaltung schwebt mir schon lange im Kopf herum." gibt er zu und lässt sich auf dem Barhocker neben mir nieder. "Du weißt, ich rede immer davon, dass ich Kyra nicht helfen konnte und wie schuldig ich mich für alles fühle. Ich weiß, du weißt, dass ich mich nie vollkommen von dieser Schuld befreien kann, egal wie oft ich dir oder anderen das Leben retten würde... Aber ich weiß, dass ich es mit guten Taten zumindest vorübergehend besänftigen könnte." Ich greife nach seiner Hand, die er nervös über seinen eigenen Oberschenkel auf und ab streicht. Damiens Augen blicken hinab zu unseren Händen und auf den Lippen erkenne ich ein kleines Lächeln. "Besonders nachdem du mir damals die Verhältnisse, in denen du und viele anderen Menschen aufwachsen und Leben müssen, deutlich gemacht hast, wurde mir klar, dass jede Hilfe zählt." Man Herz macht einen unerwarteten Satz. Wie konnte ich nur damals denken, dass unter dem Jackett, dem feinen Hemd, den perfekt Sitzenden Haaren und dem eisigen Blick kein Herz stecken würde... Es ist unbegreiflich, wie sehr man sich täuschen kann. "Die Spenden werden von Hamilton & Sons Inc für den Bau einer Obdachlosenunterkunft hier in London gesammelt.

"Eine Unterkunft für Obdachlose?" Ich kann mich nur wenig an das Obdachlosenheim erinnern, in welches meine Mutter uns brachte. Es ist, als wäre diese Zeit nie gewesen. "Das hört sich toll an." Auch wenn ich seit Jahren in keinem Heim mehr war, finde ich die Idee von Damien wunderschön. Vorsichtig gebe ich ihm einen Kuss auf die Wange.

Dann leuchtet sein Smartphone, gefolgt von eine Vibration, auf.

Super. Ich freue mich, mit Birdie shoppen zu gehen. , lese ich.

"Rosa hat geschrieben, dass-"

"Ich hab's gelesen.", grinse ich und Damien schaut mich überrascht an. In seine Augen erkenne ich die Bewunderung, die er für mich ausstrahlt und ich spüre, wie mein Herschlag sich verdreifacht.

"Na dann, sei morgen um zehn fertig. Ich habe Rosa außerdem geschrieben, ob sie dir für morgen noch ein mal etwas zum Anziehen leihen könnte." Das Handy landet wieder auf dem alten Platz und Damien dreht seinen Barhocker zu mir.

"Danke.", hauche ich und nehme einen tiefen Atemzug.

"Was hältst du von einem Bad?" Bei seiner Frage beginnt meine Haut an zu prickeln. Ein Bad könnte tatsächlich ganz angenehm sein.

"Aber nur, wenn du mir Rosenblätter hinzugibst.", scherze ich und muss an Rosa denken.

Doch Damien runzelt nur die Stirn. "Wer hat gesagt, dass du alleine baden gehen würdest?", schmunzelt Damien frech. Mir stockt der Atem. Das wäre nicht das erste Mal, dass wir gemeinsam Baden würden. Ich erinnere mich nur zu gut an den Tag, wo ich Damien meinen mit Narben versehten Körper präsentiert hatte. Es ist ein halbes Jahr her und ich bin erst seit wenigen Tagen wieder bei ihm im Apartment. Mein Körper hat sich verändert. Ich würde sogar sagen, er ist wieder ganz der alte, bevor dieser gutaussehende, liebenswürdige aber egoistische Anzugträger in mein Leben getreten war. Damit will ich nicht sagen, dass ich nicht gerne eine Badewanne mit ihm teilen würde, es ist nur schwer für mich, mein miserables Spiegelbild zu betrachten, wenn ich weiß, dass ich für lange Zeit zu wenig Essen, Trinken und Schlaf bekommen habe.

Ich sehe dann nicht mich im Spiegel, sondern nur das, was noch von mir übrig ist.


The Rain Upon Us (Damien & Birdie - Trilogie #2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt