Kapitel 08 ❀ la fête d'anniversaire

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ALIÉNOR

Der Ball zu dem Geburtstag des Kaisers von Frankreich war im vollen Gange, als Rafael und ich uns zwischen den festlich gekleideten Damen und Herren hindurch schlängelten. Schon seit einigen Minuten hielten wir uns an dem prunkvoll geschmückten Buffet auf und diskutieren, welche Speisen wir zuerst und zuletzt probieren sollten.

Der ganze Saal war mit hellblauen Tulpen geschmückt worden und hinter den Fenster tanzten Schneeflocken durch die eiskalte Nacht.
Die Stimmung war für Versailler Verhältnisse ausgesprochen ausgelassen. Jedermann tanzte ausgiebig zu der wundervollen Musik, die selbstverständlich extra für diesen Abend komponiert worden war. Selbst Florentina und Charles waren nach einigen Gläschen bereits in Richtung ihrer Gästezimmer verschwunden.

„Möchtest du noch etwas von den Hirschfilets? Meiner Meinung nach sehen diese sehr lecker aus – findest du nicht?", sprach ich den Spanier an und schnappte mir die Silbergabel, die in dem besagten Tier steckte.

„Ich weiß nicht recht", meinte er verlegen und kratzte sich am Hinterkopf. „Ist mir das überhaupt erlaubt?"

Etwas überrascht blickte ich ihn von der Seite an. Rafael und ich, die beide leidenschaftliche Esser waren, hatten das halbe Buffet bereits auf unsere zierlichen Teller befördert. Bei den exquisiteren Speisen schien er jedoch unsicher zu werden.

„Hab keine Angst", entgegnete ich aufmunternd und reichte ihm die Silbergabel. „Ich bin mir sicher, dass der Kaiser das nicht so eng sieht. Der Held des Tages darf selbstverständlich auch von diesem Teil dieses Buffets etwas kosten!"

Anscheinend schien ich ihn durch diese Bezeichnung überzeugt zu haben. Schmunzelnd nahm er das Besteck entgegen und sich ein Filet. Darauf begaben wir uns zurück zu den Tischen.
Dabei vergaß ich glatt, dass ich normalerweise einen Platz bei der kaiserlichen Familie zugewiesen bekommen hatte.

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Während wir aßen, vernahm ich nahezu die ganze Zeit lang ein eigenartiges Gefühl, das Rafael umgab. Er schien etwas in sich gekehrt, gar leicht verängstigt zu sein.

Unsere letzten Gespräche hatten sehr lange angedauert.
Ich hatte über sein Leben während der letzten Monate erfahren – von seiner Angst vor einer Verfolgung und seinem Aufenthalt bei seiner Familie. Bis Weihnachten hatte er einschließlich bei seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester verbracht, ehe er die Lage als sicher identifiziert hatte, um endlich nach Frankreich zurückzukehren.

Die Grenze war für ihn nämlich ein unsicheres Milieu gewesen. Ihm war klar gewesen, dass man ihn in dem Umkreis möglicherweise suchte, nachdem man seine Leiche nicht mehr in irgendeinem Heuhaufen gefunden hatte.

Er hatte von einem ruhigeren Leben in Ostspanien, wo er beheimatet war, erzählt. Seine Eltern waren fürsorglich gewesen, und er hatte ihnen bei der Ernte im Herbst geholfen. Jedoch war er auch mit den traurigen Lebensverhältnissen der Bevölkerung konfrontiert worden, die um einiges schlechter waren als im ausgeglichenen Land der Franzosen.

Im Großen und Ganzen war es ihm also gut gegangen. Wahrscheinlich aber war er an den Hof nicht mehr gewöhnt... – ich konnte aber feststellen, das meine Gegenwart ihn keineswegs verunsicherte.
Es war für uns beide nun so, als seien wir nie getrennt gewesen. Und ich konnte es kaum fassen, ihn an meiner Seite – und natürlich am Leben – zu wissen.

PRINCESS OF TULIPS  ᵗᵉⁱˡ ᶻʷᵉⁱWhere stories live. Discover now