Kapitel 05 ❀ maigre

1.2K 106 77
                                    


MARIE BRIENNE

„Ich weiß nicht, wie Ihr das seht, Majestät, aber ich bin der Meinung, dass wir nach der Renovierung der kaiserlichen Appartements ebenso die Kapelle auf jeden Fall ausbauen sollten", schlug Madame Marie-Thérèse vor, als wir uns am nächsten Nachmittag zum Tee in ihrem Salon versammelt hatten.

Erwartungsvoll sah sie zu ihrem Sohn.
„Wie steht Ihr dazu, Majestät?"

„Wie bitte?" Louis-Antoine sah von seinem Küchlein auf und blinzelte müde. Innerlich seufzte ich auf. Seine Abneigung gegenüber seiner Mutter konnte man klar an seiner Stimmlage feststellen. Nichts davon hörte sich in meinen Ohren nach einem respektvollen Verhalten an. „Verzeiht mir aufrichtig, Mutter. Ich habe nicht zugehört."

Die Madame verzog ihren Mund zu einem schmalen Strich. Dann stellte sie ihre Frage erneut. Louis-Antoines Antwort war mehr als enttäuschend: „Ich weiß nicht."

Vorsichtig sah ich auf, um in die Runde zu blicken. Der Rest der Gesellschaft war still. Selbst Aliénor und unsere Schwägerin Florentina waren verstummt. Wie sonst auch hatte sich unser lockerer Kaffeeklatsch in ein Verhör verwandelt.
Seitdem ich hier lebte, musste ich mich damit zurechtfinden und mein Leben an das des Hofstaates anpassen.

Die Verlobte des Mannes zu sein, der zu den mächtigsten Männern Europas gehörte, war zwar nach wie vor eine anstrengende Herausforderung, doch würde ich keineswegs aufgeben. Louis-Antoines Herz würde ich hingegen wohl niemals gewinnen, doch versuchte ich stets, den Respekt meiner Tante zu erlangen. Sie war wahrlich eine Kaiserin wie sie seien sollte. Voller Stolz und Präzision.

Jedoch fragte ich mich, was ihn dazu veranlasste, mir so kalt entgegenzukommen. War ich ihm zu hässlich, zu dick oder zu nervig? Was es auch war, ich empfand es trotz alledem als Schmach.
Hoffentlich würde die Heirat bald folgen. So würden wir für immer aneinander gebunden sein. Durch unseren katholischen Glauben war es unmöglich für uns, uns zu trennen.

„Nun gut", fügte Tante Marie-Thérèse hinzu, ehe sie ihr kritisches Lächeln aufsetzte und begann das Thema zu wechseln. Nachdem ich einen Schluck von meinem Tee genommen hatte, zog sich das Gespräch noch etwas in die Länge.

━━

Einige Zeit später hatte ich mit Aliénor zusammen den Salon verlassen, um erneut in den schier unendlichen Gängen des Schlosses spazieren zu gehen.
Zwar hatte meine kleine, freiheitsliebende Schwester draußen den Spaziergang hatte ausführen gewollt, doch war mir dies strengstens untersagt. Ich könnte mich erkälten oder – noch schlimmer – eine Lungenentzündung bekommen.

Es herrschte eine natürliche Stille zwischen uns, die im Gegensatz zu der Szene am Tisch aber nicht unangenehm war.

Aliénor schien seit heute Morgen etwas melancholisch zu sein. Trotz ihrer guten Laune erkannte ich es an ihren Augen, da diesen ab und zu ihr Glanz wich. Theoretisch hätte ich nachfragen können, was sie so bedrückte war, aber weshalb? Abgesehen davon, dass Aliénor wie schon bei meiner Verlobungsfeier im letzten Sommer erneut auf Mitleid aus zu sein schien, war es sicherlich nichts weltbewegendes.

„Du, Brienne?", zerbrach ihre leise Stimme die Stille.

„Ja?" Ich sah zu ihr hinunter, um festzustellen, dass sie sich leicht auf die Unterlippe gebissen hatte. „Du hast deine Waffel eben nicht angerührt", bemerkte sie ungeniert.

PRINCESS OF TULIPS  ᵗᵉⁱˡ ᶻʷᵉⁱWo Geschichten leben. Entdecke jetzt