Kapitel 1

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Sie tanzten im Licht des Mondes. Und wie sie tanzten. Diese Anmut, diese Beweglichkeit.

Ursprünglich hatte sie sich nur auf den Schrottplatz getraut, weil sie dachte, dort zwischen den alten Fässern einen Katzenschwanz verschwinden zu sehen.

Sie war jetzt schon seit fast drei Wochen in der Stadt ohne eine Freundin gefunden zu haben. In ihrer Straße schien es keine anderen Katzen zu geben, im ganzen Block nicht. Zumindest keine, die sie näher als 50 Schritte zu sich kommen ließ. Alle waren sie geflüchtet, kaum hatten sie sie gesehen.

Also war sie nachts unterwegs wo sie niemandem begegnete und wo niemand vor ihr weg laufen konnte. London war so eine große Stadt und doch hatte sie sich noch nie so einsam gefühlt.

Schon mehrmals hatte sie den Schrottplatz von der anderen Seite der Straße aus gesehen. Aber hinein getraut hatte sie sich nie. Die alten rostigen Autoteile am Eingang ragten wie schaurige Wächter in den Himmel und sahen gerade nachts furchterregend aus. Und wer weiß, was sich dort für Gesindel herum treibt. Greybound hatte in seinem Leben genug Erfahrungen mit Straßenkötern gemacht um zu wissen, dass man sie besser meiden sollte.

Doch es war ganz sicher ein Katzenschwanz gewesen, den sie dort etwas entfernt vom Eingang um die Ecke verschwinden sah. Greybound sah, wie alle Katzen, trotz der Dunkelheit sehr gut und konnte selbst in tiefster Nacht einen Katzenschwanz von einem Hundeschwanz unterscheiden.

Also war sie unter dem Zaun durchgeschlüpft um dem Katzenschwanz zu folgen. Was sich sehr schnell als große Dummheit herausgestellt hatte, denn sie hatte nicht nur den Katzenschwanz oder die dazugehörige Katze nicht mehr gesehen, sondern sich auch noch heillos auf dem Schrottplatz verlaufen. Stundenlang, so kam es ihr vor, irrte sie zwischen rostigen Fahrrädern und Containern, alten Dosen und Rohren herum, immer auf der Hut vor anderen Lebewesen. Sie drückte sich in jeden dunklen Schatten und schlich lautlos zwischen dem Müll herum. All die alten Dinge warfen gespenstische Schatten und überall um sie herum raschelte es.

Und dann hatte sie die Musik gehört. Erst nur ganz leise wie ein Säuseln im Wind. Doch als sie langsam näher schlich, hörte sie wunderschöne Melodien und immer wieder sang eine klare hohe Stimme dazu. Es war als zöge die Melodie Greybound magisch an und sie vergas ihre Vorsicht und Angst und schlich weiter in Richtung des Ursprungs der schönen Melodie. Sie erklomm eine alte Waschmaschine und eine kaputte Mikrowelle, sprang dann auf einen großen Container und bahnte sich von dort aus ihren Weg durch noch mehr Gerümpel zu dessen Kante.

Und dann sah sie sie. Anmutig tanzten sie auf dem frei geräumten Platz zwischen all dem Gerümpel. Es waren bestimmt 20 Katzen unterschiedlichster Größe und Fellfarbe. Sie alle tanzten synchron zur Musik. Schnell drehten sie sich im Kreis, sprangen umher und bewegten ihre Arme zur Musik. Von ihrem Platz oben auf dem Container konnte Greybound erkennen, wie sie immer wieder ihre Formation änderten ohne dabei jedoch jemals zusammen zu stoßen oder aufzuhören zu tanzen.

Greybound konnte ihre Augen nicht von dem wunderschönen Spektakel unter ihr abwenden. Sie wusste nicht, wie lange sie dort saß und den Katzen beim Tanzen zusah. Sie schienen nicht müde zu werden oder sich ausruhen zu müssen. Immer wieder wie auf einen unsichtbaren Befehl hin zogen sich die Katzen etwas zurück und eine oder zwei von ihnen tanzten ein Solo oder Duett. Nach einer Weile schlossen sich die anderen Katzen ihnen wieder an und sie tanzten wieder zusammen bevor der nächsten Katze die Bühne überlassen wurde.

Dann, mitten in einem Solo, drang plötzlich eine laute Polizeisirene an ihre Ohren. Die Katzen erstarrten und fuhren herum, hielten Ausschau nach dem Ursprung des Lärms. Auch Greybound oben auf dem Container war wie aus einem Traum erwacht und hatte instinktiv den Kopf eingezogen. Auch sie sah sich um, konnte jedoch nirgendwo das blaue Leuchten einer näher kommenden Polizeistreife ausmachen. Dafür sah sie wie der Himmel sich hinter dem Schrottplatz langsam rosa färbte. Ohne dass sie es gemerkt hatte, war es Morgen geworden.

Als sie wieder hinunter sah zu den tanzenden Katzen sah sie gerade noch die letzten von ihnen zwischen all dem Müll verschwinden. Irgendetwas sagte ihr, dass sie nicht noch einmal wieder kommen würden.

Die Polizeisirene verstummte und Greybound stand langsam auf und streckte sich. Von all dem Herumsitzen waren ihre Muskeln ganz steif geworden.

Noch einmal sah sie herunter zu der nun leeren Fläche zwischen all dem Müll um sie sich gut einzuprägen. Dann wandte sie sich um und folgte den anderen Katzen zum Ausgang des Schrottplatzes, der ihr jetzt gar nicht mehr so gespenstisch vorkam.

Cats - aus dem Leben einer Jellicle CatWhere stories live. Discover now