Siebenundzwanzig

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Siebenundzwanzig

"Hey Brook, ich habe dir Sushi mitgebracht, magst du was?" fragte Cotten, als sie nach Hause kam. Nach Hause. In James und Brooks Apartment. Cotten schläft schon seit einiger Zeit mit ihr im Apartment, weil sie Brook nicht alleine lassen möchte. Ihre Zimmergenossin Jennet deckt sie und lässt nicht zu, dass herauskommt wie Cotten bei jemandem schläft und nicht im Wohnheim aufkreuzt. Jennet weiß ebenso von Brooks Verlust und steht ihr gerne bei, wenn sie etwas braucht.

"Danke, ich habe schon gegessen." antwortete Brook. Cotten betrachtete ihr beste Freundin skeptisch, als würde sie es nicht glauben. Dabei ist es nicht einmal gelogen. Brook hat, nachdem sie ihre Post sortiert hat, etwas gegessen. Zwar war es sehr wenig, doch sie hatte etwas runterbekommen, auch wenn sie anfangs nicht wollte. Es war immer so gewesen, dass James sie erinnern musste etwas zu Trinken oder ihr etwas zu Essen machte, wenn sie nicht daran dachte. Daran musste sie sich gewöhnen. Sie saß noch immer an den gehäuften Briefumschlägen, die sie die letzte Zeit über nicht beachtet hatte. Nun waren es schon über zwanzig Briefe, die sie lesen und verstehen musste. Darunter ein Brief von ihren Eltern.

"Meine Eltern wollen, dass ich sie zu Weihnachten besuche." sagte sie, als Cotten sich zu ihr setzte. Sie sah auf den Brief in ihren Händen und nahm ihn zögernd entgegen. Dann las sie ihn ebenfalls durch. Als sie den Brief durchgelesen hatte, sah sie Brook von der Seite an und Brook fühlte sich mehr als unwohl. Sie bildete sich wieder ein zu zittern. Ihr lief ein Schauer über den Rücken, als sie Cottens Stimme wahrnahm. "Mit James." sagte diese.

Brook nickte wie in Trance. "Genau" hauchte sie. Ihre Eltern, mit denen sie so wenig Kontakt hatte. Die Personen, die James so verachteten, wollten ihn nun endlich kennenlernen. Und Brook war mehr als traurig, dass dieser Zeitpunkt jetzt kommt. Erst jetzt, wo es zu spät ist. Dieser Zeitpunkt hätte schon viel eher kommen sollen. Wo es noch nicht zu spät war. Wo sie noch die Gelegenheit hatten, ihn überhaupt kennenzulernen.

"Sie werden ihn niemals kennenlernen" sagte sie leise. Denn es war die Wahrheit. Es war eine Tatsache, dass sie zu spät ankommen, um ihn kennenzulernen und zu akzeptieren. Sie war so wütend auf ihre Eltern. Brook fühlte sich viel schlimmer, als damals, wo ihre Eltern zu ihr sagten, was sie von ihrem Freund halten würden. Jetzt fühlte sie sich viel schlimmer. Sie war sauer. "Was für Heuchler." sagte sie wütend.

"Hey, sag das nicht. Ich bin mir sicher, dass sie sich gefreut hätten. Du musst es ihnen irgendwie mitteilen-" Brook funkelte sie an. "Vergiss es! Ich sage denen einen Dreck. Die können sich auf Weihnachten ohne mich freuen, so wie jedes Jahr." sagte sie. Sie wollte nichts mit solchen Eltern zu tun haben. Sie waren verdammt nochmal zu spät. James ist weg. Er ist nicht mehr da. Er kann sie nicht mehr kennenlernen.

"Ok, beruhig dich." sagte Cotten und strich über Brooks Schulter. "Du weißt aber, dass deine Eltern nichts dafür können?" fragend sah sie zu Brook, die frustriert und fast verzweifelt die Augen schloss. Sie weiß, dass ihre Eltern nichts darfür können, dass James tot ist. Sie weiß auch, dass Cotten es bloß nicht ausspricht aber es für besser hält, wenn Brook dennoch zu ihren Eltern fährt. Ihr ist bewusst, dass sie mit ihr Familie dennoch reden sollte. Auch wenn sie James dafür nicht kennenlernen würden.

Brook nickte und seufzte. "In Ordnung, also isst du dein Sushi nicht?" fragte Cotten und wechselte das Thema. Zögernd vergingen die Gedanken an ihre Eltern und sie sperrte sie in ihrem Hintergedanken ein. Sie schüttelte zur Antwort den Kopf. "Rita hat nach dir gefragt, weißt du? Sie sagt, dass du jederzeit zu ihr kommen kannst. Sie vermisst euch" Cotten atmete nach ihrem Satz einmal durch, weil sie selber den Fehler im Satz bemerkte. Sie sah Brook abwartend an.

Brook aber sagte nichts mehr. Euch. Es ist nachvollziehbar, dass Rita ihre Stammkunden vermisst, doch Cotten selber ist aufgefallen, dass sie nicht James und Brook vermissen kann. Denn einer von ihnen ist für immer weg. Brook kann immer wieder ins Ventris gehen und Rita besuchen. James hingegen setzt keinen Fuß mehr dort rein. Er ist weg. Rita wird ihn nicht mehr sehen können.

Später als sie und Cotten auf der Couch saßen und irgendwelche Langweiligen Sender durchforsten, bricht alles wieder auf Brook ein, was sie schon nahe an die Tränen treibt. Sie denkt an die Nachricht, die ihr James hinterlassen hat. Sie denkt an die ganzen Tänze, die so leidenschaftlich endeten. Sie dachte an den ersten Tag ohne ihn am College und an die ganzen Kleider im Kleiderschrank, die er nicht mehr anziehen wird. Er wird auch nie wieder mir ihr tanzen oder reden. Sie wollte ihren Kopf etwas frei kriegen und sagte Cotten, dass sie für zehn Minuten etwas raus gehen würde.

"Es ist zehn Uhr Abends Brook." sagte diese. Doch Brook ließ sich nichts ausreden. Sie machte sich auf den Weg in den Flur, sah die Schuhe, die er nicht mehr tragen würde und auch die Jacken die dort hangen. "Soll ich mitkommen?" fragte Cotten vorsichtig, die ihr hinterher kam. Brook sah noch die Jacken an, dreht sich jedoch langsam um und sieht ihre beste Freundin mit glänzenden Augen an. "Nein, bleib du hier." sagte sie und umarmte sie kurz und innig, bevor sie raus ging.

Sie gelang nach ihrem Fußmarsch vor das Ventris und sah durch die Scheiben hinein. Es war voll, aber nicht so voll wie eine Kneipe mitten in New York.. Cotten hatte ihre Schicht vorhin beendet und jetzt lief keine Live Musik mehr, doch Musik wurde dennoch gespielt, so dass wenige Leute tanzten. Brook drängelte sich durch die Menge und gelang an den Tresen, wo sie sofort Rita erhaschte, die von Seite zu Seite huschte. Sie bemerkte Brook nicht sofort. Erst sah sie über sie hinweg, doch dann drehte sie den Kopf wieder in ihre Richtung und riss ihre Augen auf.

Und der Abend endete damit, dass Rita sie bediente und nebenbei sie immer wieder unterhielt und aufheiterte. Als es spät in der Nacht war und der Laden sich leerte, weil Feierabend war, da schickte sie ihren Kollegen Daniel nach Hause und setzte sich zu Brook, um mit ihr zu reden. Und es war gut zu reden. Es tat gut. Rita hatte kein Therapie Fachwissen, doch das brauchte sie auch nicht. Sie hörte Brook einfach zu. Und so kam es, dass sie nicht nur vom Brief ihrer Eltern erzählte. Sie erzählte alles. Vom stürmischen Tag, wo sie ihr Vorstellungsgespräch hatte, bis hin zum Brief, den sie von ihren Eltern erhalten hatte. Sie weinte dabei sehr. Besonders als sie von seiner letzten Nachricht erzählte. Und Rita konnte sich selbst nicht zurückhalten, als sie anfing ihre tiefsten Gedanken in den Momenten zu offenbaren, die davon handelten, dass sie angst hatte vor dem Alleine leben. Allein ohne James.

Lass uns unter dem Sternenhimmel tanzenWhere stories live. Discover now