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Ein grelles Licht drang durch meine geschlossenen Augenlieder. Ich hob meine Hand um das Licht zu verdecken und öffnete meine Augen langsam. Alles um mich herum war in einem sterilen weiß gehalten. Nun bemerkte ich das Bett, welches nach Krankenhaus roch und die unbequeme Matratze auf welcher ich lag.

„Oh mein Gott du bist wach!"

Eine hohe Stimme erfüllte den Raum. Ich spürte wie mich jemand in seinen Arm riss und Tränen auf meinen Nacken tropften. Langes blondes Haar fiel in mein überraschtes Gesicht und ein bekannter Geruch stieg mir in die Nase. Nach einer gefühlten Ewigkeit löste sich Marie von mir und schaute mich an. Ihre Augen waren rot und aufgequollen.

„Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht! Geh nie wieder ohne mich einkaufen!" schimpfte sie, brach nach dem letzten Satz jedoch wieder in Tränen aus. Völlig überrumpelt betrachtete ich meine Freundin, die mitgenommen aussah. Sie war immer noch eine Schönheit, doch die letzten Tage schien eine Qual für sie gewesen zu sein.

„Was..? Marie mir geht's gut", versuchte ich sie zu beruhigen, erntete für diese Aussage jedoch nur einen bösen Blick, der daraufhin sofort von Tränen zunichte gemacht wurde. Eine Tür wurde geöffnet und ein älterer Herr im weißen Kittel betrat das kalte Krankenhauszimmer.

„Guten Tag Frau Meyer." Die tiefe Stimme des Mannes unterbrach Maries Schluchzen. Er schloss die Tür hinter sich und trat zu mir ans Bett. Marie hatte sich von mir gelöst und auf einen Stuhl in der Ecke gesetzt, von dem aus sie mich mit Tränen betrachtete.

„Mein Name ist Heesen. Ich bin der Oberarzt dieser Klink." Er lächelte freundlich und hielt mir seine Hand hin.

„Guten Tag", sagte ich etwas schüchtern und schüttelte dem Oberarzt die Hand, die unwesentlich größer war als meine.

„Ich würde ihnen gerne ein paar Fragen stellen, falls sie sich in der Lage dazu fühlen." Er warf einen Blick zu Marie, die uns beide neugierig beobachtete.

„Unter vier Augen."

Ich nickte stumm und sah, wie Marie sich erhob und rasch das Zimmer verließ. In meinem Kopf fing gerade alles an zu arbeiten. Die vergangenen Tage und die Realität dieser wurden mir bewusst, sodass ich plötzlich einen Stich in meinem Herz spürte.

Sie waren weg.

Alle beide.

Und sie hatten mich zurückgelassen. Ich hörte wie die Tür ins Schloss fiel und mein Blick wanderte zu dem Arzt der mich immer noch freundlich anschaute.

„Wissen Sie Frau Meyer.."

„Sie können mich Franziska nennen", fuhr ich ihm dazwischen, was er mit einem Lächeln begrüßte.

„Also Franziska, bei der Übergabe haben die Sanitäter bemerkt, dass du viele Hematome am Körper hast. Und als sie dich gefragt haben woher diese stammen, sollst du angeblich gesagt haben, dass dein Vater dir dies zugefügt hat. Stimmt das?"

Ohne eine Miene zu verziehen blickte ich in das Gesicht des Mannes, der mich neugierig und leicht besorgt musterte. Sollte ich meinen Vater verraten? Doch kaum hatte ich mir diese Frage gestellt, liefen Bilder meiner Vergangenheit vor meinem inneren Auge ab. Wie ein Film, führten sie mir jede schreckliche Situation meines Lebens vor Augen.

Ich wollte es hm heimzahlen, dessen war ich mir sicher.

„Ja er hat mich geschlagen. Seit ich ein Kind bin und früher hat er mich missbraucht."

Meine Stimme war kalt und gefühllos, denn ich hatte meine Gefühle ausgeschaltet. Hätte ich dies nicht getan wäre ich in Tränen ausgebrochen. Die Miene des Arztes veränderte sich kein bisschen, er atmete einmal tief durch und legte mir die Hand auf die Schulter.

„Dir ist klar, dass dein Vater ins Gefängnis kommen kann, wenn du so was sagst?"

„Meine Mutter ist weggegangen als ich ein kleines Kind war und das nur wegen dieses Mannes den Sie alle als meinen Vater bezeichnen. Aber er ist nicht mein Vater. Er ist ein Schwein."

Ich sprach die Worte wie Dreck aus und verzog mein Gesicht angewidert. Der Mann öffnete seinen Mund um etwas zu sagen, wurde jedoch unterbrochen, als jemand die Tür aufriss und mit einer Krankenschwester laut am diskutieren war.

„Sie können da nicht rein!", piepste die kleine Frau aufgebracht den dürren, grauhaarigen Herren an.

„Ich muss mit dieser Frau aber reden!", tat er den Vortrag der Dame ab und gesellte sich zu dem Arzt. Er und ich schauten den Mann irritiert an und hörten nebenbei, die Entschuldigungen der Krankenschwester. Mit einer eleganten Handbewegung deutete Herr Heesen der Frau zu gehen und dass alles in Ordnung sein.

„Schönen guten Tag. Kann ich etwas für sie tun?", fragte der Arzt den Mann, der mir die Hand hinhielt.

„Guten Tag. Mein Name ist Johannis Bauer. Ich bin bei der Polizei und kümmere mich um die beiden Verbrechern, von denen sie entführt worden sind Frau Meyer."

Er schüttelte enthusiastisch erst meine und dann die Hand des Arztes.

„Herr Bauer ich weiß nicht, ob Frau Meyer schon in der Lage ist ihre Fragen zu beantworten", teilte Herr Heesen dem Polizisten mit der nun einen geschäftlichen Blick aufsetzte.

„Wir haben keine Zeit zu warten. Jede Kleinigkeit, könnte dazu verhelfen die beiden Verbrecher zu schnappen."

Der Polizist schaute mich erwartungsvoll an und zückte einen Notizblock und einen alten Kulli.

„Also Frau Meyer, wenn Sie mir bitte den Ablauf der Entführung und jedes Ereignis darin schildern würden..?", fragte er höflich jedoch bestimmend.

Ich schaute die beiden Herren vor mir fraglos an. Was sollte ich ihnen erzählen?

Das ich meinen Entführer geküsst hatte und mit ihnen gelacht habe?

Das ich sie mochte und sie freundlich zu mir waren?

Das alles was in den Zeitungen stand Humbug und Lüge für mich war?

Das sie mir mein Lebensgefühl wiedergegeben hatten?

Das sie mich vor dem Selbstmord bewahrt hatten?

Das ich die kalten braunen Augen nicht vergessen konnte, weil ich wusste, dass hinter ihnen Liebe lag?

Ich erinnerte mich an das Gefühl von seinen Finger auf meiner Haut, an das Versprechen, dass ich ihm gegeben hatte und dann erinnerte ich mich plötzlich an die Wut von Ben. Was hatte ich getan? Wieso war er sauer geworden? Das Bild eines Engels tauchte vor meinem Auge auf. Nils hatte mich als Engel bezeichnet. Er war betrunken gewesen und dennoch war ich mir sicher, dass er es ernst gemeint hatte.

Oder hatten sie mich verarscht?

War ich nur das Mittel zum Zweck?

Ging ich ihnen am Ende auf die Nerven?

Tausend weiterer solcher Fragen schwirrten in meinem Kopf und ließen meine Augen feucht werden. Tränen rollten über meine Wange und tropften von meinem Kinn auf die Decke. Ich gab ein Schluchzen von mir und krallte meine Finger in die Decke. Um nicht laut zu schreien bis ich mir auf die Lippe.

Zu sehr schmerzten die Erinnerungen.

Durch die Tränen sah ich die enttäuschte Miene des Polizisten und die wütende Maske des Arztes. Die Tür wurde aufgerissen und Marie stürmte herein und riss mich in ihre Arme.

„Sind Sie alle eigentlich Vollidioten?! Raus hier sofort! Oder ich werde Handgreiflich und es ist mir scheiß Egal ob die ein Polizist oder Arzt sind!"

Ihre aufgebrachte Stimme riss die Stille auseinander und die beiden Männer erhoben sich sofort und stürmten aus dem Zimmer. Sobald sie was sagen wollten, blickte Marie sie böse an und drückte mich enger an sich. Ich krallte meine Hände in ihre Sachen und versuchte das Gefühl des Auseinanderfallens zu verdrängen.

„Alles wird gut meine Kleine", flüsterte sie mir ins Ohr und wiegte mich hin und her, wie ein kleines Kind. Ich betete darum, dass sie Recht hatte. Doch derzeit schien meine Welt zu zerbrechen.

Und ich konnte nichts dagegen tun.



Entführt - Gerettet aus der HölleWhere stories live. Discover now