Meine persönliche Hölle

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„Schau mal, die haben wieder eine Bank ausgeraubt."

   Mein Blick wanderte zu dem großen blonden Mädchen, das neben mir herging. Ihr Haar wehte leicht in der Sommerbrise und auf ihrem perfekten Gesicht spiegelte sich Anerkennung wieder. In aller Ruhe griff ich nach der Zeitung, die sie mir unter die Nase hielt und betrachtete die Titelseite.

„Erneuter Raub der Men in Black!", lautete der Titel.

Mein Blick wanderte über Seite und blieb bei einem Foto hängen, das zwei junge Männer abbildete, die in schwarzen Klamotten arrogant in eine Kamera lächelten. Ich fuhr mir mit meiner Hand durch mein braunes langes Haar und reichte die Zeitung wieder Marie.

„Hammer oder? Und die beiden sehen so heiß aus."

„Und nebenbei rauben sie Banken aus und erpressen Menschen. Ja, ich kann deine Begeisterung vollkommen verstehen."

„ Mensch Franzi, darum geht's doch gar nicht. Es geht allein um das Aussehen und was das angeht sind beide echte Leckerbissen."

Marie fuhr mit ihrer Zunge über ihre Lippen und begann wild mit dem Foto der beiden meistgesuchten Verbrecher Deutschlands zu flirten. Genervt drückte ich den Ampelknopf und wartete sehnsüchtig auf das grüne Männchen. Ich wollte nach einem endlosen Tag Schule einfach nur nach Hause und ins Bett.

„Hast du heute Abend was vor?"

Ich schüttelte den Kopf wischte mir den Schweiß von der Stirn. Die heiße Sommersonne knallte auf den Asphalt und verwandelte die Innenstadt in einen Ofen.

„Was hältst du davon, wenn wir zusammen schwimmen gehen?"

„Du weißt genau, dass ich schwimmen hasse."

„Komm schon Franzi, nur dieses eine Mal!", bettelte Marie und machte sich so klein es ging mit einer Größe von eins achtzig.

„Nein." Bevor Marie etwas sagen konnte wurde die Ampel grün und die Menschenmasse setzte sich in Bewegung.

„Du bist doch gemein", stellte sich fest und trottete mit hängenden Schultern neben mir her.

„Ein anderes Mal gehe ich mit dir Schwimmen." Versprach ich zum hundertsten Mal, doch ich wusste, dass es Marie heute nicht genügen würde.

„Willst du mir echt erzählen, dass du bei so einem Wetter nicht schwimmen gehen willst?!" Sie machte eine kleine Handbewegung nach oben und deutete auf den strahlend blauen Himmel.

„Ich will nicht okay?!" Ich beschleunigte meine Schritte und versuchte Marie auf ihren zehn Zentimeter Absätzen abzuhängen.

„Jetzt warte doch mal." Ich hörte das Klacken ihrer Absätze und stöhnte auf, als sie mich erreichte. Sie hatte einfach viel längere und schönere Beine als ich.

„Marie, können wir die Diskussion für heute lassen? Geh doch einfach mit Svenja schwimmen. Die wollte heute sowieso ins Freibad."

Wütend drehte ich mich zu ihr um und schaute in ihre XXL- Sonnenbrille, hinter der, wie ich wusste, wunderschöne blaue Augen versteckt waren. Mit ihren perfekten Fingernägeln nahm sie die Sonnenbrille ab und durchbohrte mich mit ihren blauen Augen.

„Okay, aber das nächste Mal kommst du mit."

Ich nickte stumm und so setzten wir uns wieder in Bewegung. Den restlichen Weg schwiegen wir und keuchten von der Hitze die sich in den Straßen sammelte. Ich betrachtete die Gärten an denen wir vorbei kamen und sah, dass die meisten Pflanzen ihre Blätter hingen ließen. Die Hitze war dieses Jahr einfach unerträglich und das schlimmste daran war, dass diese Hitze vor den Sommerferien herrschte, sodass man bis nachmittags in der Schule saß.

„Tschüss Marie."

Ich umarmte sie nur kurz, damit mir nicht noch wärmer wurde und betrat unseren kleinen Vorgarten. Mein Blick streifte durch die Gegend und ich suchte nach dem Auto meines Vaters, doch es war nirgends zu sehen.

Erleichtert atmete ich auf und holte den Hausschlüssel, der viel zu neu war für das verrostete Schloss, aus meiner Tasche, die ich mir locker umgehängt hatte. In aller Ruhe öffnete ich die Haustür und trat in meine persönliche Hölle. Ich horchte und betete, dass ich alleine war. So leise wie möglich schloss ich die Haustür und verdrängte den widerlichen Alkohol Geruch, der in der Luft hing. Ich schlüpfte auf meinen Ballerinas und stellte sie zu den anderen Schuhen, die rücksichtslos in eine Ecke geschmissen worden waren. Barfuß machte ich mich auf den Weg in die Küche und der Holzboden fühlte sich angenehm kühl an im Gegensatz zu den draußen herrschenden Temperaturen.

Die Küche war vollgestellt mit Flaschen und dreckiges Geschirr lag in der Spüle um das Fliegen kreisten. Vorsichtig betrat ich die Küche und achtete auf den Boden um in keine Scherben zu treten. Ich sammelte die leeren Flaschen zusammen und verstaute sie unter der Spüle. Dann begann ich die Flaschen auszukippen in denen noch etwas drin war und spülte sie eilig aus, wobei mir jedes Mal von dem starken Alkohol Geruch schlecht wurde. Als ich die Küche von den Flaschen befreit hatte, entdeckte ich einen Zettel, der unter einer Flasche gelegen hatte und deswegen ebenfalls nach Alkohol stank und zerknittert war.

Brauchen noch Essen

Angst stieg in meinem Magen auf. Wenn mein Vater heute Abend nach Hause kommen würde und kein Essen fertig war ,würde es wieder passiert. Schnell nahm ich eine alte Baumwolltasche und schnappte mein Portemonnaie aus meiner Schultasche, als ich die Tür hörte. Automatisch schloss ich meine Augen und atmete tief durch. Die Angst die in mir aufstieg und den Fluchtinstinkt schaltete ich ab. Schwere Schritte hallten durch das Haus und ich konnte ihn mir deutlich vorstellen wie er mit wütendem Gesicht durch die Wohnung lief.

Immer näher kamen die Schritte und gleichzeitig glitten meine Gefühle immer weiter weg, bis sie schließlich gar nicht mehr da waren, sondern ausgeschaltet.

„Was machst du hier?" Ich schaute in das Schweinegesicht meines Vaters.

Er trug einen Anzug und sein äußeres ließ nichts von dem dreckigem Mistkerl erkennen, der sich hinter dieser Maske verbarg.

„Ich wollte gerade aufräumen und jetzt einkaufen gehen", sagte ich nüchtern und spürte die absolute kälte in mir.

„Wieso warst du noch nicht einkaufen!?"

Seine Stimme erhob sich bedrohlich und ich wusste, dass meine Erklärungsversuche scheitern würden.

Wie immer.

Er Griff nach einer Wodka Flasche und begann sofort in tiefen Zügen zu trinken.

„Weil ich noch Schule hatte und vor Zehn Minuten nach Hause gekommen bin und erst jetzt deinen Zettel gesehen habe."

„Und wieso hast du ihn erst jetzt gesehen!?"

Jetzt schrie er und in seinem Gesicht erkannte man nicht den liebevollen Vater, den er immer nach außen hin gab.

„Weil dein ganzes Gesöff da drauf stand", zischte ich wütend zurück und funkelte ihn böse an.

„Was erlaubst du dir du dreckiges Miststück!?"

Dann hob er seine Hand und verpasste mir eine Ohrfeige. Ich spürte wie meine Wange anfing zu brennen, doch ich ignorierte es und kniff meine Lippen zusammen.

„Geh jetzt und hol mir was zu essen!"

Ich drängte mich an meinen so genannten Vater vorbei und verließ ohne ihn eines Blickes zu würdigen das Haus. Kaum hatte ich die schwere Tür verschlossen, kam der Schmerz und ich fasste mir vorsichtig an meine Wange.

Ich wusste, dass sie knallrot war.

Das war sie immer wenn er mich schlug.

Ich ließ mein braunes Haar über meine Wange fallen und haute mir ein Paar Mal selber gegen die andere, damit es nicht ganz so auffiel. Dann verließ ich meine Hölle und machte mich auf den Weg in den Supermarkt um anschließend zurückzukehren und für meinen dreckigen Vater essen zu kochen.

Doch eigentlich wäre ich lieber weggerannt und nie wieder zurückgekommen.



Entführt - Gerettet aus der HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt