Achtundzwanzigstes Kapitel

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Samuel starrte das Bild nun schon zum tausendsten Mal an und wirkte dabei regelrecht verbissen. Genauso wie ich. Aber was hätten wir auch sonst tun können?
„Ich denke nicht, dass sie nicht auf der Suche sind", murmelte Samuel, aber es klang nicht so, als wäre es direkt an mich gerichtet. „Das Bild könnte eine Fälschung sein, aber selbst wenn nicht, bedeutet das nicht, dass sie uns nicht suchen. Sie werden einen Trupp losgeschickt haben, der uns finden soll", erklärte er und stopfte das Bild in den Rucksack. Inständig hoffte ich, dass es ein Fake war, auch wenn ich es den beiden gönnte. Trotzdem breitete sich ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend aus, wenn ich daran dachte, dass es echt sein könnte und sie von unserer Suche abgelenkt waren. Für mich hatte diese oberste Priorität. Und eingestellt konnten sie sich auch nicht haben, immerhin waren wir bisher nur wenige Tage verschwunden.

„Wie geht es deinem Arm?", fragte Samuel dann und deutete mit einem Nicken auf meinen provisorischen Verband unter dem es sofort wieder stärker zu Brennen anfing, als ich daran dachte.
„Geht so", antwortete ich und verzog mein Gesicht zu einer gequälten Fratze, als ich meinen Arm versehentlich bewegte. Sofort zog sich ein stechender Schmerz durch meinen gesamten Körper. „Was, wenn ich eine Infektion bekomme?", fragte ich und holte einmal tief Luft. Mittlerweile machte ich mir darüber ernsthaft Sorgen. Eine Wunde im Dschungel, die nicht desinfiziert und richtig verbunden werden konnte, könnte tödlich enden. Samuels' Gesicht wurde nach meinen Worten blass. Offensichtlich hatte er daran noch gar nicht gedacht.

„Ich hoffe nicht", murmelte er und schulterte seinen Rucksack. Dann griff er nach meiner Hand. Verwirrt sah ich ihn an, aber er schien gar nicht weiter darauf eingehen zu wollen. „Es darf bloß kein Schmutz an die Wunde kommen. Und wenn wir sie waschen, dann nur mit dem Wasser, was wir bekommen haben. Zur Not mit Regenwasser, aber auf keinen Fall mit welchem aus dem Fluss." Ich nickte und konzentrierte mich auf seine warme Hand, die meine umfasste, während wir weiterliefen und mir jeder Ast, der meinen Arm streifte, die Tränen in die Augen trieb. Doch wohin gingen wir eigentlich? Ich wusste es nicht mehr. Es gab keinen Anhaltspunkt, wir gingen nur auf Verdacht durch die Gegend, als würden wir bloß einen Spaziergang machen.

Nach einer Weile räusperte Samuel sich und drehte sich zu mir um. „Ich weiß, du willst das nicht hören, aber der Tag geht zu Ende. Das heißt, wir brauchen langsam ein Lager."
Ich nickte tapfer. Natürlich wusste ich, dass es sein musste, doch trotzdem stellte sich in mir eine Traurigkeit ein, die erdrückend war. Hinzu kam der Schmerz und die Gewissheit, dass meine Wunde heute wohl nicht mehr behandelt werden würde.

Wir suchten uns eine geeignete Stelle, wo wir die Nacht verbringen konnten und Samuel machte ein kleines Feuer, während ich ihn dabei beobachtete und mir Mühe gab, alles andere auszublenden. Alles bis auf ihn.
Vielleicht hätte es mich auch schlechter treffen können, dachte ich und zog meine Beine an. Vielleicht war Samuel nicht der Mensch, mit dem ich als letztes hier sein wollen würde. Vielleicht.
Meine Beine schmerzten und ich hätte sie so gerne ausgestreckt, aber ich fühlte mich noch immer unwohl dabei, viel Platz einzunehmen und als endlich die Funken loderten, setzte Samuel sich seufzend zu mir.
„Fertig", murmelte er erschöpft und ich nickte. Ein paar Minuten schwiegen wir und betrachteten das knisternde Feuer, dann wandte ich meinen Kopf zu ihm.

„Du bist nicht so schlecht wie ich gedacht hatte", sagte ich ihm mit klopfenden Herzen. Sein Blick war noch immer auf das Feuer gerichtet, was sich auch nicht änderte. „Ich glaube, es hätte schlimmer kommen können. Ich meine, schlimmer als mit dir im Dschungel zu sein." Ich kicherte unbeholfen, auch wenn es eigentlich gar nicht lustig war und sich auch eher wie ein krankes Husten anhörte.
Samuels' Mine hingegen blieb ernst, wie versteinert, als hätte er meine Worte negativ aufgefasst.
„Hey, das war so etwas wie ein ... Kompliment", grinste ich und stupste ihn sanft in die Seite.
„Nein", antwortete er bloß. „Es hätte nicht schlimmer sein können." Es brauchte einen Moment, bis ich realisierte, was genau er damit meinte.
„Mach dich nicht schlechter als du bist. Zugegeben, ich mochte dich nicht, aber jetzt ... ist es anders." Aufmunternd lächelte ich ihm zu, als er endlich mich und nicht mehr das Feuer ansah.

„Du hast keine Ahnung, Julia", sagte er bloß verbissen. Sein Blick war beinahe zornig und ich verstand nicht, warum.
„Dann klär mich auf", forderte ich, auch wenn ich sein Gerede für Spinnereien hielt. Der Wassermangel und die Umstände hier schienen ihm zu Kopf zu steigen.
„Das geht nicht so einfach." Er schüttelte den Kopf und wirkte dabei, als würde er es wirklich bedauern. „Aber es tut mir leid."

Verwirrt kniff ich die Augen zusammen. „Was tut dir leid?", fragte ich verzweifelt. Wieso gab er mir denn keine Antwort?
„Es geht nicht. Akzeptiere es."
„Nein." Es war bloß ein Wort, doch ich legte so viel Energie hinein, dass es mir komplett den Atem verschlug. Ich zitterte am ganzen Körper, auch wenn es hier angenehm warm war. Das allerdings konnte aber auch an der Tatsache liegen, dass ich Blut verloren hatte. Was verschwieg er mir? Was war in seinem Kopf, was ihn gerade so verbittert werden ließ, was ihn denken ließ, er wäre schlecht? Mein Herz hämmerte in Höchstgeschwindigkeit in meiner Brust und mir wurde klar, wie wichtig mir das hier war. Wie wichtig Samuel mir war. Wie ein Faustschlag fühlte sich diese Erkenntnis an, die mir jetzt durch den Kopf schoss und mit die Kehle zuschnürte. Eine Erkenntnis, die ich nicht wollte, die nicht in mein Leben passte, nicht in mein Herz, die aber so präsent war, dass es schon wehtat. Ich wusste nicht, wie das zustande kam, wusste nicht seit wann oder wieso. Ich wusste nur, dass ich absolut gar nichts dagegen tun konnte. Egal wie sehr ich dagegen an kämpfte.
Ich hatte mich in Samuel verliebt.

Aufbruch ins UnbekannteWhere stories live. Discover now