Dreiundzwanzigstes Kapitel

1.8K 176 8
                                    

Ich sah in die Richtung, in die Samuel blickte, doch zwischen dem Dickicht erkannte ich erst gar nichts ungewöhnliches und sah wieder in Samuels Gesicht, welches in der Zwischenzeit ganz blass geworden war.
„Samuel?", flüsterte ich leise, besorgt und irgendwie verwirrt. Vorsichtig legte ich meine Hand auf seinen Arm und wartete klopfenden Herzens ab, bis er reagierte. Er schluckte schwer und atmete tief die schwüle Luft ein, ehe er mich wirklich zu bemerken schien. Ich hätte mit einem dummen Spruch von ihm gerechnet, etwas fieses, weil ich nicht entdecken konnte, was er sah, doch er streckte lediglich seinen Arm aus und murmelte ein paar undeutliche Worte.
„Dort drüben."

Zögernd richtete ich meinen Blick auf und bemerkte, dass ich eben in die falsche Richtung gesehen hatte. Kein Wunder, dass ich die heruntergekommene Hütte, die geschätzte fünf Meter von uns entfernt stand, nicht gefunden hatte. Jetzt ließ der Anblick mein Herz jedoch beunruhigend höher schlagen.
„Du meine Güte." Trotz der tropischen Hitze legte sich bei diesem gruseligen Anblick eine Gänsehaut auf meine Arme. Diese Szene hätte glatt aus einem Horrorfilm stammen können!

„Was ist das?", murmelte ich, auch wenn die Frage nicht ganz so gemeint war und dämlich klang. Natürlich wusste ich, was es war. Offensichtlicher ging es ja nun auch nicht. Vielleicht hätte ich daher also fragen müssen, was dort drin war. Aber woher sollte Samuel das auch wissen? Die Hütte war nicht sehr groß und aus vielen Ästen zusammengebaut, dennoch war sie als solche gut erkennbar. Hier und da konnte ich ein Holzstück entdecken, welches notdürftig hineingearbeitet war. Ein Teil des Daches lag schon auf dem Boden und von einem der Hauswände war auch schon etwas herausgefallen. So stabil schien sie also nicht mehr zu sein.

„Dorthin wollte uns dieser Kerl also führen? Zu einer kaputten Hütte?" Samuel klang verwirrt, aber das war ich auch. Welche Bedeutung könnte das haben? Ich wagte einen Schritt nach vorne, wollte mir das ganze genauer ansehen, doch Samuel hielt mich zurück und erst jetzt wurde mir klar, dass der Fremde uns nicht den Ausgang zeigen wollte. Ein Wall der Enttäuschung machte sich in mir breit und schnürte mir kurzzeitig die Luft ab. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit klein gewesen war, hatte ich mir doch Hoffnungen gemacht, was im Nachhinein ein schwerer Fehler gewesen war. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, immerhin wusste ich auch noch nicht, was genau wir dort drin vorfinden würden.

„Lass mich besser vorgehen", meinte er nur, offenbar hatte er noch gar nicht richtig begriffen, was dieser Fund für uns bedeutete. Das er uns höchstwahrscheinlich nicht nach Hause bringen würde. Aha, jetzt also musste er den Gentleman heraushängen lassen. Um keinen Streit anzufangen, hörte ich allerdings auf ihn und hielt mich zurück. Ganz langsam nur kam ich hinter ihm her.

„Das alles wird immer ... merkwürdiger", sagte ich ängstlich und schaute mich um, ob uns jemand beobachtete. Nicht, dass wir in einen Hinterhalt gelockt wurden. Jedoch war hier alles so dicht bewachsen, dass ein Mensch sich leicht verstecken konnte. Wie eigentlich überall im Dschungel.

„Der Mann, der den Hilferuf gegeben hatte ... vielleicht lebt er hier und wollte auf sich aufmerksam machen", mutmaßte ich, doch Samuel schüttelte bloß den Kopf.
„Unwahrscheinlich. Er hatte uns doch schon gesehen. Außerdem sieht es nicht so aus, als hätte hier jemand vor Kurzem noch gewohnt. Sieh dir das an." Er deutete mit energischer Geste auf die kaputten Stellen, die die Hütte unübersehbar aufwies.

„Und wenn derjenige uns eine Art ... Zufluchtsort geben wollte?", rätselte ich weiter, fand meine Idee aber ziemlich gruselig in der Vorstellung. Hier fühlte ich mich noch unwohler als im Rest des Dschungels. Hoffentlich fanden wir hier kein Skelett oder so.
„Könnte sein", antwortete er und ging einmal um die Hütte herum, während ich dort stehenblieb, wo ich war. Besser, ich ließ Samuel wirklich den Vortritt. Das Ganze war nur ein Stück größer aus Samuel selbst, sodass er, würde er seinen Arm in die Höhe ausstrecken, von mir gesehen werden würde. „Hier lässt sich auf jeden Fall nichts finden." Er stand nun wieder direkt neben mir, ein paar Schritte schräg neben dem Eingang und starrte mit mir direkt ins schwarze Innere, wo man absolut nichts erkennen konnte, außer die leere Dunkelheit, die unheimlich und verlockend zugleich war. Was, wenn dort irgendwelche Hinweise waren? Vielleicht sogar welche, die uns hier letztendlich doch herausbrachten oder irgendeine Erklärung lieferten?

„Einer von uns beiden muss wohl oder übel da rein", sprach Samuel das aus, was ich selbst auch dachte. „Um die Hütte herum ist rein gar nichts und ich kann mir sonst nicht erklären, was das alles soll. Also los."
„Du bist der Mann", sagte ich bloß, wobei meine Stimme leicht zitterte und deutete auf den Eingang. Wir wussten nicht, was sich darin befand. Was, wenn dort ein Tier war, eine Schlange vielleicht, eine Spinne oder etwas anderes? Es musste ja nicht einmal ein großes Tier sein, zumal, dass ein Großes nicht einmal hineinzupassen schien. Vielleicht hätten in dieser Hütte zwei Menschen Platz, sich hineinzulegen, möglicherweise auch drei. Oder sie war größer als sie aussah.

„Wenn mir was passiert, bist du allein", antwortete Samuel und sah mich an. „Ganz allein." Ich spürte seine Angst, die ich auch hatte. Es war wirklich stockdunkel in dieser Hütte, kein Lichtstrahl schien sie zu erreichen und im Dschungel war alles gefährlich.
„Dann lassen wir es einfach", schlug ich vor. Vielleicht war das das Vernünftigste und wir sollten einfach umkehren und unseren Plan, den Dschungel zu verlassen, weiterverfolgen. Doch Sekunden nachdem ich es ausgesprochen hatte, hörte ich ein unheilvolles Zischen in der Luft. Dann noch eins und noch eins. Erschrocken zuckte ich zusammen und tat einen Schritt auf Samuel zu. Was war das? Als ich ein weiteres hörte und die Richtung ausmachen konnte, ließ ich einen kurzen Schrei los. Jemand schoss mit Pfeilen. Jedoch schien derjenige weder Samuel noch mich treffen zu wollen, er zielte lediglich auf die umstehenden Bäume, sodass eine Art Kreis aus Pfeilen um uns herum entstand.

„Wer ist da?", brüllte Samuel und sah sich nach allen Seiten hin hektisch um. Seine laute Stimme vermischte sich mit den natürlichen Dschungelgeräuschen und ließ meinen ganzen Körper erzittern. Ein letzter Pfeil platzierte sich im Baum, dann schien plötzlich alles wieder ruhig zu sein und die vermeintlich friedliche Idylle stellte sich wieder ein.
„Na warte", rief Samuel wütend und wollte schon losrennen, da hielt ich ihn am Arm fest und krallte meine Finger so gut es ging in seinen T-Shirtärmel, damit er sich nicht so leicht losreißen konnte. Das allerdings schien er auch gar nicht vorzuhaben.

„Nicht", flüsterte ich verängstigt. Die Vorstellung, hier allein zu sein, war nicht zu ertragen. „Wir wissen nicht, in welche Richtung er gelaufen ist." Tränen stiegen mir in die Augen. Ich wollte weg hier! Und das so schnell wie nur irgend möglich. „Lass. Mich. Nicht. Allein", sagte ich noch einmal nachdrücklich und legte meine Finger noch stärker um seinen Oberarm. Nicht nur die Vorstellung, allein zu sein, trieb mir Tränen in die Augen, sondern auch, Samuel nie wieder zu sehen. Dieses Gefühl konnte ich mir allerdings nicht so richtig erklären. Erst, als ich mir wirklich sicher war, dass er hierbleiben würde, ließ ich ihn langsam los und sah mich noch einmal um, ohne auch nur einen Millimeter von seiner Seite zu weichen. All die Pfeile, die in den Bäumen steckten und uns einkreisten. Mir wurde speiübel, als mir klarwurde, was das bedeuten musste.
„Ich glaube, er will, dass wir in die Hütte gehen."

Aufbruch ins UnbekannteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt