Nachtspaziergang

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Es war eine klarer Abend gewesen und Kyoko hatte beobachten können, wie der Mond und die Sterne aufgegangen waren, als sie auf dem Fenstersims gesessen und in den Himmel gestarrt hatte. Je später es geworden war, desto mehr Wolken waren aufgezogen und mittlerweile war sie komplett durchnässt. Sie war sich nicht sicher, ob das vielleicht ein schlechtes Zeichen war, dass sogar der Himmel bereits weinte, doch sie hatte ihre Entscheidung getroffen.
Alleine der Gedanken daran, dass Kakashi gleich zu ihren Füßen auftauchen würde, so wie es fast jede Nacht war, ließ ihr Herz schneller schlagen und es schlug unrythmische Purzelbäume in ihrer Brust.
„Drück mir die Daumen, Minato.", raunte sie leise in den Himmel, als es nicht mehr lange dauern konnte. Heute würde es sich also entscheiden, ob sie alles, was sie sich mit dem Silberhaarigen bisher aufgebaut hatte, wieder verlieren würde.
Sie seufzte schwer und strich sich die nassen Strähnen aus dem Gesicht. Ihre Hände zitterten bereits, denn sie hatte panische Angst. Angst davor, dass er lachen würde, dass er sie nicht ernst nehmen und sie abweisen würde. Doch am meisten Angst hatte sie davor den Mann zu verlieren, den sie liebte, denn sie wusste beim besten Willen nicht, wie es dann mit ihr weitergehen sollte. Doch auch so, wie im Moment konnte es einfach nicht bleiben. Sie musste endlich Mut beweisen und ihm die Wahrheit sagen, auch wenn das Risiko bestand, dass er danach kein Wort mehr mit ihr sprechen würde. Sie würde sich sonst ewig Vorwürfe machen, sie musste wissen, was er darüber dachte.
Sein silbernes Haar erkannte sie schon von weitem, denn es durchbrach die Dunkelheit, als wäre es das strahlenste aller Lichter. Es stand heute nicht so schräg von seinem Kopf ab, wie es sonst der Fall war, denn der Regen hatte es bereits schwer gemacht. Kakashi sah erschöpft aus. Er schlief noch immer nicht genug, war fast ständig im Einsatz und Kyoko machte sich unglaubliche Sorgen um ihn. Sorgen darum, dass selbst der stärkste der Shinobi der Welt, irgendwann unter dem Druck zusammen brechen würde.
Leichtfüßig verließ sie ihren Platz und sprang zu ihm hinunter. Schlamm spritzte auf, als ihre Füße den Boden berührten und als sie zögerlich den Kopf hob, sah sie sein Auge freundlich funkeln.
Ihr war schlecht, kotzübel, so viel Angst hatte sie vor dem Kommenden.
„Ist alles in Ordnung mit dir?" Natürlich hatte er sie sofort durchschaut, hatte bemerkt, dass etwas anders war als sonst. Sie hatte ihre Gefühle noch immer nicht unterdrücken können und er war schon immer viel zu gut darin gewesen aus ihrem Gesicht zu lesen.
„Ja, lass uns gehen." Sie versuchte sich an einem Lächeln, während ihr Inneres komplett verrückt spielte. Alle Worte, die sie sich zurecht gelegt hatte, waren wie aus ihrem Kopf gefegt und lediglich die zerstörerische Panik war zurück geblieben, die ihren Körper von oben bis unten erfüllte.
Die beiden Jonin setzten sich in Bewegung, schweigend wie auch die Nächte zuvor gingen sie in das Stadtinnere und liefen langsam an den neu errichteten Häusern entlang. Ihre gewöhnliche Route und mit jeder Sekunde, die verstrich schlug Kyokos Herz ein wenig schneller. Sie hatte nicht mehr viel Zeit, das wusste sie und doch versuchte sie es bis zu dem letzten Moment hinauszuzögern. So unauffällig wie möglich betrachtete sie Kakashi neben sich, wie er nachdenklich in die Nacht blickte. Sie fuhr mit ihrem Blick über seine strubbeligen, klitschnassen Haare und sein kantiges Gesicht und hinab über seinen perfekten Körper.
Verdammt, sie liebte jedes kleine bisschen an ihm und der Gedanke daran, dass er nicht das gleiche für sie fühlen könnte, zerriss sie beinahe in zwei.
Ohne es wirklich bemerkt zu haben, war sie stehen geblieben, hatte ihn nur weiter angesehen. Falls es heute das letzte Mal sein würde, dass sie auf diese Art und Weise mit ihm Zeit verbrachte, dann wollte sie sich jedes bisschen davon einprägen und jede einzelne Sekunde auskosten.
„Kakashi." Ihre brüchige Stimme durchbrach die Stille und ließ ihn inne halten. Langsam drehte er sich zu ihr um, sah sie mit fragendem Blick an, doch sie hatte nicht die Kraft seinem dunklen Auge standzuhalten. Mit roten Wangen senkte sie den Blick, kaute unsicher auf ihrer Unterlippe herum. Sie hatte das ganze selbstbewusst und stark über die Lippen bringen wollen, doch sie fühlte sich unglaublich schwach und ausgeliefert.
„Ich muss dir etwas sagen." Und das musste sie wirklich. Sie musste es so dringend, dass sie langsam das Gefühl hatte, sie würde explodieren, wenn sie es nicht tat. Er wirkte irritiert, bis sich sein Auge plötzlich weitete. Als wüsste er, was jetzt kommen würde, als hätte er Angst vor ihren Worten. Doch es war nicht möglich, er konnte es nicht wissen.
Sie schluckte schwer, versuchte den Mut zu finden, die Stimme zu erheben, doch es war, als hätte sie die Fähigkeit zu sprechen verloren. Ihr Mund war trocken und als sie ihn öffnete kam kein Wort aus ihrer Kehle. Noch nie hatte sie sich derart ausgeliefert gefühlt.
Und das obwohl sie tief in ihrem Herzen wusste, dass Kakashi sie niemals damit aufziehen würde.
Ihre Finger gruben sich in den Stoff ihrer Hose und sie kniff die Augen zusammen. Vielleicht wäre es einfacher, wenn sie ihn nicht sehen würde. Wenn sie sich einfach vorstellen konnte, dass er gar nicht da war.
„Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich es formulieren soll. Ich bin, glaube ich, nicht wirklich gut in sowas. Wobei, ich habe sowas auch noch nie gemacht, also wer weiß, aber irgendwie habe ich grade wirklich das Gefühl mir fehlen die Worte.", brabbelte sie schließlich nach einer unangenehmen Pause los und überwand sich die Augen zu heben. Blau traf auf dunkelgrau und plötzlich beruhigte sich ihr Körper. Das Zittern nahm langsam ab und auch ihre Muskeln entspannten sich. Er war der Mann, an dessen Seite sie kämpfen wollte. Er war der Mann, mit dem sie alt werden wollte. Er war der Mann, mit dem sie jede Sekunde ihres Lebens verbringen wollte. Er war alles Risiko wert.

„Ich liebe dich."

Es war still, so still, dass sie ihren eigenen, ungleichmäßigen Herzschlag in ihrer Brust hören konnte. Drei kleine Worte, die so eine starke Bedeutung hatten, dass sie über die Zukunft entscheiden konnten. Und es hatte nicht mehr als diese drei Worte gebraucht, denn auch wenn sie sich eigentlich eine lange Rede zurecht gelegt hatte, sagten diese drei Worte alles, was sie sagen musste.

„Ich weiß."

Seine Stimme war leise, kaum mehr als ein Flüstern, das durch den Regen zu ihr drang. Sein Gesicht war traurig, niedergeschlagen, verletzlich, und verewigte sich in Kyokos Gedächtnis wie ein Tattoo auf der Haut. Er hatte es gewusst. Er hatte es gewusst und nicht ein Wort gesagt.
„Woher?" Mehr brachte sie nicht über die bebenden Lippen, sorgsam darauf bedacht die aufkommenden Tränen zu unterdrücken.
Sie hatte das Gefühl, er hätte ihr das Herz aus der Brust gerissen, es in Teile zerfetzt und auf den Boden geschmissen, denn in ihrer Brust herrschte gähnende Leere. Da war nur noch der Schmerz, der sich langsam in jede Region ihres Körpers fraß.
„Bei deinem Kampf mit Pain. Mein Sharingan hat es von deinen Lippen gelesen.", antwortete er mit fester, aber bedrückter Stimme. Er wirkte verzweifelt und fast ein wenig mitleidig, doch es gab nur eine Sache, die Kyoko in diesem Moment interessierte. Die Tatsache, dass Kakashi sie nicht liebte.
Sie schluckte die Tränen herunter. Ihr schlimmster Albtraum war wahr geworden. Sie hatte den wohl wichtigsten Menschen in ihrem Leben verloren.
„Dann gibt es nichts weiter zu sagen." Sie versuchte stark zu klingen, wollte nicht, dass er sah, wie er sie fühlen ließ. Sie wollte nicht, dass er sich schuldig fühlte. Sie wollte nicht, dass er bemerkte, dass sie sich grade mehr tot als lebendig fühlte. Das was sie wollte, war die Zeit zurück zu drehen, zu verhindern diesen Fehler zu machen, doch es war nicht möglich. So schnell sie auch war, sie würde niemals die Zeit überholen.
Langsam spürte sie die erste Träne aus ihrem Augenwinkel laufen und drehte sich schlagartig um. Sie musste gehen, sie konnte ihm nicht in die Augen sehen, jetzt wo sie wusste, dass sie niemals das darin sehen würde, was sie sich wünschte. Liebe. Wie hatte sie überhaupt so naiv sein können, zu glauben, dass ein so wunderbarer Mensch wie Kakashi etwas für sie empfinden konnte?
Sie setzte sich in Bewegung, sie musste hier weg. Sie konnte diese Schmerzen nicht mehr ertragen. Sie waren so viel stärker, als alles, was sie bisher gespürt hatte. Kein Messer konnte sie so verletzen, denn Wunden, die eine Klinge hinterließ, konnten geheilt werden. Das hier war eine andere Wunde. Eine innere, tief in ihrem Herzen und sie war sich nicht sicher, ob sie jemals wieder verschlossen werden würde.
„Kyoko, es tut mir Leid." Seine Stimme war flehend, als wünschte er sich, dass er etwas anderes sagen könnte, doch sein Herz hatte entschieden.

„Ich kann es einfach nicht.", flüsterte er in die Nacht, die Hand nutzlos erhoben, als wollte er die Brünette zurück halten. Doch er tat es nicht. Denn in diesem Moment hätte er nichts sagen können, was sie hätte besser fühlen lassen.

Mit gespannten Muskeln kämpfte er sich durch den strömenden Regen zurück nach hause. Wie hatte es nur so weit kommen können? Wieso konnte er nicht einmal sein Versprechen halten? Er hatte geschworen sie zu beschützen und seinen Sensei stolz zu machen und doch hatte er sie verletzt. Mehr verletzt, als er es bei ihr jemals gesehen hatte. Er hatte den Schmerz in ihrem Gesicht erkannt, hatte genau beobachten können, wie ihre leuchtenden Augen abstumpften und sie versucht hatte gegen die Tränen zu kämpfen.
Wie hatte sie sich nur in jemanden wie ihn verlieben können?
Ein stechender Schmerz durchzog seinen Körper, als er mit der Faust gegen die Hauswand seines Elternhauses schlug.
Wie hatte er nur wieder alles kaputt machen können?
Mit einem Satz sprang er auf den Fenstersims seines Zimmers und betrat den Raum um endlich aus diesem scheußlichen Regen zu kommen. Er hinterließ eine Pfütze auf dem alten Holzboden und riss sich die nassen Kleider vom Leib, um sich etwas trockenes anzuziehen.
Er wusste nicht einmal, was er empfinden sollte. Er war wütend, unglaublich wütend auf sich selbst, dass er immer und immer wieder versagte, aber er war auch wütend auf Kyoko.
Wütend darauf, dass sie sich in ihn verliebt hatte.
Wütend darauf, dass sie ihn in diese Situation gebracht hatte.
Wütend darauf, dass sie ihn dazu gebracht hatte, sein Versprechen zu brechen.
Aber mehr als das er wütend war, war er traurig, denn er hatte einen der wenigen Menschen verloren, denen er vertraut hatte. Sie war ihm wichtig und er konnte nicht leugnen, dass sie sich ein wenig in sein Herz geschlichen hatte. Sie hatte ihn herausgefordert, positive Erinnerungen in ihm hervorgerufen und durch sie hatte er eine zweite Chance bekommen. Eine zweite Chance, die er nicht genutzt hatte.
Langsam ließ er sich zu Boden sinken und vergrub das Gesicht in den Händen.
Wie sehr wünschte er sich, er hätte ihr eine andere Antwort geben können, doch es war ihm nicht möglich gewesen. Sie hatte etwas besseres als ihn verdient. Sie verdiente einen Mann, der sie zum Lachen bringen konnte und nicht jemanden, der immer und immer wieder versagte und mit seinen eigenen, inneren Dämonen zu kämpfen hatte. Er war nicht richtig für sie und wenn er ihr die Zeit geben würde, würde auch sie das merken.
Er hätte sich von Beginn an von ihr fernhalten sollen, doch er war schwach gewesen. Er hatte es nicht gekonnt, denn bereits nach kurzer Zeit, hatte er sie irgendwie vermisst. Ihm hatte ihre Nähe gefehlt, denn nach den ganzen Geschehnissen der letzten Tage hatte er jemanden gebraucht, der ihn verstand. Ohne Worte verstand, so wie sie es tat.
Er war egoistisch gewesen, hatte nur an sich selbst gedacht und sich bei jedem Spaziergang geschworen, dass er nun Abstand halten würde. Doch es war nicht besser geworden und er hatte es ausgenutzt, dass sie ihn mochte. Er war ein Idiot, das war ihm nur schmerzlichst bewusst geworden.
Aber nun würde er endlich das tun, was für sie am besten war. Das war er ihr schuldig. Und wenn es das einzige war, das er für sie tun konnte, dann würde er ihr aus dem Weg gehen, damit sie glücklich werden würde.
Und mit ihm würde sie nicht glücklich werden.
Sie hatten beide schon so viele Menschen verloren, sie brauchte jemanden, der ihr Halt geben konnte. Das konnte er nicht. Das würde er niemals können, denn er hatte diesen Halt bereits selbst verloren. Jeder Mensch, der gegangen war, hatte ein Teil seines Herzens mit sich genommen und wie sollte er lieben, wenn sein Herz nicht mehr ganz war. Er hatte sich damit abgefunden. Er lebte sein Leben, schätzte seine Schüler und Freunde, aber zu lieben, war ein Privileg, das ihm nicht mehr zustand. Es war zu viel und es machte ihm Angst.
Zu lieben bedeutete Verletzlichkeit. Kyoko war bei dem Kampf gegen Pain bereit gewesen ihr Leben für ihn zu geben und er würde es nicht ertragen wieder für einen Tod verantwortlich zu sein. Sie durfte nicht so denken. Ihr Leben war so viel mehr wert als das seine und sie hätte es weggeworfen ohne darüber nachzudenken. Und das nur weil sie so ein verdammt großes Herz hatte, dass er darin einen Platz gefunden hatte.
Er würde sie nur in Gefahr bringen. Im schlimmsten Fall würde man sie angreifen, um an ihn heran zu kommen und dieser Gefahr würde er sie nicht aussetzen. Er musste an ihre Sicherheit und ihre Zukunft denken. Er musste so denken, wie es ein Shinobi tat und so wie sie es nicht tat. Wie sie es wahrscheinlich niemals getan hatte, denn ihr Herz war immer durchsetzungsfähiger gewesen als ihr Kopf. Eine Eigenschaft, die er an ihr schätzte und zugleich eine Eigenschaft, die nicht zu ihm passte. Nicht passen durfte, wenn er die Menschen beschützen wollte, die ihm etwas bedeuteten.

„In der Welt der Shinobi sind Regelbrecher Abschaum, aber Leute die sich nicht um ihre Freunde kümmern sind noch weniger wert als Abschaum!"


Er hatte so lange auf seine zweite Chance gewartet. Die Chance alles richtig zu machen und als Kyoko aufgetaucht war, war es wie ein Wunder gewesen. Eine Person aus seiner Vergangenheit, die noch nicht gestorben war und die ihm irgendwie etwas bedeutete.
Eine Person, die er beschützen konnte.
Eine Person, die er nicht verlieren würde.

Doch er hatte niemals damit gerechnet, dass er sie verlieren musste, um seine zweite Chance zu erfüllen.

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So, so, wieder ein paar Tage zu früh, denn wie sich heute ergeben hat, bin ich auch diesen Sonntag nicht zuhause und Kapitel mit meinem mobilen Internet am Handy hochzuladen, ist glaube wirklich unmögich :D Ich bin wirklich gespannt, was ihr zu diesem Kapitel zu sagen habt. Habt ihr damit gerechnet, dass die Liebeserklärung so ausgeht, oder hattet ihr erwartet, dass sie sich ab jetzt eher näher kommen? Ein schönes Wochenende wünsche ich euch! :)

Kyoko Namikaze - Die Geschichte einer KämpferinDonde viven las historias. Descúbrelo ahora