Allein

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Ein lautes Husten drang zu ihr in die Dunkelheit. Sie wollte weiterschlafen, doch das Rascheln von Kleidung ließ sie blinzeln. Ein Gähnen entwich ihren rissigen Lippen, ehe sich die Umgebung vor ihren Augen scharf stellen konnte. Es war dunkel. Sie brauchte einen Moment, bis sie sich an die Lichtverhältnisse angepasst hatte und etwas erkennen konnte.
Sie war im Tempel, sie erkannte den dunklen Holzboden wieder und auch die spiralförmigen Muster an der Tür wiesen darauf hin. Sie hob den Blick. Nicht weit von ihr schien jemand zu schlafen. Sie erkannte Umrisse, konnte in der Dunkelheit aber nicht erkennen, um wen es sich handelte. Lediglich das gleichmäßige Heben des schwarzen Umrisses ließ vermuten, dass es eine Person war.
„Du bist wach."
Kyoko drehte sich auf die andere Seite. Mit zusammengebissenen Zähnen musste sie feststellen, dass ihr Körper schmerzte, doch sie hatte damit gerechnet. Das kontinuierliche Pochen war eine natürliche Nebenwirkung davon, wenn man zu viel Chakra verbrauchte.
Das blonde Mädchen, das ihr schon im Wald geholfen hatte, kniete vor ihr und sah sie freundlich aus ihren grün-blauen Augen an.
„Ich bin übrigens Ino. Ino Yamanaka. Es freut mich, dass es dir wieder besser geht.", begrüßte die Blonde Kyoko mit einem lieben Lächeln und strich sich eine ihrer langen Haarsträhnen aus dem Gesicht, die jedoch sofort wieder in die ursprüngliche Position fiel.
„Danke für die Hilfe. Ich bin Kyoko Namikaze.", stellte sich nun auch die Braunhaarige vor und richtete sich langsam auf dem Futon auf. Sie fühlte sich sehr viel besser, als sie es erwartet hatte. Es war also noch mal alles gut gegangen.
„Dann werde ich mal nach den anderen sehen." Noch immer lächelnd erhob Ino sich, deutete noch eine höfliche Verbeugung an und verließ dann auf leisen Sohlen das Zimmers. Überrascht starrte Kyoko die Tür an, aus der die Blonde verschwunden war. Sie hatte noch so viele Fragen gehabt, doch mit ihrem plötzlichen Aufbruch hatte Ino ihr irgendwie die Sprache verschlagen. Es brannte ihr auf der Zunge endlich zu erfahren, was passiert war, nachdem sie eingeschlafen war, schließlich schien hier im Tempel alles in Ordnung. Ihr Plan musste also Erfolg gehabt haben, doch wie genau es zu Ende gegangen war, würde sie schon interessieren. Außerdem hatte Ino von weiteren Patienten gesprochen und Kyoko hoffte inständig, dass niemand ernsthaft verletzt worden war.
Angestrengt streckte sie ihre tauben Glieder. Vielleicht sollte sie sich ein bisschen bewegen, im besten Falle würde sie sogar noch jemanden treffen, den sie ausfragen konnte. Ein leises Stöhnen entwich ihr, als sie sich vorsichtig aufrichtete. Sie hasste die Nebenwirkungen von Chakraverlust. Dieses durchdringende Pochen in ihrem gesamten Körper war ungemein anstrengend zu ertragen. Doch zugleich war sie auch froh darüber, dass die Schmerzen des Chakraverlustes ihr Hauptproblem waren, denn ihre anderen Verletzungen waren hervorragend versorgt worden.
Leicht hinkend und sicherlich auch lauter als Ino vor ihr durchquerte sie den kleinen Raum und schob langsam die Tür auf. Ein kalter Windzug ließ sie frösteln. Nur in ihrer kurzen Shorts und dem knappen Top war es bei den vorherrschenden Temperaturen doch recht kalt. Automatisch rieb sie ihre Arme und Wärme breitete sich an der Stelle aus, wo ihre Handflächen die Haut berührten. Wirklich helfen tat es allerdings trotzdem nicht.
Seufzend setzte sie den ersten Fuß in den Flur und wandte sich nach rechts. Sie hatte nur einen kurzen Moment gebraucht, um sich zu orientieren, sie hatte in dem Zimmer gelegen, in dem sie auch bei ihrer Ankunft geschlafen hatte.
Es war dunkel, woraus sie schloss, das es wohl Nacht sein musste. Lediglich der schwache Schein von einigen Kerzen hüllte den schmalen Gang in angenehmes rotes Licht. Es war ruhig. Niemand redete und lediglich ein rhythmisches Schnarchen drang aus einigen Zimmern. Sie würde wohl kein Glück haben dabei jemanden zum Reden zu finden.
Sie atmete tief durch und presste ihre Arme enger an den Körper, als sich der Gang nach links wandte. Sie war auf dem Weg zu einer Art Wintergarten, den sie bisher nur von draußen hatte sehen können und da sie eh kein Ziel hatte, beschloss sie den Garten endlich einmal zu besuchen. So hatte sie wenigstens etwas zu tun und musste sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, was wohl in ihrer Abwesenheit passiert war.
Instinktiv bewegte sich ihr Körper zu der großen Glastür und mit einem leisen Klacken schwang sie vor der Kunoichi auf, als diese sanft dagegen drückte. Hier musste der Wintergarten sein, wenn ihr Orientierungssinn sie nicht im Stich gelassen hatte. Mit zusammengekniffenen Augen blickte sie in den dunklen Raum. Sie erkannte nicht viel, aber das was sie erkannte, erinnerte nicht im entferntesten an einen Wintergarten. Sie zögerte. Irgendwo hier musste der mysteriöse Garten sein, da war sie sich sicher. Vorsichtig, sorgsam darauf bedacht kein Geräusch zu machen, trat sie ein. Vielleicht musste sie diesen Raum noch durchqueren, bevor sie ihr Ziel erreichte.
Ein leises Husten ließ sie inne halten. Jemand befand sich in diesem Raum und sie hatte seine Anwesenheit nicht gespürt. Sie fuhr herum und konnte in der Dunkelheit am Fenster die Umrisse einer Person ausmachen. Die chaotische Sturmfrisur ließ sie sofort wissen, wer es war.
„Kakashi, du bist wieder auf den Beinen." Munter lächelnd überbrückte sie die wenigen Meter und stellte sich zu ihm. Im Mondlicht konnte sie sein Gesicht erkennen, er wirkte noch immer nicht ganz gesund, aber er hustete nicht mehr und er stand auf seinen Beinen, was ein gutes Zeichen war. Er wirkte nachdenklich, vielleicht sogar ein bisschen traurig und sofort schnürte sich Kyokos Brust zu. War etwas schlimmes passiert?
„Ja, mir geht es wieder besser. Vielen Dank, dass du dich um die Mission gekümmert hast.", sagte er still, sah sie jedoch nicht an, sondern blickte weiter starr aus dem Fenster.

Ein Albtraum hatte ihn wieder einmal aus dem Schlaf gerissen. Sie verfolgten ihn, seit er denken konnte, seit er all diese schlimmen Dinge erlebt hatte. Sie schnürten ihm die Kehle zu und verwehrten ihm den Schlaf. Die Bilder, sie gingen nicht aus seinem Kopf und wenn er schlief, bekamen sie die Oberhand über sein Denken. Er fühlte sich besser, wenn er wach war und die Kontrolle inne hatte. Er mochte es nicht seinen Erinnerungen so wehrlos ausgeliefert zu sein. Durch seine Krankheit war es noch schlimmer gewesen. Seine Schuldgefühle, dass sein Körper es ihm verwehrte die Mission zu vollenden, hatten ihn schier aufgefressen. Er durfte nicht derart schwach sein. Es war seine Pflicht als Shinobi sich durch eine Krankheit nicht aus der Bahn werfen zu lassen.
„Das habe ich gern getan. Ich habe mein Bestes gegeben, sie zu erfüllen." Kakashi sah aus dem Augenwinkel, dass Kyoko ihn anlächelte bevor sie seinem Blick folgte und ebenfalls in die Nacht hinaus starrte. Es entspannte ihn den tanzenden Schneeflocken zuzusehen. Alles, was ihn ablenkte von seinem Schmerz war ihm willkommen.
„Ist alles okay mit dir? Warum bist du wach und schläfst nicht wie all die anderen?"
Kurz schloss er die Augen. Er wollte nicht darüber reden, dass ihn die Vergangenheit nicht schlafen ließ. Es gehörte sich nicht für einen Jo-Nin sich durch solche Dinge aus der Fassung bringen zu lassen.
„Ich bin nicht müde.", antwortete er schlicht in der Hoffnung, dass sie es gut sein lassen würde. Er konnte nicht darüber sprechen, so sehr er es sich auch wünschte. Er brachte die Worte einfach nicht über seine Lippen.
„Du warst sehr krank, Schlaf würde dir gut tun." Nachdenklich blickte sie ihn aus ihren großen blauen Augen an. Er sah ihr an, dass sie ihm nicht glaubte, seine Augenringe sprachen Bände. Er hätte etwas Schlaf sicherlich gut vertragen, doch er wollte sich den Bildern nicht wieder aussetzen müssen. Nicht solange es so schlimm war durch seine Krankheit.
„Kakashi, kannst du mir erzählen, was passiert ist?", fragte sie schließlich. Er nickte schlicht. Es war verständlich, dass sie erfahren wollte, was vorgefallen war, schließlich hatte sie aktiv in das Geschehen eingegriffen.
„Ich kann dir nur erzählen, was mir selbst berichtet wurde, aber anscheinend scheint dein Ersuchen nach Unterstützung den Hokage rechtzeitig erreicht zu haben und die Teams trafen gerade pünktlich ein. Misuki hat ihnen alle nötigen Informationen über die Fähigkeiten der Gegner geben können, sodass es keinerlei Problem war sie zu besiegen." Ein erleichterter Ausdruck breitete sich über das Gesicht der jungen Frau aus. Etwas, das Kakashi nicht erwidern konnte. Er fühlte sich unglaublich schuldig. Er hatte es wieder nicht geschafft, seine Kameraden zu schützen, war krank geworden und hatte die letzte Person, aus seinem alten Leben einfach gehen lassen. Dabei hatte er sich doch geschworen sie zu beschützen. Für Minato, für Kushina, für alle, die gestorben waren.
Langsam fuhr er sich durch seine grauen Haare. Sie hätten es ihm nie verzeihen können, wenn er abermals versagt hätte.
„Ich bin froh, dass alles so gut verlaufen ist." Kyoko sah lächelnd zu ihm auf, sie schien jedoch ein wenig verwirrt von seiner Niedergeschlagenheit. Sie konnte ihn nicht verstehen. Sie traf keine Schuld. Sie hatte nicht die gleichen, unverzeihlichen Fehler gemacht wie er. Sie hatte immer ihr Bestes gegeben.
„Ja, es hätte aber auch anders ausgehen könne, Kyoko." Er hatte sie nicht tadeln wollen, doch seine Worte klangen schärfer als gedacht. Es war nicht so, dass er ihre Entscheidung nicht auch getroffen hätte, aber da wäre es um sein Leben gegangen. Und sein Leben wäre es wert gewesen, auf's Spiel gesetzt zu werden. Denn sein Leben war nichts wert, so viele Fehler hatte er bereits begangen. Wenn es nur durch seinen Tod die Möglichkeit gab diese Schuld zu verringern, so würde er sie nutzen. Ihr Leben hatte jedoch gerade erst begonnen. Sie hatte noch so viel vor sich, war doch gerade erst nach hause zurückgekehrt.
„Ich weiß, aber ich habe keine andere Möglichkeit gesehen alle zu beschützen." Sie hatte beschämt den Kopf gesenkt. Hatten seine Worte sie wohl möglich verletzt? Er schluckte. Das war nicht seine Absicht gewesen.
„Doch trotzdem ist es sehr riskant gewesen." Sie seufzte, sah mit ernster Miene zu ihm herauf.
„Kakashi, ich weiß, dass es riskant war, doch was hättest du getan? Ich wusste, dass wir die Bande nicht hätten besiegen können, nicht ohne Verstärkung und diese brauchte zu lange. Außerdem bin ich ein guter Shinobi. Ich kann meine Kräfte einschätzen und wusste, dass ich sie aufhalten könnte. Ich musste diese Chance nutzen und es ist ja auch alles gut gegangen." Sie hatte recht. Es war alles gut gegangen und doch wurde er das Gefühl nicht los, dass er verantwortlich gewesen wäre, wenn etwas nicht gutgegangen wäre. Es war wirklich ein Wunder, dass Misuki und Kyoko sich so lange gegen gut ausgebildete Kämpfer hatten behaupten können. Sie war wirklich stark geworden, nicht jeder Shinobi wäre dazu fähig gewesen.
Sie wirkte noch immer ein wenig enttäuscht, wie sie ihn aus ihren großen blauen Augen ansah. Was hatte sie erwartet? Dass er sich für ihren Einsatz bedankte, anstatt sie zurechtzuweisen? Vielleicht wäre das tatsächlich die angebrachte Reaktion gewesen, doch er wollte sie nicht unterstützen sich in Zukunft abermals in Gefahr zu bringen. Sie sollte sich nicht darin bestätigt fühlen ihr Leben einfach so wegzuschmeißen. Das hätte ihr Bruder, sein Sensei, niemals zugelassen und so würde auch er es nicht zulassen.
„Trotzdem ist es keine Alternative dein Leben zu riskieren." Sie schnaubte wütend und ihre Augenbrauen zogen sich zusammen.
„Weißt du was Kakashi, du bist ein Idiot.", schimpfte sie: „Ein einfaches „Danke, dass du uns das Leben gerettet hast." wäre ja wohl nicht zu viel verlangt gewesen."

Sie fragt sich ehrlich, was in den Kopierninja gefahren war. Da erfüllte man seine Pflicht und wurde dafür sogar noch verurteilt. Sie hatte eigentlich nicht ganz so wütend klingen wollen, doch sie war wirklich enttäuscht. Sie hatte gehofft, dass gerade Kakashi sie verstehen würde. Er hätte an ihrer Stelle nicht anders gehandelt, zu viele Menschen hatte auch er bereits verloren. Und doch tat er gerade so als hätte sie hundert Shinobi-Regeln auf einmal gebrochen.
Beleidigt verschränkte sie die Arme vor der Brust.
„Danke, das du uns das Leben gerettet hast."
Sie stockte, sah misstrauisch zu ihm hinauf. Er wirkte wirklich dankbar, doch noch immer nicht überzeugt.
„Ich bin dir wirklich dankbar. Das sind wir alle. Trotzdem kann ich es nicht befürworten, wenn du dein Leben so achtlos auf's Spiel setzt." Seine Stimme klang ehrlich und brachte Kyoko dazu ihre Arme überrascht wieder sinken zu lassen.
„Wieso nicht?", wollte sie verwirrt wissen: „Es ist die Pflicht eines Shinobis sein Leben zu riskieren, um den Erfolg einer Mission zu sichern." Sie sah ihn an, versuchte aus seinem Gesicht zu lesen, doch es blieb vollständig regungslos. Er blickte wieder aus dem Fenster, sein Auge folgte dem Tanzen der weiße Flocken und er schien in Gedanken versunken zu sein. Worüber er sich wohl den Kopf zerbrach? Hatte er seinen Fehler vielleicht erkannt und eingesehen?
„Dein Bruder hätte es nicht gewollt.", durchbrach seine Stimme schließlich schlicht die Stille zwischen ihnen. Sie weitete überrascht ihre Augen. Ihr Bruder also. Doch was sagte Kakashi da? War es nicht ihr Bruder selbst gewesen, der sein Leben für das Dorf gegeben hatte? War er es nicht gewesen, der sich geopfert hatte, nur damit alle anderen überleben konnten? Sie war ebenso verpflichtet wie Minato, alles zu geben, wenn es um den Schutz ihrer Kameraden ging. Und sie würde auch immer alles geben. Sie hatte so vieles wieder gutzumachen.
Sie wollte gerade ihren Mund aufmachen, als Kakashi abermals die Stimme erhob und sie zum Stocken brachte. Er sprach leise, kaum hörbar und Kyoko war sich nicht einmal sicher, ob die Worte an sie gerichtet waren.
„Und ich werde es nicht zulassen, dass noch einmal jemand unter meiner Führung stirbt."

Vorsichtig wandte er den Kopf zu der überraschten Kyoko. Er ärgerte sich, er hatte die Worte nicht laut aussprechen wollen, sie waren ihm irgendwie herausgerutscht. So etwas passierte ihm sonst nicht.
„Oh!" Es war kaum mehr als ein Hauchen, das ihren Lippen entwich. Gespannt beobachtete er wie sich ihre Züge veränderten. Sie war nicht mehr wütend, vielleicht ein wenig nachdenklich. Er fand es wirklich nützlich, dass man ihre Gefühle fast immer von ihrem Gesicht ablesen konnte, auch wenn es sich für einen Ninja vielleicht nicht gehörte. Es machte alles einfacher.
Und doch fühlte er sich nicht wohl dabei, wie sie ihn ansah, gerade so als würde sie ihn durchschauen. Als würden ihre blauen Augen ihn durchleuchten und hinter die Fassade sehen, die er sorgsam, um sich erschaffen hatte. Langsam hob er die Hand. Er wollte etwas zwischen sie bringen, irgendwas, das sie davon abbrachte ihn anzusehen, doch noch ehe er die Chance dazu hatte, wandte die Brünette ihren Blick eigenständig von ihm ab und sah aus dem Fenster. Ihr Blick war wehmütig geworden, als sie dabei zusah, wie die dicken Flocken tanzten.
„Ich habe sehr oft Albträume.", sagte sie schließlich leise ohne ihn anzusehen und ihm stockte der Atem. Wie kam sie denn nun darauf? Hatte sie ihm etwa angesehen, dass er nicht freiwillig aufgeblieben war. Hatte sie es erahnt?
„Ich sehe ihre Gesichter vor mir, sie flehen mich an ihnen zu helfen. Aber ich kann es nicht, bin wie angewurzelt. Orochimaru hält mich fest, lässt mich nicht zu ihnen und dann sterben sie direkt vor meinen Augen.", fuhr sie traurig fort und sein Auge weitete sich kaum merklich. Ihr Traum erinnerte ihn an die seinen. Auch er wurde von toten Gesichtern verfolgt und der Klage, dass er nichts dagegen unternommen hatte. Ihr schien es ähnlich zu gehen, dabei hatte sie doch gar keine Schuld an dem, was passiert war.
„Ich habe es dir glaube ich schon mal gesagt, aber ich fühle mich unglaublich schuldig für alles, was passiert ist. Ich hätte nicht einfach aufgeben dürfen, ich hätte schon so viel früher zurückkehren müssen." Sie seufzte leise und strich sich eine ihrer braunen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Kakashi fühlte sich unwohl. Er wusste nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte, wie er mit Kyoko umgehen sollte, die sich ihm einfach öffnete und über ihren Schmerz sprechen wollte. Und so unwohl er sich auch fühlte in dieser seltsamen Situation, so war er auch froh darüber, dass sie ihm anscheinend vertraute. Selbst dann, wenn der Sake ihr nicht die Sinne benebelte.
„Ich möchte meine Fehler gerne wieder gut machen, doch es ist zu spät.", fuhr sie fort und schmerzerfüllt schloss sie die Augen. Er betrachtete sie nur, wusste nicht, ob er etwas erwidern oder weiter schweigen sollte.
„Und ich bin mir sicher, dass es dir ähnlich geht." Sein Atem stockte abermals und er hob die Hand um sie zu unterbrechen, doch sie schüttelte nur den Kopf und sah zu ihm auf. In ihren Augen erkannte er die Trauer und eine Gänsehaut breitete sich auf seinem Körper aus. Konnte es sein, dass sie ihn verstand? Dass sie einen ähnlichen Schmerz mit ihm teilte.
„Aber weißt du, Kakashi, ich glaube wir sollten nach vorne sehen und sollten alles dafür geben sie stolz zu machen." Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen und sie schloss gedankenversunken die Augen. Er sah sie einfach nur an, konnte seinen Blick nicht von ihrem Gesicht abwenden. Diesen Schmerz, den er auf ihren Zügen lesen konnte, es war derselbe, den auch ihn erfüllte. Diese Machtlosigkeit und diese Reue, die auch er empfand, wenn er sich erinnerte. Sie verstand ihn. Sie konnte seinen Schmerz nachfühlen, wusste anscheinend genau was die Erinnerungen in ihm auslösten. Und auch er verstand sie. Sie hatte so viele Menschen verloren ohne die Chance ihnen irgendwie zu helfen. Es musste sie zerfressen, nicht zu wissen, ob sie es nicht hätte verhindern können. Obwohl sie doch eigentlich keine Schuld traf, schließlich war sie nicht freiwillig gegangen.
„Ich wette, sie schauen uns von da oben zu und regen sich darüber auf, dass wir uns von unseren Schuldgefühlen zerfressen lassen." Sie schmunzelte und öffnete ihre Augen wieder.
„Wir sind schon ziemliche Idioten." Sie sah zu ihm auf und eine angenehme Wärme umfing Kakashis Herz. Er erwiderte ihr Lächeln. Obwohl der Schmerz noch immer präsent war, fühlte er sich gut. Es war seltsam, doch irgendwie gaben Kyokos Worte einen Sinn. Vielleicht hatte sie wirklich recht, vielleicht sollten sie beide ihren Schmerz hinter sich lassen und nach vorne sehen.
Er spürte einen leichten Druck an seiner Schulter und blickte hinab, sah wie Kyoko eine ihrer Hände dort niedergelassen hatte. Sie lächelte noch immer, bevor sie den Blick wieder aus dem Fenster schweifen ließ. Er ließ seinen Blick noch einen kurzen Moment auf ihrer warmen Hand ruhen, bevor er ihrem Beispiel folgte und wieder dem Treiben vor der Scheibe zusah.

Das erste Mal, das erste Mal seit alle ihn verlassen hatten, fühlte er sich nicht ganz allein.

Kyoko Namikaze - Die Geschichte einer KämpferinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt