#126 - Endlich schlafen

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„Lass das", knurrte ich mein Hirn an und zog mich wieder mühsam aus meinen Erinnerungen, obwohl ich eigentlich am liebsten weiter darinnen schweben würde.

Sie waren so schön, sodass sie unendlich schmerzten.

Ich wollte zu ihm. Ich konnte ohne ihn nicht leben. Aber das nützte alles nichts. Ein Star blieb ein Star. ... aber ich kann doch nicht ohne ihn...

Ich schnappte nach Luft und schluckte die Tränen hinunter, die mir in die Augen steigen wollten. Unwillkürlich presste ich mein Gesicht in das Shirt und wäre beinahe umgekippt, weil mich sein Geruch so überwältigte.

Alles tat weh.

Mir tat alles so sehr weh, ich wäre am liebsten gestorben.

Wie hatte Mom vorhin gesagt: Liebe tut einfach nur verdammt weh... - oh ja, wie sie da mal wieder, wie immer Recht hatte. Es hatte damals bei Nico, diesem Arsch, schon wehgetan. Aber das war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den ich jetzt spürte... Es tat nicht nur seelisch weh, manchmal hatte ich wirklich das Gefühl, als würde sich mein Herzmuskel krampfhaft zusammenziehen...

Schwups, da hatte ich das T-Shirt auch schon an.

Ich weiß, das war einfach nur erbärmlich. Aber das war mir egal. Ich brauchte das jetzt, auch wenn es mich noch mehr umbrachte.

Ich tigerte zurück zu Papa ins Wohnzimmer und setzte mich neben ihn auf die Couch. Er sah sich irgendein Football-Spiel im Fernsehen an und las währenddessen Zeitung (das blöde Ding mit dem Artikel über ihn und mich drinnen).

Ich zwirbelte meine Haare zwischen meinen Fingern und starrte gedankenverloren durch die Gegend.

Plötzlich klarte sich mein Blick und sagte einfach aus dem Blauen heraus: „Papa, kann ich bei dir einziehen?"

„Bitte?", kam die perplexe Antwort und seine braunen Augen sahen mich skeptisch über den Rand der Zeitung an.

„Kann ich nicht hier bei dir einziehen?", wiederholte ich meine Frage und sah ihn geradeheraus an. Er wusste, dass ich das ernst meinte, deswegen ließ er seine Zeitung sinken und legte die Stirn in Falten.

„Sammy, möchtest du das wirklich?", stellte er die Gegenfrage, „alles zu Hause zurücklassen? Mama und Leo, Caro und Jana? Ilona und das Tanzen und so weiter? Außerdem beginnt dein Studium in zwei Wochen an der Uni?!"

„Ich kann doch genauso gut hier studieren", meinte ich schulterzuckend und hielt seinem bohrenden Blick stand. – Oh ja, diesen Blick kannte ich. Früher hatte er mich immer eingeschüchtert, aber heute nicht mehr.

„Am liebsten Tanz!", sagte ich begeistert und meine Augen fingen an zu leuchten.

Papa holte mich aber gleich wieder auf den Boden der Tatsachen: „Das geht aber nicht mehr dieses Semester. Erst wieder in einem Jahr, und dann musst du da erst einmal reinkommen! Was willst du dann dieses eine Jahr lang machen, wenn du nicht studierst?!?"

„Arbeiten und Geld verdienen", gab ich zurück. War doch logisch.

„Hier natürlich, in New York, versteht sich", setzte ich hinterher, damit da von Anfang an keine Missverständnisse aufkamen.

„Du bräuchtest erst einmal ein Visum, also eine Aufenthaltsgenehmigung von den USA", entgegnete Papa und ich verzog den Mund. Wieso musste er meinen Traum jetzt kaputt machen..?!

Er sah mir meine Enttäuschung wohl an, deswegen fuhr er mir sanft mit der Hand über den Rücken, als er meinte: „Mach das doch nächstes Jahr, Schatz, okay? Fang dein Studium in München an, und nebenbei kannst du dich ja immer noch hier für die Tanzakademien anmelden, wenn du das dann immer noch möchtest."

„Na gut...", murmelte ich. Er hatte ja Recht. Verdammt.

Ich gähnte herzhaft.

„Ab ins Bett mit dir, meine Liebe", kommentierte Papa sofort schmunzelnd. Langsam kam der Jetlag wohl doch bei mir an.

„Okay", gähnte ich schon wieder.

Er hatte Recht.

Ab ins Bett mit mir.

Endlich schlafen.

Als ich im Bett lag, griff ich doch nach meinem Handy. Fragt mich nicht, wieso.

Ich schaltete es wieder ein.

Als ich den Code eingegeben hatte, .... boooom sofort sahen mich seine grünen Augen an und mir stockte sofort der Atem.

Fuck, ich hatte ja immer noch unser Bild von den EMAs als Hintergrund.

Ich schluckte und ignorierte alle Nachrichten- und Anrufbenachrichtigungen, die angezeigt wurden. Mir doch egal, wer alles etwas von mir wollte.

Stattdessen tippte ich die Twitter-App an.

Klar, ich hoffte, dass ich irgendetwas von ihm finden würde. Wäre ja nicht das erste Mal, dass er etwas über mich twittert, dachte ich sarkastisch.

Ich scrollte mich durch die ganzen Nachrichten der letzten Tage (Gott sei Dank folgte ich nur um die 80 Leute und keinen 8.000) und war schon enttäuscht, als ich nichts fand.

Ich zog die Mundwinkel ein und ignorierte die pochende Wunde in meinem Herzen, die jetzt wieder anfing zu schmerzen.

Dann hielt mein Finger plötzlich von alleine an und ich starrte mit glasigen Augen auf mein Handy.

 

S.

 

Sehr einfallsreich, kommentierte Caros sarkastische Stimme in meinem Kopf postwendend. Ich ignorierte sie (obwohl sie natürlich Recht hatte).

Ich starrte minutenlang auf den Tweet.

Dann schloss ich die App, ohne nachzudenken, und ging in Instagram.

Dort fand ich nichts Interessantes.

Ich tippte verschiedene Leute an, sah, dass Niall irgendein Bild von einem riesigen Cheeseburger gepostet hatte, und was alle anderen Leute für Bilder der Welt zeigten.

Tapfer tippte ich seinen Namen in die Suchleiste und landete dann auf seinem Profil.

... Hey, da ist ja doch ein neues Bild!, schoss mir durch den Kopf.

Ich tippte es an – und ließ mein Handy fallen, das mit einem unschönen Geräusch auf meiner Nase landete, weil ich es mir im Liegen über mein Gesicht gehalten hatte.

Ich jaulte kurz auf wie ein gequältes Kätzchen und pflückte dann das dumme Ding mit zittrigen Fingern von meinem Gesicht.

Das war ich.

Naja, nur halb.

Aber das war ich.

Das war unser Bild von den EMAs – das, das auch meinen Handyhintergrund schmückte und mir ständig den Atem raubte – nur hatte er unsere Gesichter abgeschnitten und uns damit unkenntlich gemacht.

Ich starrte das Bild an und dachte an gar nichts.

Mein Hirn war nicht in der Lage, diese Informationen aufzunehmen.

Der Tweet und dieses Bild.

Es ging nicht in meinen Kopf rein.

Deswegen schaltete ich mein Handy in der nächsten Sekunde aus, ohne mich auch nur auszuloggen oder irgendwelche Anwendungen zu schließen. Ich legte mein Handy auf das Nachtkästchen und drehte ihm den Rücken zu.

Überraschenderweise fiel ich nach ein paar Minuten reglosen Daliegens in einen unangenehmen, unruhigen Schlaf.

Endlich schlafen.

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt