#54 - Chill, Caro

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Ich blieb noch einen Augenblick lang schweigend sitzen und starrte auf den Shake in meiner Hand.

Plötzlich kehrte das Leben in meine Muskeln zurück und ich knallte den Becher auf den Tisch, als wäre er persönlich für mein Leid zuständig.

„Fuck it", flüsterte ich heiser und verschwand aus dem Raum. Ich wollte nicht weiter darüber reden. Ich würde wahrscheinlich eh heute Abend zu Leo ins Zimmer gekrochen kommen und mich an trostsuchend an seine Schulter lehnen – aber jetzt hatte ich gerade keinen Nerv.

Ich ging durch den Gang zurück zu meinem Schreibtisch und mied absichtlich Moms Büro. Ich hatte wirklich keine Lust, mit irgendwem zu reden.

Niedergeschlagen plumpste ich auf meinen Schreibtischstuhl und blieb wie ein Häufchen Elend dort sitzen. Ich biss mir von innen auf die Wangen, um die Tränen zurückzuhalten.

...geantwortet, dass er mich versteht, dass ich so denke, aber dass das nicht der Fall sein wird. Er spürt genau, dass ihr euch wiedersehen werdet und er wird nicht aufgeben...

Leos Worte hallten in meinem Kopf wieder und nisteten sich in meinem Herzen ein. Die Worte waren Balsam für meine geschundene Seele. Er hatte gesagt, er würde nicht aufgeben. Das hörte sich ja irgendwie gleich anders an.

Aber wer garantierte mir, dass er das am Telefon ernst gemeint hat und dass das nicht nur ein Spiel für ihn war?

Ich wurde immer verwirrter. Ich hatte keine Ahnung mehr, wo mir der Kopf stand.

Stöhnend ließ ich meinen Kopf in den Nacken fallen und starrte ausdruckslos an die Decke. Nach ein paar Sekunden meldete sich meine Tasche zu Wort. Beziehungsweise besser gesagt mein Handy.

Ich richtete mich wieder auf und meine Hände suchten automatisch nach meinem Handy, ohne dass ich irgendetwas wahrnahm.

Klar, Caro. Wer sonst.

‚Alles klar bei dir? '

Witzig, Caro.

‚Ja klar :) Ich sterbe nur bald an Liebeskummer und herzbedingter Verwirrung, aber macht nichts! :)'

Sofort kam postwenden die Antwort.

‚Ich liebe deinen schwarzen Humor ja eigentlich, aber das hier ist Galgenhumor, und den find ich wiederum beängstigend und alarmierend. Ist was Neues passiert?'

‚Naja Leo hat mir jetzt den Inhalt der Telefonate erzählt'

‚WAS FÜR TELEFONATE??!?!?!'

Oh. Shit. Ertappt verzog ich den Mund. Das hatte ich irgendwie vergessen zu erzählen.

‚SAMANTHA FERRONI  WAS FÜR TELEFONATE??!??!?!'

‚Chill Caro, Harry hat hier im Büro angerufen und Leo hat mit ihm geredet'

‚NIX CHILL!!! Ja UND????'

‚Mom wusste Bescheid, dass ich nicht will, dass er irgendetwas über mich erfährt. Also hat Leo die ersten beiden Male einfach aufgelegt (unfreundlicher Penner) und nichts gesagt. Und beim dritten Mal hat Harry gefragt, wieso er mich nicht kontaktieren darf. Leo hat gesagt er weiß es nicht und Harry soll's doch einfach aufgeben, schließlich sehen wir uns ja nie wieder. Da hat er dann nur gemeint, dass er das nicht so sieht und dass wir uns bestimmt wiedersehen und dass er nicht aufgibt.

Und jetzt erschieß mich bitte, Caro.'

Nachdem ich das abgeschickt hatte, lehnte ich mich wieder zurück und starrte an die Decke. Nach zwei Minuten war immer noch keine Antwort da. Verwirrt nahm ich mein Handy und tippte auf Caros Chat. Sie wurde als online angezeigt, aber schrieb nicht.

‚Caro?'

‚Sorry, bin baff.'

Ja, was meinst du, wie es mir geht, meine Liebe...

‚Sam, ich check jetzt echt GAR nichts mehr?!? – Haha aber er hat Recht, ihr seht euch wirklich wieder :P'

Ich verdrehte die Augen. ‚Ja, schon, aber das weiß er doch nicht! Und was glaubst du, wie verwirrt ich bin...'

‚Wann hast du Feierabend?', fragte sie. Ach ja, ihr Auto stand ja noch bei uns.

‚Keine Ahnung, Mom meinte, ich muss heute nicht lange machen.'

‚Gut, sag Bescheid, wenn du daheim bist, dann komm ich :)'

‚Geht klar :*'

Ich legte mein Handy weg, stellte sowohl Ton als auch Vibration aus und legte es mit dem Display nach unten auf den Tisch. Ich wollte meine Ruhe haben.

Ich schaute kurz bei Mom im Büro vorbei und erklärte ihr entschuldigend, dass ich ihr heute Abend erzählen würde, was gestern los war. Sie nickte nur verständnisvoll, lächelte mich an und ließ mich meine Arbeit machen.

Nach ein paar Stunden kam sie dann zu mir heraus und eröffnete mir: „Ab nach Hause mit dir. Du siehst schrecklich aus, meine Kleine. Augenringe bis zu den Knien und weißer als jede weiße Wand."

„Danke, Mom, du bist so charmant, man könnte fast meinen, Leo steht vor mir", gab ich trocken zurück und streckte ihr die Zunge raus.

Sie lachte und kam zu mir her, um mich zu umarmen. Als ich meine paar Sachen zusammengepackt hatte, brachte sie mich bis zum Fahrstuhl, drückte mir einen Kuss auf die Stirn und meinte: „Wenn ich nicht wüsste, dass Caro kommen wird, um ihr Auto zu holen, würde ich dich nie alleine heimfahren lassen. Ich möchte nicht, dass du jetzt alleine bist. Also sag meiner Adoptivtochter, dass sie gerne heute Abend mitessen kann und so lange bleiben kann, wie sie will."

„Mach ich", antwortete ich noch schnell und winkte, als die Fahrstuhltür sich schloss.

Caro war wirklich schon das dritte Kind unserer Familie. Sie kam zu sämtlichen Familienfeiern mit und meine alten schrulligen Großtanten liebten sie über alles. Wenigstens ließen sie mich dann immer in Ruhe, dachte ich grinsend, und stieg in die S-Bahn, um endlich wieder in mein weiches Bett kriechen zu können.

HeartbeatWhere stories live. Discover now