#42 - Time to dance!

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Ilona sah mich an und grinste mich an. Ich wusste genau, was sie dachte.

Wir kamen uns vor wie in einem Step-Up-Film. Die coolste Tanzcrew des Films, die jetzt auf die Tanzfläche zusteuert und den besten Auftritt ihres Lebens hinlegen würde.

Na hoffentlich fall ich nicht auf die Schnauze, dachte ich schnaubend.

Die anderen blieben alle hinter dem DJ in einer kleinen Nische stehen und ich ging auf die Suche nach René. Ich fand ihn natürlich – tam tam tammm – bei Nico. Ich ignorierte den bekloppten blonden Kerl, wandte mich stattdessen René zu, der mich schon aufgeregt und erwartungsvoll ansah und sagte leise in sein Ohr, sodass es keiner hören konnte: „Also wir sind bereit. Wann sollen wir?"

„Jetzt sofort!!", antwortete er und strahlte mich an. Er zog mich in eine warme Umarmung und meinte: „Ach, Sam, das ist echt derbe cool von euch, dass ihr das macht!"

Ich grinste und löste mich von ihm. „Hey, wir haben nicht oft die Chance, vor einer so großen, hoffentlich begeisterten Menge zu tanzen!"

Ich lächelte ihm noch einmal kurz zu und ging dann zu Caro rüber, die ich schon entdeckt hatte. Sie stand bei ein paar Leuten, die wir aus der Schule kannten. Ich begrüßte sie alle und drehte mich dann zu Caro und hielt ihr mein Handy, meinen Autoschlüssel und den Führerschein hin. Die Sachen würde ich beim Tanzen nur verlieren.

„Kannst du bitte filmen?"

Sie strahlte, griff nach meinem Zeug, stopfte Schlüssel und Führerschein in ihre Tasche, behielt mein iPhone in der Hand und sagte begeistert: „Na klar! Nichts lieber als das!!"

„Cool, danke", sagte ich und drückte ihr noch schnell einen Kuss auf die Wange.

Ich kämpfte mich wieder rüber zu meiner Crew und machte den DJ auf mich aufmerksam. Er sah mich erst ein wenig misstrauisch an, aber als ich ihm erklärte, was wir vorhatten, war er sofort auch begeistert. (Wieso waren alle eigentlich so Feuer und Flamme? So besonders waren wir jetzt auch nicht...)

Ich nannte ihm die Songs, die wir haben wollten, und ich war echt froh, dass er sie alle auf seinem MacBook hatte. Ich erklärte ihm in den nächsten Minuten, wie lange er welchen Song spielen lassen musste. Wir vereinbarten, dass er jedes Mal drei Sekunden Stille zwischen den Songs lassen würde, damit wir wieder rechtzeitig mit der neuen Choreo anfangen konnten und den Einsatz nicht verpassen würden (was nämlich so ungefähr das ALLERpeinlichste ist, was es auf der Welt gibt).

So, jetzt war es also so weit. Mein Herz fing an, wild zu klopfen. Aber nicht, weil ich aufgeregt war, sondern weil ich mich so wahnsinnig freute.

Der DJ unterbrach die Musik mit einem sanften Fade-Out des Songs, wofür er erst einmal ein paar Buuh-Rufe und Pfiffe erntete. Er griff nach seinem Mikro und heizte der Menge erst einmal richtig ein. Dann kündigte er uns an und der Club begann zu brodeln.

Okay, anscheinend waren wir doch etwas Besonderes. Wahnsinn, dass uns doch so viele Leute kannten!

Die Tanzfläche wurde so weit geräumt, dass wir genug Platz hatten, um zu performen. Die Leute stellten sich auf die Treppen oder nahmen sich gegenseitig ganz hinten sogar auf die Schultern.

Als wir unsere Ausgangsposen eingenommen hatten, blickte ich kurz nach oben und sah, dass sich etliche Leute von den beiden Galerien nach unten beugten, damit sie uns sehen konnten. Überall sah ich Handykameras, die auf uns gerichtet waren. Jeder wollte uns filmen und fotografieren. Mein Herz machte einen großen Hüpfer und ich wurde hibbelig. Ich würde die nächste Viertelstunde genießen, scheißegal, wie schlecht es mir eigentlich ging.

Das war jetzt mein Moment.

Der DJ spielte vier Schlagzeug-Beats ab – und Rihannas Song begann, in voller Lautstärke aus den Boxen zu knallen.

Wir tanzten uns die Seele aus dem Leib.

Danach folgte Justins Song, der eine ziemlich aufreizende Choreo hatte und die Menge fing an, immer mehr zu toben. Nach Beggin' von Madcon und Radioactive waren wir fertig. Kaum hatten wir die letzte Bewegung gemacht, schon stürmten die Leute auf uns zu und wir wurden in die Lüfte gehoben und unzählige Hände hielten uns oben.

Ilona und ich waren in der Mitte und ich konnte nicht fassen, dass das wirklich gerade mit uns geschah. Der DJ versuchte, die Leute über sein Mikro zu beruhigen, aber er musste er erst einen ruhigeren Song spielen, damit sie ein wenig herunterkamen und auch uns herunterließen.

Sofort wurde ich von wildfremden Leuten gepackt und umarmt und was nicht sonst noch alles. Ich war so durchströmt von Adrenalin, dass ich nur noch strahlte und mir das nicht mal was ausmachte, dass mir sämtliche Leute Küsse auf meine Wangen, Stirn und Kopf pflanzten – aber ich wusste, dass ich heute Nacht, wenn ich zu Hause war, auf jeden Fall noch duschen gehen würde.

Plötzlich umarmte mich jemand, ließ mich nicht mehr los und schrie mir ins Ohr: „Danke danke danke danke danke danke dankeeeee! Sam, das war der Hammer!! Das muss in YouTube und dann müssen euch Talent-Scouts finden, damit ihr weltberühmt werdet!!"

Ich lachte und befreite mich aus Renés Umarmung. „Ja, das wär ziemlich cool!", meinte ich und strahlte ihn an.

Aber ich wusste genau, dass daraus nichts wurde. Ich war keine, die sich so ein Starleben ausmalte, ich blieb lieber realistisch.

Ich kämpfte mich langsam durch die Menge zu Caro durch, die während unserem Auftritt zwar ganz vorne gestanden hatte, damit sie filmen konnte, aber nachdem wir fertig waren, hatte sie sich schnell an den Rand der Tanzfläche geflüchtet.

„Oh Gott, ihr wart so gut!! So gut hab ich euch noch nie gesehen! Und ich hab euch schon echt oft gesehen! Ihr haut mich jedes Mal einfach wieder um!"

Sie umarmte mich minutenlang und ich erwiderte ihre Umarmung, weil ich gerade einfach so wahnsinnig glücklich war. So glücklich, dass ich nicht einmal an den grünäugigen Kerl und meinen Liebeskummer dachte. Ich dachte auch nicht daran, dass ich ihn in ungefähr 30 Stunden sehen würde und dass ich keine Ahnung hatte, was ich machen sollte oder wie ich reagieren sollte – am besten würde ich vorher sterben, dann musste ich mich nicht mehr mit dieser Frage herumquälen.

Mir schoss ein leiser Gedanke durch den Kopf: Wie schön wäre es gewesen, wenn er hier gewesen wäre und mir zugesehen hätte...

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt