#13 - Salzsäule

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„Passt. Jetzt komm!", flüsterte ich.

Wir hatten uns zu einem günstigen Augenblick nach drinnen geschlichen. Der Eingang war wohl der allgemeine Angestellteneingang, denn direkt neben der Tür hingen Schürzen und schwarze Jacken.

Perfekt. Nun sahen wir also beide aus wie Angestellte dieses Hotels. Das einzige, was nicht passte, waren Janas kunterbunten One-Direction-Schuhe. Naja, sahen wir einfach mal darüber hinweg.

Langsam liefen wir wachsam durch den Gang. Wir kamen in einen großen Raum. Von überall führten Treppen hinauf und hinunter aus dieser Halle. Holla, der Laden war ja doch nicht so klein, wie er von außen aussah!

Ich entdeckte die Eingangstür, vor der wir vorhin ja schon gestanden hatten und so freundlich hinausbegleitet worden waren. Aha, dann war das hier wohl die Eingangshalle.

Oh Shit, die Eingangshalle!?! Ich schubste Jana rückwärts zurück in den Gang. Auffälliger ging es ja kaum!

Sie hatte es sofort verstanden und wir beide erstarrten zu Salzsäulen.

Shit, shit, shit, und jetzt?...

Wir liefen ein Stück weiter den Gang zurück. Ich schaute mich um. Schräg hinter uns führte eine steile Wendeltreppe hinauf in den ersten Stock. Sie sah aus, als wäre sie auch für die Angestellten gedacht. Ich stupste Jana an und deutete mit dem Kopf in Richtung Treppe.

Als wir am Fuß angekommen waren, hörten wir von oben Schritte.

Verdammt! Hektisch sah ich mich um und entdeckte eine angelehnte Tür, die ungefähr sieben Meter entfernt war. Ich sprintete auf sie zu mit Jana an meinen Fersen. Im allerletzten Augenblick zog ich sie hinter mir in die kleine Putzkammer. Ich legte meine Hände über ihren und über meinen Mund, damit man uns draußen ja nicht hören konnte. Abermals verwandelten wir uns in Salzsäulen, um ja kein Geräusch von uns zu geben.

Wir konnten die Schritte deutlich auf dem Steinboden hören. Sie kamen in unsere Richtung. Bitte lass die Person vorbeigehen, bitte, betete ich. Als die Schritte verklungen waren, nahm ich meine Hand von unseren Mündern und atmete tief durch.

Mann, das war knapp.

Ich stieß die Tür ein paar Zentimeter auf und spähte durch den Schlitz. Niemand zu sehen. Himmel, wir mussten wirklich vorsichtiger sein!

Ich drückte die Tür ganz auf und vergewisserte mich nochmals, ob der Gang leer war. Dann schlichen wir wieder auf die Treppe zu.

Ich schloss kurz die Augen.

Alles oder nichts. Jetzt oder nie, dachte ich und setzte den ersten Fuß auf die Treppe.

Wir huschten wie zwei Schatten nach oben. Dort angekommen blieben wir erst einmal im Treppeneingang stehen, wo wir einigermaßen verborgen waren. Wie Salzsäulen, aber das brauche ich wahrscheinlich nicht erwähnen.

Ich drehte meinen Kopf zu Jana, die hinter mir stand. „Und jetzt?", fragte ich zischend.

Sie hatte natürlich auch keinen blassen Schimmer.

Nach weiteren fünf Minuten schweigenden Grübelns waren wir immer noch keinen Schritt geschweige denn Gedanken weiter.

„Okay, irgendwas müssen wir jetzt machen. Hier stehen bleiben nützt uns auch nichts", seufzte ich leise, „entweder wir gehen wieder nach unten und hauen ab, bevor wir erwischt werden, oder wir müssen einen Plan entwickeln, wie wir sie finden können."

Jana sah mich an und verzog den Mund. Ich wusste genau, was sie dachte. Sie wollte nicht gehen, allerdings kam ihr auch kein Gedankenblitz mit der zündenden Idee.

Ich sah auf meine Uhr.

„Oh Gott, es ist 13:26 Uhr", sagte ich aufgeregt. In vier Minuten sollte die Pressekonferenz losgehen.

Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch in dem Augenblick kamen ein paar Leute die Treppe in der Mitte der Halle hoch. Okay, die wollten eindeutig zur Pressekonferenz. Unter ihnen war auch der Mann, der vorhin an uns vorbeigehetzt war.

Als wäre das Hotel jetzt aufgewacht, ging eine massive hohe Holztür gegenüber von uns auf und es kamen noch mehr Leute in Anzug und Krawatte heraus. Sie gingen alle auf die Tür an der Wand zu unserer Linken zu.

Ich sah wie ein gehetztes Tier zwischen der Tür und Jana hin und her.

Oh Gott, Sam, was machst du hier nur!

„Scheiße, das wird verdammt schwer", murmelte Jana und betrachtete den Weg zwischen unserem Treppenaufgang und der heiligen Tür.

Der Tür, hinter der sich Harry höchstwahrscheinlich genau in diesem Moment befand.

Die Schmetterlinge ließen nun den Salsa aus und gingen gleich zu einem wilden Stepptanz über. Ich presste mir beide Hände auf den Bauch.

„Selbst wenn wir da hineinkommen sollten, fallen wir da drinnen auf wie zwei bunte Hunde und dann fliegen wir raus und die Kacke wird dann so richtig am Dampfen sein!", gab ich zu bedenken. Und ich hatte ja leider auch recht...

Weiter konnte ich nicht denken, denn im nächsten Moment wäre mir beinahe das Herz stehen geblieben, denn haargenau neben uns kamen plötzlich Leute aus der Wand.

So sah es zumindest aus, bis ich kapierte, dass wir uns exakt neben einer Fahrstuhltür befanden. Wir drückten uns tiefer in den Schatten des Treppenaufgangs. Salzsäulen Nummer 4.

Die Leute, die aus dem Aufzug kamen, bemerkten uns nicht. Sie liefen auf die Tür zu und gingen hinein.

Jana strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die ihr während unserer Starre ins Gesicht gerutscht war, zur Seite.

Genau in diesem Moment drehte sich der letzte Mann um, um die Tür hinter sich zu schließen – und bemerkte Janas Bewegung.

Shit.

Panisch sah ich mich um und wollte flüchten, als er gehässig rief: „Du brauchst gar nicht an Flucht denken, du kommst nicht weit! Wir kriegen euch so oder so, und dann seid ihr so richtig dran!"

Er lief mit stampfenden Schritten auf uns zu. Meine Gedanken überschlugen sich und ich wägte die beiden Möglichkeiten ab, die uns blieben – fliehen oder uns stellen.

Ersteres würde schlechter für uns enden, denn der Mann hatte Recht, sie würden uns so oder so kriegen. Also gab ich den Widerstand auf und presste meine Lippen zu einem dünnen Strich aufeinander.

Als er bei uns angekommen war, griff er (genauso wie die Sicherheitsmänner vorhin) nach unseren Oberarmen. Ich hätte am liebsten losgekotzt, so sehr hasste ich es, wenn mich jemand so behandelte.

Er führte uns auf den Aufzug zu und bugsierte uns hinein. Ich sah zu Jana und bemerkte, dass sie versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken. Ich senkte den Blick. Verdammt, wo hatten wir uns jetzt schon wieder hineingeritten.

Der Mann drückte auf das „E" an der Aufzugsanzeige, und genau zeitgleich ging auf der anderen Seite des Raumes die Holztür zum zweiten Mal auf und es kamen fünf Leute hinaus.

Ich musste mich an der Aufzugswand festhalten und unterdrückte ein Keuchen.

Ich kannte sie nämlich alle fünf bestens.

Der Aufzug ruckelte ein wenig und die Türen begannen sich zu schließen.

Er lief in der Mitte der fünf.

Er sah auf den Boden, doch plötzlich sah er auf und mir direkt in die Augen. Grün traf grün.

Im letzten Augenblick öffnete er seinen Mund ungläubig, als wollte er etwas rufen...  -  BUMM.

Die Türen schlossen sich.

Und er war fort.

Wieder.

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt