#119 - Lebensleer

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Das war das erste Mal, dass ich wirklich aktiv dachte, seit ich heute Morgen in diesem vermaledeiten Hotelzimmer aufgewacht bin. Sonst befand sich mein Hirn immer noch in seinem Totenzustand.

Jana schluckte hörbar und bekam im ersten Moment keinen Ton heraus. Ich öffnete die Augen einen Spalt und sah, dass sie nur mit den Schultern zuckte und kleinlaut und mit schwacher Stimme meinte: „Ich hab Einbrecherfähigkeiten und kann Türschlösser mit Haarnadeln öffnen."

Ich zog langsam eine Augenbraue hoch und sie setzte als Erklärung hinterher: „Manu hat doch früher so gerne Zaubertricks gemacht, und das hat er mir vor ein paar Jahren beigebracht. Ich konnte diesen Trick noch nie anwenden ...bis heute."

Sie sah mich an und zog die Mundwinkel nach unten.

„Wie lange war ich bewusstlos?", fragte ich tonlos und ließ den leeren Blick meiner hellgrünen, ausdruckslosen, lebensleeren Augen ziellos herumschweifen.

Wieso fragte ich das überhaupt. Es war doch eh egal.

Eigentlich war ich traurig darüber, dass ich überhaupt aufgewacht war.

Jana schielte über meine Schulter auf meinen Wecker und meinte: „sechseinhalb Minuten."

Oh, nur.

Schade.

Meine Zimmertür öffnete sich plötzlich geräuschlos und in der nächsten Sekunde steckte Mom ihren Kopf durch den Spalt. Sie schniefte einmal und ich sah ihre rot geweinten Augen. Mit leiser Stimme sagte sie: „Gott sei Dank, du bist wieder wach..."

Keiner von uns beiden reagierte.

Mom zögerte, bevor sie weitersprach: „Sam... da ist jemand für dich."

Ich sah sie einfach nur an. Ohne jegliches Interesse oder Regung.

„Caro ist da."

Meine Schultern sackten nach unten.

„Schick sie weg", sagte ich monoton.

„Geht nicht", meinte Mom und verzog schuldbewusst leicht den Mund, „sie steht hier exakt hinter mir."

„Ist mir egal, sie soll gehen."

Ich wollte nicht mit irgendetwas konfrontiert werden. Schon dreimal nicht mit meiner besten Freundin, die mir so eiskalt in den Rücken gefallen war.

Naja, jetzt war sie eben da...

Mom verschwand und Caro trat jetzt an die Stelle, an der Mom gerade noch gestanden hatte. Mit einem Satz war sie in der nächsten Millisekunde bei mir und Jana und schlang ihre Arme um mich. Sie weinte genauso hemmungslos wie ich. Ich spürte, wie mir ein wenig wärmer wurde.

Caro blieb einfach Caro.

Wie sagt man so schön – eine Freundschaft wächst an ihren Höhen und Tiefen... eine Freundschaft festigt sich durch alle Tiefs, die man zusammen erlebt hat...

Ich klammerte mich einfach an Caro und schloss die Augen. Ich drohte schon wieder, in Ohnmacht zu fallen, aber ich schaffte mit aller Willenskraft, dass ich bei Bewusstsein blieb, obwohl mir schon wieder schwindelig wurde.

Caros und mein Streit kam mir vor wie eine Nichtigkeit, wenn man es damit verglich, was passiert war...

Mein Hirn verweigerte sofort wieder den Dienst und verfiel zurück in seinen Totenschlaf. Ich konnte nicht daran denken.

Daran.

Ich glaubte es auch nicht.

Es konnte nicht wahr sein.

Ich spürte Caros Körper alle paar Sekunden erzittern.

Sie war genauso wenig wie ich in der Lage, einen Ton von sich zu geben.

Mein Rücken wurde jetzt auch warm, und ich wusste, dass Jana mich jetzt von hinten umarmte. Caro wiegte uns drei sanft hin und her, während wir alle weinten.

Mein Leben war zu Ende.

Verdammte Scheiße, das kann nicht wahr sein!!! Jetzt habe ich so lange gebraucht, um ihn zu finden, und jetzt .... jetzt.... Ich konnte nicht fertig denken. Ich konnte diesen Satz einfach nicht abschließen.

Könnt ihr euch erinnern, dass ich mein Herz immer entweder als Splitterhaufen oder als zerbrochenes Herz mit einem riesengroßen Loch beschrieben hatte?

Davon war jetzt überhaupt nichts mehr da.

Ich besaß kein Herz mehr.

Es war in dem Moment von dieser Erde gegangen, als er gegangen ist.

Er hat es mitgenommen.

Ich wusste, dass ich nie wieder in meinem Leben glücklich werden würde.

Plötzlich zuckten wir alle drei heftig zusammen, als wir einen schrillen Schrei durchs Haus gellen hörten, der gar nicht so weit entfernt klang.

HeartbeatWhere stories live. Discover now