12.

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Diesen Nachmittag wurde mir die Aufgabe zugeteilt mich um Merle zu kümmern. Papa musste wieder arbeiten und Mama zum Friseur, zum einkaufen und mit ihrer Freundin ein Kaffee trinken zu gehen (was sehr lange dauern kann). Vielleicht bin ich 17 und in einer Phase wo Eltern gerne mal schwierig werden, aber dennoch versuche ich ihnen so oft es geht unter die Arme zu greifen. Klar, sie lassen mir auch noch meinen Freiraum und wollen mir nicht die ganze Zeit Merle aufdrehen, aber ich mache es gerne.

,,Das ist bäh Mer“ ich nehme ihr das Holz Auto was sie sich versucht hat in den Mund zu stecken aus der Hand. Momentan hat sie die Es-sieht-alles-so-lecker-aus Phase. ,,Eklig, das isst man nicht“ sage ich streng. Merles Augen fangen an zu schimmern und ihr Tränenwasserfall geht einen Moment später los. Auf ihrem kleinen Pullover steht eingraviert: Wenn ich was will, dann schreie ich.

Das hat sie sich wohl ein wenig zu ernst genommen...

Seufzend hebe ich sie auf meinen Schoß. ,,Hoppe, hoppe Reiter, wenn er fällt dann-“

... klingelt er.

,,Wir bekommen Besuch Merle“, als würde sie mich verstehen hört sie auf zu weinen und sieht mich unter ihren langen Wimpern neugierig an. ,,Wollen wir mal gucken wer das ist?“ frage ich sie in meiner 'Ich-bin-ein-Kind'-Stimme. Sie nickt enthusiastisch und krallt ihre kleinen Patscher in meinen Arm.

Ich stehe mit ihr auf und halte sie an meiner Hüfte. Vorsichtig steige ich über eine ihrer Puppen und Rasseln und laufe zur Haustür. Durch die milchigen Glasscheiben kann ich nur die Umrisse einer männlichen Statue erkennen.

Ich öffne etwas unbeholfen weil Merle auf meinem Arm herumzappelt die Tür.

Fynn steht davor. In Jeans und Jacke. Mit zerzausten Haaren, strahlend blauen Augen und einem Grinsen auf dem Gesicht.

,,Was machst du denn hier?“ Ich sehe ihn verwundert an.

,,Ich wollte nur mal vorbei schauen.“ Er läuft an mir vorbei und sieht sich dabei neugierig um.

,,Klar komm doch rein.“ Meinen sarkastischen Ton ignoriert er wohl.

,,Nett habt ihr es hier“, er sieht sich gerade ein Foto von unserer Familie an welches am Treppenabsatz hängt.

,,Ich weiß“, ich stelle mich neben ihn. Keine gute Idee wie ich feststellen muss. Merle schwingt sich nach hinten und zieht belustigt an Fynns Haaren.

,,Aua“, er versucht sich von ihrem Griff zu lösen, doch nur ungern wollte man die kleinen Greifer eines Kindes so wegzerren, dass es ihnen wehtat. ,,Sag deiner Schwester bitte mal dass sie mich los lassen soll.“

,,Oh sie hat da ganz ihren eigenen Kopf, aber vielleicht versteht ihr euch ja besser wenn du sie mal nimmst“, ich drücke ihm Merle in die Arme.

Völlig unbeholfen sieht er von ihr zu mir und wieder zu ihr. ,,Was soll ich jetzt machen?“

,,Lass sie fallen.“

,,Was!?“ er sieht mich entgeistert an.

,,Das war ein Scherz“, ich verdrehe die Augen und kann mir ein Grinsen nicht unterdrücken. Sein Blick war unbezahlbar. ,,Setz dich auf die Treppe, sing ihr etwas vor oder kitzele sie.“

Fynn hört ausnahmsweise mal auf mich und setzt sich mit Schuhen und Jacke bekleidet auf die Treppenstufe und setzt Merle sich auf den Schoß.

,,Was soll ich denn singen?“ er sieht mich mit gequältem Ausdruck an. ,,Ich kenne nur Rap.“

,,Oh Freundchen“, ich hebe den Zeigefinger hoch. ,,Wag es nicht auch nur irgendeins dieser nicht jugendfreien Wörter vor Merle in den Mund zu nehmen“.

Er grinst mich an. ,,Deine Schwester die hat ein Stock im Arsch“, ich kneife die Augen misstrauisch zusammen. Er grinst mich an. ,,Deswegen ist sie zu mir auch immer so barsch. Deine Schwester die hat ne große Klappe, und benimmt sich manchmal wie 'ne Ratte“, ich muss mir wirklich ein Grinsen verkneifen, ich habe noch nie jemand so schlecht reimen gehört. Noch nie.

,,Du bist ein miserabler Reimer“, sage ich.

,,Na dann los, du bist dran“, er sieht mich provokant an. ,,Mal sehen ob du es besser kannst“

Ich bin Reim-Meisterin seit klein auf! Der wird sein blaues Wunder erleben!

,,Willst du dir den Tag versaun, musst du in den Spiegel schauen.“

Er sieht mich sprachlos an. Tja Mister-Ich-Kann-alles, was sagst du dazu? Provokant hebe ich eine Augenbraue.

,,Wir brennen hell und dann sind wir verschwunden. Nehmen nichts mit, nur diese paar perfekten Sekunden.“

,,Prinz Pi kann ich auch zitieren“, verdrehe ich die Augen und denke einen Moment nach. ,,Das Feuer braucht niemand sehen, nur den Schein an der Wand und wenn es brennt, lass es brennen, lass es brennen verdammt!“ Merle scheint völlig fasziniert zu sein von unserem kleinen Battle.

,,Nicht schlecht“, kommentiert Fynn und stellt sich mit Merle auf. ,,Ich warte dass mein Leben beginnt und ich weiß was ich will und ich weiß wer ich bin“ er tritt einen großen Schritt auf mich zu und steht plötzlich ganz nah bei mir.

Die Luft um uns wird dünner und ich habe das Gefühl das sein Blick mir bis in die Seele hinein sieht. Warum ist es hier plötzlich so heiß? Spüre nur ich das, oder wurde der Kaminofen nochmal angeheizt? Bin ich jetzt auch schon paranoid und höre es knistern? Ja, ja ich muss paranoid. Fynn kommt wieder einen Schritt auf mich zu, jetzt stoßt mir schon Merles Fuß an meine Brust. Sein mir all zu bekanntes Aftershave steigt mir in die Nase. Warum muss er so gut aussehen, und dabei auch noch so gut riechen? Die Welt ist so unfair. Merle hält sich gespannt an Fynns Jacke fest.

,,Wenn das Abendlicht in genau dieser Farbe ist, dann ist ein Loch in der Luft wo du standest, hörst du nicht wo du bist?“ flüstere ich, nein, krächze ich schon fast, weil meine Stimme nicht lauter geht und mir ein riesen Frosch im Hals steckt. Gott, ich muss hier irgendwie weg kommen, sonst passiert noch etwas, was nicht passieren sollte!

,,Sturkopf seit klein auf, links rein, rechts raus, richtig ich scheiß drauf“, jetzt sieht er mich noch intensiver an, seine Hand streicht mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr. Mein Magen schlägt Purzelbäume und ein ungewohntes Gefühl schlängelt sich durch meinen Bauch.

,,Und die Moral der Geschicht' ich bin cool du leider nicht“, sage ich mit kräftigerer Stimme als zuvor und trete einen Schritt nach hinten. Ich sehe ihn triumphierend an. Bähm! Jetzt fällt dir nichts mehr ein! Er tritt einen Schritt taumelnd zurück.

,,Gut du hast gewonnen“, ergibt er sich mit einem undeutbaren Blick.

Ich springe jubelnd in die Luft! Vielleicht kann Fynn Ski fahren, Schwimmen, Verbände wechseln und gut aussehen, aber ich kann reimen, whuup! Ich kann besser reimen als er, diesen Tag sollte ich mir markieren. 

Er sieht mir dabei Kopf schüttelnd mit einem Lächeln auf den Lippen zu wie ich in die Hände klatsche und mich erfreut um mich selbst drehe. Ich bin nicht verrückt, wenn ihr das jetzt denkt.

Leider findet Merle das nicht so toll wie ich und fängt wieder an zu weinen und zu schreien. Dieses Mädchen hat schlimmere Stimmungsschwankungen wie ich wenn ich meine Tage habe.

,,Was soll ich machen?“ Fynn will mir Merle überfordert reichen doch ich schüttele nur den Kopf, das kann er jetzt mal machen.

,,Sing“, fordere ich ihn auf und beende meine kleine Tanzeinlage.

Das wird ein Spaß, Fynn kann vielleicht Ski fahren, schwimmen, Verbände wechseln und gut aussehen, aber mit Sicherheit nicht singen! Niemals! Innerlich bereite ich mich schon auf einen Lachkrampf vor.


Vielleicht mag ich dich ja morgen? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt