Die erste Verwandlung

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Mein Vater und Chito waren gegangen und hatten mich mit Leander alleine im Trainingsraum zurück gelassen. Er sollte mich nun trainieren, aber irgendwie klappte das nicht so gut. Auf dem Video was ich gesehen habe hatte ich das Schwert gehoben und als ich es runtersausenlassen habe ging eine lange sehr dünne Wand ca. einen Meter hoch und von wirbelnden Rosenblättern umgeben durch den Raum und schnitt den Boden auf. Aber egal wie sehr ich es auch versuchte, es klappte kein zweites Mal. Leander hatte sich daher nur noch an die Wand gelehnt und starrte in die Luft. Ich wollte es diesem Vollidioten zeigen, aber ich schaffte es nicht Rosenblut richtig zu führen. Ständig verlor ich das Gleichgewicht. Ich hatte das Gefühl, dass unsere Seelen überhaupt nicht im Einklang waren.  Wieso wollte es nicht funktionieren? Wir machen erst weiter wenn du gelernt hast dein Schwert zu führen, hatte Leander gesagt. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, dass er doch mal versuchen sollte Rosenblut zu schwingen, aber dann hätte er mich nur schief angesehen und mit seinem besserwisserischen Ton gesagt, das ein Schwert sich nur von einem Krieger schwingen lässt. Hätte es daher nicht eigentlich total einfach sein müssen? Hätte es nicht gerade deswegen gut funktionieren müssen? Ich seufzte und setzte mich auf den Boden. Leander blickte auf: „Du gibst jetzt schon auf?“ Ich ihn zischend an: „Was heißt ihr jetzt schon, ich stehe hier jetzt schon seit einer Stunde und es ist rein gar nichts passiert. Was soll ich denn noch machen?!“ Leander schüttelte den Kopf. Seine Art trieb mich gerade zu  in den Wahnsinn, aber ich versuchte ruhig zu bleiben. Er stellte sich mir gegenüber: „Du musst schon versuchen den Angriff durchzuführen, es bringt dir nichts dein Schwert einfach nur irgendwie zu führen, es liegt nicht daran, welche Bahn dein Schwert nimmt. Nur weil du es fallen lässt löst du nicht die Attacke aus. Du musst es deinem Schwert befehlen. Du musst deine Kraft in dein Schwert lenken und nicht nutzlos in der Gegend rumfuchteln.“ Ich stand auf: „Wie soll das denn bitte sehr gehen? Ich habe ja noch nicht mal ein Ziel.“ „Wenn es nur an dem Ziel liegt kann man das ändern, greif mich an.“ Er stellte sich einige Meter von mir mit ausgebreiteten Armen in den Raum. „Bist du völlig übergeschnappt, ich greif doch keinen Menschen an.“, ich bekam die Krise. Warum konnte dieser Idiot mir nicht einmal einen hilfreichen Tipp geben? „Mach dir um mich keine Sorgen. Ich kann mich verteidigen.“, Leander stand immer noch sicher da. Ich hatte zwar immer noch Angst ihn zu treffen, aber er hatte ja Recht, trotzdem mit dieser Angeberei würde er nicht ungeschoren davonkommen. Ich schloss die Augen und nahm Rosenblut in beide Hände. Ich suchte nach seiner Seele und fand sie. Sie war bereit, bereit um zu kämpfen, bereit um sich führen zu lassen. Wenn nicht jetzt dann nie, wer weiß wann Rosenblut mir das nächste Mal gehorchen würde. Ich atmete tief ein. Aus reinem Instinkt schob ich einen Fuß nach hinten um für mein Gleichgewicht zu garantieren. Ich würde es diesem Idioten schon zeigen. Ich hob mein Schwert hoch. Innerlich sah ich schon die rote Wand vor meinen Augen, wie sie durch den Raum schnitt, doch plötzlich veränderte sich das Bild. Ich sah, wie eine rote Rose aus Licht aus dem Boden herausschoss und einen kleinen Jungen in seiner Blüte einhüllte. Die Rose schloss sich und dann schlugen mehrere Feuerbälle auf sie ein, doch die Blüte hatte den Jungen geschützt und als sie sich wieder öffnete sprang der Junge voller Begeisterung heraus. Was das wohl war? Es war wie ein Schutzschild. Ein Stimme in meinem Kopf sagte plötzlich: „Du willst keine unschuldigen Menschen angreifen.“ Und sie hatte Recht. Ich schüttelte den Kopf und öffnete die Augen. Leander stand immer noch da. Aber mich vor Leander blamieren und nichts zu tun wollte ich auch nicht. Ich wollte das Schutzschild hervorrufen. Auch wenn Leander sagte er könnte sich verteidigen. Rosenblut war unberechenbar, wer weiß was passieren würde. Ich spürte wie Rosenbluts Seele sich beruhigte und wohlig warm wurde. Es stimmt mir also zu, gut. Ich konzentrierte mich und stieß dann das Schwert einfach mit beiden Händen in den Boden. Auf dem kalten Stein bildete sich das Zeichen der Blume. Leander sah mich irritiert an, damit hatte er nicht gerechnet. Als plötzlich der Boden unter Leanders Füßen anfing zu leuchten, wollte er noch zur Seite springen, doch er war zu langsam. Schnell wie ein Blitz öffnete sich die Rose aus Licht und schloss sich um ihn. Leander lies sein Schwert sinken, als ich seinen verdatterten Gesichtsausdruck sah, musste ich lachen. Das hatte er nicht erwartet, ich hatte es geschafft ihn zu überraschen. Ob er wohl beeindruckt war, was soll’s ich habe es geschafft bewusst Rosenblut zu führen. Doch trotzdem …, ich sah auf das Schwert in meiner Hand: „Was bist du nur für ein Schwert, das erst selber entscheiden, wann es angreift und sich dann aber meiner Meinung anpasst?“ Das leuchten der Rose verblasste langsam und sie öffnete sich und verschwand zurück im Boden. Triumphierend sah ich Leander an, doch er schaffte es alles sofort wieder zu Nichte zu machen: „Ich habe gesagt angreifen, nicht verteidigen.“ Innerlich kochte ich vor Wut: „Weißt du was, es ist mir so etwas von egal was du mir sagst und was nicht. Wenn ich ein Schutzschild rufe, kann ich das machen, ich greife keine Menschen an.“ Leander schien meinen Kommentar nicht ernst zu nehmen: „Ich bin kein Mensch, ich bin ein Neko und noch etwas wenn du nicht lernst anzugreifen, dann bist du in kürzester Zeit tot. Du kannst dich nicht durchgehend verteidigen.“ Ich knirschte mit den Zähnen: „Meinetwegen, dann greife ich halt auch keine Nekos an, aber nur zum klarstellen, Nekos sind mutierte Menschen und gehören somit auch zu ihrer Art also schließt es sie eigentlich mit ein, wenn ich sage ich greife keine Menschen an. Wenn dir das nicht klar ist kann ich auch nichts dafür, aber ich habe keine Lust mir von jemanden vorschreiben zu lassen was ich zu tun habe und besonders dann nicht, wenn er es nicht für nötig hält sich wenigstens ein wenig rücksichtsvoll zu verhalten. Mein ganzes Leben wurde innerhalb von wenigen Stunden auf den Kopf gestellt und mir wurde von einer Vergangenheit erzählt, die ich nicht kenne, dann halte ich das erste Mal in meinem Leben ein Schwert in der Hand und wenn ich es dann endlich schaffe, dass es mir gehorcht und ich wenigstens einmal etwas erreiche steht mir ein eingebildeter Idiot gegenüber, der es nicht für nötig hält sich auch nur ein wenig in meine Lage hineinzuversetzen. Es ist ja schön und gut wenn du keine Lust darauf hast, aber ich habe sie auch nicht und wenn du nichts machst, dann tue ich auch nichts!“, damit verlies ich den Raum, es war mir egal, was Leander jetzt dachte, in letzter Zeit schien es mir so als müsste man manchen Leuten einfach immer direkt ins Gesicht sagen was man denkt um etwas zu erreichen, aber dieses dämliche Training für etwas was ich sowieso nicht vor hatte konnte ich auch sein lassen.
Ich stapfte durch die Räume, ich hatte keine Ahnung wohin ich ging, ich kannte mich hier ja nicht aus, aber ich ging einfach immer weiter. Schließlich kam ich in einem Treppenhaus an. Ohne nachzudenken stieg ich die Stufen herauf. Am Ende von ihr lag eine Tür, ich stieß sie auf und erblickte vor mir den Himmel. Ich war auf einer Dachterrasse angekommen. Es sah nicht so aus, als ob jemand häufig hier hoch kam. Tief atmete ich die warme Sommerluft ein und lies den Wind durch meine Haare fahren. Ich stellte mich an das Geländer. Von hier aus hatte man einen guten Blick über die ganze Stadt, zum ersten Mal in meinem Leben sah ich wie groß dieser Ort doch war. Dort ganz weit hinten erkannte ich den Strand. Das Meer war nah an unsere Stadt; jetzt wo ich so darüber nachdenke habe ich diese Stadt nur selten verlassen. Doch am Horizont konnte ich die Berge sehen und mir wurde klar, dass ich mich hier eingeengt fühlte. Ich habe diesen Ort nur zu Klassenfahrten verlassen. Da fiel mir auf, Leander ist natürlich bei keiner von diesen jemals dabei gewesen. Ich habe es immer ignoriert, aber jetzt wo ich so darüber nachdachte, machte es schon Sinn. Natürlich war Leander nie mit, er musste hier bleiben und die Stadt beschützen. So langsam tat er mir leid und ich hasste es, das zugeben zu müssen. Was war eigentlich mit seinen Eltern, war Chito wirklich sein Onkel, konnte Leander sich an seine Vergangenheit erinnern? Ich stand einfach nur da. Warum hingen meine Gedanken eigentlich immer bei ihm? Das war doch absurd, ich konnte ihn nicht ausstehen, aber trotzdem war da irgendetwas was meine Aufmerksamkeit auf ihn zog. Mein Gehirn wollte es mir verbieten, aber mein Geist war schon neugierig. Leander war der einzige, der genau wie ich ein rotes Mal hatte. Ging es ihm wie mir oder nicht? Kannte er seine Vergangenheit? War es schlimmer sich erinnern zu können? Hatte man Heimweh? Was war mit seinen Eltern, hat er Geschwister? Hatte er Freunde, die er verloren hat? Warum freundete Leander sich mit keinem auf dieser Welt richtig an? Ich schüttelte den Kopf. Er war die Gedanken nicht Wert. Was ging mich das überhaupt an. Sollte dieser Idiot doch machen was er wollte. Ich drehte mich um, lehnte mich mit dem Rücken an das Geländer und schloss die Augen. Was würde ich als nächstes tun? Wie würde mein Leben weiter gehen? Mit wem könnte ich über alles reden? Hatte ich mich eigentlich überhaupt schon einmal jemanden ganz anvertraut? Ich hatte Arian angelogen, wenn es darum ging wie es mir geht. Meine Freunde ebenfalls. Meinem Vater hatte ich nie etwas erzählt. Ich schnaufte. Wieso konnte es auf dem gesamten Erdball nicht mal eine einzige Person geben, die mich verstand? Warum konnte ich nicht wie jeder andere Mensch auf Erden sein? Ich wollte diesen ganzen Mist doch gar nicht.
Mein Handy klingelte. Irritiert holte ich es heraus: „Hallo?“ „Emma, wo bist du komm sofort wieder zurück in den Trainingsraum!“, es war mein Vater. Er hatte den Satz gerade erst zu Ende gesprochen, als ich einfach auflegte. Wieso meinten eigentlich alle immer, dass sie bestimmen könnten wer ich bin und was ich zu tun hatte? Ich steckte das Handy in meine Tasche und ging gar nicht erst ran, als es ein zweites Mal klingelte. Immerhin hatte dieser Trainingsanzug Taschen. Rosenblut hielt ich noch immer in der Hand.
Ich wusste nicht wie lange ich jetzt schon hier oben stand. Aber mit der Zeit fing es an dunkel zu werden. Ich sah in den Himmel. Noch war der rote Mond nicht zu sehen. Ich schaute auf die Uhr. Es war kurz vor zehn Uhr. Unglaublich, ich hatte wirklich meinen ganzen Nachmittag in diesem elendem Gebäude verbracht. Plötzlich fühlte ich mich komisch. Mir wurde schwindelig, augenblicklich stolperte ich vom Geländer weg. Ich blickte in den Himmel und sah ein letztes Mal den roten Mond vor meinen Augen, bevor ich nur noch Schwarz sah.
Was war passiert? Es fühlte sich nicht so an, als sei ich in Ohnmacht gefallen. Irritiert öffnete ich die Augen, irgendetwas war anders. Als ich mich aufrichten wollte wurde mir auch sofort klar, was es war. Warum hatte ich denn heute den roten Mond gesehen, es war die eine Nacht in der sich mein Körper einer Zwangsverwandlung unterzog. Langsam richtete ich mich auf. 10 Uhr, um diese Zeit fand die Verwandlung statt. Ich war selber überrascht, dass ich das alles behalten hatte. Doch ich war nicht sonderlich begeistert. Ich sah mich um. Was war mit meiner Kleidung passiert und wo war Rosenblut. Wie zur Hölle sollte ein Tier überhaupt ein Schwert halten. Ich sah an mir herunter. Ich stand auf allen vieren. Meine Pfoten waren riesig. Ich sah mich um, auf mir hätte locker ein Mensch reiten können. Es war ein seltsames Gefühl. Plötzlich spürte ich Rosenbluts Seele. Ich sah herunter nur um einen roten Schimmer über meine Krallen fahren zu sehen. „Ok, Rosenblut ist in meinen Krallen, meine Kleidung hat sich aufgelöst, oder ist irgendwie unter meinem Fell und ich sitze hier fest.“, fasste ich meine Situation zusammen. Ich starrte zu der Tür, durch die ich auf das Dach gekommen war, mit dieser Größe würde ich dort nicht mehr durchpassen und außerdem hatte ich nicht vor so die Treppen zu steigen. Ich sah in den Himmel. Der rote Mond strahlte mir entgegen. Und ich fühlte mich mit ihm noch mehr verbunden als sonst. Ganz klar konnte ich ihn spüren, er rief nach mir. Und mir wurde es endlich klar: „Das hier ist nicht meine Welt, ich gehöre dort hin.“

Der rote MondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt