Die Begegnung

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Ich schreckte hoch. „Emma!“, Marlin kniete neben mir auf dem Boden. Langsam richtete ich mich auf. „Emma was ist los, warum hast du geschrien. Ich saß ruhig da. Ja, ich hatte geschrienen, ich hatte ihn wieder gehabt, diesen Traum, diesen schrecklichen Albtraum. Marlin sah mich besorgt an. Ich brachte kaum ein Wort heraus, ich war zu geschockt. Die Bilder saßen so fest in meinem Kopf. Dieselbe Felsenlandschaft. Derselbe Anfang, dieselbe Jagt, dasselbe Monster, alles war wie gestern Nacht, mit einer Ausnahme. Ich brach in Tränen aus und warf mich an Marlins Schulter. Mit einer Ausnahme, dieses Mal hatte mich der Tiger erwischt. Seine langen Krallen, hatten mich getroffen. Schützend hatte ich meine Arme vor mich gehalten. Seine Krallen hatten tief in meine Haut geschnitten. Er hatte mich zu Boden geworfen. Seine orange-braunen Augen hatten mich blutrünstig angestarrt. Wie er da gestanden hatte. Ich hatte am Boden gelegen und er war über mir. Seine großen Pfoten auf meinen Armen, sie hielten mich fest, doch er hatte mich nur angestarrt, seine scharfen Zähne hatten sich nicht in mein Fleisch gebohrt, er hatte nicht versucht mich zu beißen. Das Monster hatte sich immer mehr aufgelöst. Ich hatte die Augen zu und wieder auf gemacht. Und als ich sie öffnete hatte ich das Gefühl, durch die Augen des Monsters zu sehen. Und erst dann begriff ich. Nun war ich das Monster. „Der Traum.“, brachte ich schließlich heraus. Marlin hielt inne. Doch dann: „Hey beruhig dich. Es war nur ein Traum.“ Sie drückte mich ganz fest an sich.
„Schöne Strähne übrigens.“ Marlin saß neben mir auf einer Bank. Einige Zeit hatten wir nur da gesessen und ich hatte ihr alles erzählt. Ich war verwirrt und griff nach meinen Haaren. Was für eine Strähne meinte sie? Als rote Haare über meine Finger striffen konnte ich sie nur ungläubig anstarren, rot, rot wie Blut, rot wie die Streifen des Tigers. Woher hatte ich die? Hatte ich mir eine färben lassen. Nein niemals, ich bin vielleicht wie in Trance gewesen, aber doch nicht so sehr. „Du bist das Monster“, hauchte mir mein Unterbewusstsein ins Ohr. Marlin sah sich weiterhin die Strähne an: „Du hast also auf meinen Rat gehört, aber wieso gerade jetzt, sollte das so eine Art Protest gegen deinen Vater sein?“ Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Das ich nichts sage deutete meine Freundin es als ein Ja. „Aber was hast du denn an deinen Handgelenken gemacht.“, sie nahm meine Hände in die Hand. Auf meinem Handgelenk waren rote Streifen an den Seiten, zumindest auf der innen Seite. „Ich muss mich gekratzt haben.“ Ich sah wie gebannt auf meine Arme. Genau an dieser Stelle hatte mich der Tiger erwischt. Nachdenklich saß ich da. Aber das konnte doch nicht sein. Hatte ich mich vielleicht zu sehr gekratzt und es mit in meinen Traum eingebaut. Was ist bloß passiert. Meine Strähne, sie hatte die Farbe der Tigerstreifen und an meinem Unterarm, sahen die Streifen aus, wie ein rotes Tigermuster. Was hatte das zu bedeuten, was ist passiert. Und wieder raunte mein Unterbewusstsein mir zu: „Du bist das Monster.“ Ich versuchte den Gedanken zu vertreiben, das war doch nur ein dummer Traum.  Ich sah in den Himmel. Die Sterne leuchteten so schön wie nie. „Sag mal Emma, wie machen wir das jetzt, möchtest du wieder nach Hause, oder willst du bei mir übernachten?“ Marlin sah mich an. Ich wendete meinen Blick nicht vom Nachthimmel. Er sah so faszinierend aus und auf irgendeine Art und Weise wirkte er auf mich beruhigend: „Ich glaube ich gehe doch wieder nach Hause.“ Marlin sah mich überrascht an: „Aber hattest du nicht gerade noch gesagt, dass du unter keinen Umständen zurück möchtest?“ Ich sah weiter nur in den Himmel. Die letzte schmale Sichel die noch vom Mond zu sehen war strahlte vom Himmel. Ich hatte das Gefühl ich müsste wieder nach Hause. Ich hatte meinem Vater Sorgen bereitet, ich hatte ihn angeschrien. Es tat mir leid. Natürlich war ich immer noch enttäuscht von ihm, aber er war die einzige Familie die ich noch hatte und ich wollte ihn nicht wegen einem Streit verlieren. Wenn ihm der Termin nicht wichtig genug war, dann konnte ich dagegen auch nichts machen. Auch wenn es mir im Herzen weh tat mir eingestehen zu müssen, dass ich meinem Vater nicht wichtig genug war um meinen Neuanfang zu behalten. Man konnte halt nicht alles haben, entweder man war reich, oder man hatte viel Zeit mit der Familie. Letzten Endes macht es dann die Mischung. Ich fasste meinen Entschluss: „Weißt du Marlin, ich habe einfach das Gefühl ich muss zurück.“, ich sah sie an. Es fühlte sich an als wäre ich zu weit gegangen. Natürlich war ich enttäuscht. Und ich konnte die leere in meinem Herzen nicht verschwinden lassen. Aber ich hätte nicht weglaufen sollen. Ich hatte Zeit für mich gebraucht, aber das hätte ich auch sagen können, so habe ich nur alle meine Bekannten in Sorge versetzt. Ich stand auf: „Ich möchte nach Hause Marlin, ich möchte wieder zu meinem Vater, ich will mich entschuldigen.“ Marlin sprang auf: „Warum willst du dich denn entschuldigen er hat doch den Fehler gemacht!“ Ich sah sie ruhig an: „Ich hätte nicht so ausrasten dürfen. Wenn ihm der Termin nicht wichtig genug ist, ist das halt so. Es tut zwar weh zu wissen, dass ihm seine Arbeit mehr bedeutet als seine eigene Tochter, aber das kann ich nicht ändern. Ich habe keinen Grund ihn dafür anzuschreien und vor seinen Gästen bloß zu stellen. Immerhin haben wir durch seine Arbeit viel Geld. Mein Leben ist doch eigentlich schön, ich habe gute Freunde, die sich um mich kümmern, ich habe durschnittliche Noten und viele Ehrungen, das heißt die Leute vertrauen mir. Ich wohne in einem riesigen Haus und habe sogar eine Haushälterin. Mein Leben ist doch schön.“ Marlin sah mich traurig an. Sie wusste genau, dass ich nur versuchte mir meine Situation erträglicher zu reden. Doch sie sagte nichts. Sie nickte nur. Sie wusste genau, dass wenn sie weiter darauf eingehen würde ich nur noch mehr in meiner Verzweiflung versänke. Gemeinsam machten wir uns dann auf den Heimweg.

Der rote MondWhere stories live. Discover now