Tag 8

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Ich hab es mal gewagt! Ich stehe auf meinem Balkon die dampfende Tasse Kaffee in der Hand und genieße den Ausblick. Wenn man das als Ausblick bezeichnen kann. Betontürme! Ab und zu schimmert zwischen ihnen an diesem neblig, trüben Silvestertag ein Grünstreifen durch.

Man! Mein Bademantel ist auch nicht der Beste. Es ist frisch und die Feuchtigkeit zieht in die Knochen. Na egal ich brauch mal frische Luft.

Dieser Tag ist doch jedes Jahr kaputt. Du stehst morgens auf und wartest nur darauf das es Mitternacht wird. Nachdem ordentlich geböllert wurde sitzt man noch eine Stunde zusammen und dann ist auch schon Schluss. Manche schaffen es noch nicht einmal bis zum Jahreswechsel da sie sich schon vorher abgeschossen haben. Die richtigen Leute beisammen haben, das ist das Salz in der Suppe!

Mensch! Was haben wir früher an diesem Tag für Feten steigen lassen. Unser Nachbar hatte einen Partykeller und alle waren wir da. Die ganze Nachbarschaft. Was hatten wir einen Spaß! Bis in den frühen Morgen habe ich mit meiner Hilde getanzt. Sie ließ sich immer wie eine Feder führen. Hat man gar nicht gespürt. Wir waren echt ein eingespieltes Team. Nach ihrem Tod war es nur noch eine Sauferei. Sie hat mich halt immer beschäftigt. Tanzen war ihre Leidenschaft. Da hat man gar nicht gespürt wieviel Alkohol man schon intus hatte.

Ich kann mir die Tränen nicht verkneifen und proste mit meinem Kaffee in Richtung Himmel. Das sieht sie bestimmt und sie wird ihre Augen zusammenkneifen mit einem zarten Lächeln wie sie es immer gemacht hat. Wir haben uns in der Fahrschule kennen gelernt. Sie kam rein und da war dieses Gefühl. Na! Irgendwie sprang mein Herz einfach in die Luft. Dann saß sie auch noch vor mir und ich konnte dem Unterricht kaum folgen. Nach der Stunde hatten wir dann immer lange Gespräche vor der Fahrschule und konnten uns nicht trennen. Ach! Was soll ich mit den Gedanken an die gute alte Zeit! Das führt nur zu Depressionen und die kann ich heute auf keinen Fall gebrauchen. Nach vorne schauen das ist wichtig. Albert Einstein soll einmal gesagt haben <Ich schaue nicht in die Vergangenheit, ich schaue in die Zukunft denn in ihr werde ich leben> Recht hat er! Und so ein kluger Kopf wird schon gewusst haben wovon er spricht.

Erst heute Abend wollen wir uns draußen am Kiosk das Feuerwerk anschauen und vorher wird im Partykeller gefeiert. Irgendwie wie früher nur anders. Eine gute Bekannte hat mal gesagt „es wird anders aber nicht besser". Damals antwortete ich „es wird anders meine Liebe und es wird besser". Das sie mal Recht haben würde hätte ich nicht gedacht. Aber ich denke wir sind hier auf der Etage eine gute Truppe und die Feier am Heiligen Abend war nicht schlecht. Außerdem wird Heidi gleich noch zum Frühstück kommen.

Wie feiern 4000 Bewohner hier im Block Silvester? Wird es Ausschreitungen geben? Heidi hat mich schon gewarnt bloß keine Wertsachen mit nach draußen zu nehmen. Immer bei der Gruppe bleiben und nie, nie allein durchs Treppenhaus gehen. Früher hatte ich unser Büdchen für ein paar Stunden geöffnet. Das war die Silvester Aktion! Ein Becher Glühwein für einen Euro und ich hatte immer Böller für die „Spätzünder" im Verkauf. Das war eine lustige Runde. Sturzbesoffen sind die nach Hause getorkelt. Danach habe ich das Büdchen dichtgemacht. Mein <Bis zum nächsten Jahr> Schild brachte jeden Fußgänger zum Lachen.

Oh! Es schellt! Sturm sogar! Heidi prescht rein. „Diese Saufköppe! Haben die doch tatsächlich ihre Spezialböller aus dem 28zigsten geschmissen und direkt vor die Kita. Hat ein Oberlicht zerschlagen und ab dem 01. Januar bleibt der Laden dicht. Zu gefährlich für die Kleinen! Wie kann man nur so bescheuert sein?" Heidi ist wirklich sauer. So habe ich sie noch nie gesehen. „Wer sind denn die Saufköppe?" „Diese Böller-Familie die jedes Jahr ihre „Selbstgedrehten" präsentiert. Solche Hardcore Typen die gigantische Knaller produziert und dann auch gleich testen ob's richtig rumst! Man ich sagt dir ich könnte die...!"

Ich schenke erstmal einen Friedenskaffee ein und schneide Heidis mitgebrachte Brötchen auf. „Ändern können wir jetzt nix mehr! Aber glaub mir die sind dran!" „Gar nix sind die! Die Blocksheriffs kommen nur, nehmen die Personalien auf und gehen wieder.

Heidis Ärger hängt wie eine Dunstglocke über unserem Frühstück. Wir wechseln kaum ein Wort. Nachdem sie den letzten Schluck Kaffee gestürzt hat will sie unbedingt gleich noch zum Kiosk gehen. Da wäre noch etwas was sie mir unbedingt zeigen müsste.

Mir wird schummerig als ich das frisch gestrichene Salitos Büdchen sehe. Henry, Ronny und Moschus stehen mit dem gesamten „Schoppe-Clan" davor. Irgendwie haben die es hingekriegt heimlich das Büdchen auf Vordermann zu bringen. Sylvie kommt nach vorne und sieht wie mich die ganze Sache bewegt. „Also Heinz! Wir haben die Nacht zum Tag gemacht und weniger Bier getrunken dafür aber mächtig zugepackt. Wir wissen das du dich echt verknallt hast und dachten wir erleichtern dir mit unserer Arbeit den Start ins neue Jahr. Außerdem ist es hier im Block für die „Neuen" nie einfach aber so eine Aufgabe wird dich ordentlich ablenken. Da ich das Ding einfach mal so für ein Jahr gepachtet habe ernenne ich dich hiermit zum ehrenamtlichen Mitarbeiter der „Schoppegroup!" Ein tosender Applaus bricht los. Sylvie muss sich richtig anstrengen und die Gruppe zu besänftigen damit sie fortfahren kann. „Heidi, Ronny und Moschus werden dich bei der ganzen Unternehmung tatkräftig unterstützen und unsere Tafel aus dem Block ist auch mit im Boot. Also Herr Böttcher? Nehmen sie die Wahl an?"

Ich kann nicht mehr und es platzt in Tränen aus mir heraus. „Klar mach ich das! Und wir werden das Ding schon schaukeln!" Schei*** denke ich Männer weinen doch immer heimlich! Die ganze Schoppe Mannschaft kommt auf mich zu. Es wird umarmt, gedrückt und auf den Rücken geklopft. Na halt das ganze Programm! Ich bin so überwältigt das ich nur noch das Büdchen von innen sehen möchte. Als ich es betrete traue ich meinen Augen kaum! Es ist unglaublich! Drinnen ist alles aufgeräumt der ganze Dreck ist raus. Es riecht auch hier nach frischer Farbe „Leute ich bin so stolz auf euch ich finde einfach keine Worte!" „Brauch'ste auch nicht denn wir haben genug Bier im Kühlschrank und feiern bist das nächste Jahr vor der Tür steht!" Die ganze Truppe brüllt los und läutet damit eine feucht, fröhliche Sylvester-Party ein.

Man spürt eine richtige Aufbruchsstimmung. Jeder bringt seine Ideen ein wie wir die Sache im nächsten Jahr angehen könnten. Ich glaube damit haben sie nicht nur mir ein Geschenk gemacht, sondern sich selber auch. Es gibt einen Silberstreif am Horizont an den man sich in dieser trüben Betonwelt klammern kann. Ronny erzählt das sie damals einen tollen Fußballplatz hatten auf dem sich alles traf. Doch eine Bande nach der anderen wollte den Platz für sich. Bis eines nachts die ganzen Holzbänke und der kleine Schuppen brannte. Ab da war der Verfall vorprogrammiert. Alles verwahrloste und aus einem Fußballplatz wurde ein Gefahrenplatz der hinterher sogar abgesperrt werden musste. Nie bekam man diesen Schandfleck wieder in den Griff.

Ich denke unser Salitos-Büdchen wird ein neuer Treffpunkt werden. Vielleicht hilft es ein bisschen diesen sozialen Brennpunkt schöner zu machen. Es wäre schön, wenn sich hier alle Nationen gegenüberstehen würden und täglich ihren Plausch halten könnten. Na! Da male ich mir die Zukunft doch zu rosig aus, oder?

Das Feuerwerk beginnt dann auch schon weit vor Mitternacht. Was soll ich sagen? Trotz der vielen Nationen ist es ein ganz normales Silvester und Gott sei Dank ohne nennenswerte Vorfälle. Die Böller-Familie legt zwar ordentlich los aber auch hier gibt es keine Verletzten.

Im Morgengrauen torkelten Heidi, Ronny und ich dann in unsere „Wohnzellen" zurück und trotz des Alkoholpegels werde ich diesen süßen Neujahrskuss von Heidi nie vergessen. Vergessen werde ich auch nicht als die Beiden vor meiner Tür standen. Ihre Matratzen unterm Arm mit der Bitte bei mir einziehen zu dürfen. Da konnte ich nicht "NEIN" sagen. Tja! Und was dann geschah das werde ich auf keinen Fall meinen Kindern erzählen! Heidi konnte trotz der Matratze nicht auf dem Boden schlafen und ich sag mal... sie verlief sich zum kuscheln in mein Bett. Mensch! Warum soll ich nicht auch nochmal einen zweiten Frühling erleben. Das Leben ist doch eh zu kurz und Hilde wird es mir schon erlauben. Na dann! Gute Nacht und allen ein frohes, neues Jahr!


Herr Böttcher - Geschichten aus dem BlockHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin