Tag 7

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Ich habe die Nacht richtig gut geschlafen. Muss wohl am Schnaps gelegen haben. Die Flasche war hinterher leer. Ich glaube ich hatte auch einen Traum vom <Salitos-Büdchen>. Aber das soll ich mir ja aus dem Kopf schlagen. Als der Kaffee läuft bimmelt es schon. Voller Elan sprinte ich zur Tür. „Guten Morgen Heidi!" Doch da hatte ich mich wohl verschätz. „Hallo Herr Böttcher! Heidi wollte gleich nachkommen damit wir erstmal in Ruhe sprechen können. Ich bin Frau Friesengold!" Sie reicht mir die Hand doch mein verdutztes Gesicht kann sich einfach nicht entspannen. „Böttcher! Hallo! Möchten sie einen Kaffee trinken? Ich habe gerade frischen aufgesetzt." „Sehr gerne! Also Herr Böttcher ich bin vom Streetworker Kaffee hier im Block und wollte mit ihnen über Herrn Valentin sprechen." „Herr Valentin?" „Ja der junge Vater über ihnen!" Jetzt entspannt sich die Lange doch ein bisschen. Als zweifacher Familienvater sprudeln die Ereignisse der vergangenen Tage einfach so raus. Frau Friesengold hört mir auch zu. „Da haben sie ja schon eine Menge erlebt und es tut mir auch leid, dass sie so etwas zwischen den Feiertagen erfahren müssen. Wobei sie durch den Umzug doch schon genug Stress hatten und bestimmt etwas Ruhe brauchen könnten." Ich schaue sie mit großen Augen an. So ein Geschwafel aus dem Mund einer jungen Sozialarbeiterin hätte ich jetzt nicht erwartet. Dabei war der erste Eindruck gar nicht schlecht. Bisschen Öko angehaucht und ein sehr sympathisches Lächeln. Da hatte ich mich wohl getäuscht. „Sie können davon ausgehen das meine Teamleitung, die Polizei und auch der Anwalt den Fall Valentin seit Jahren kennen!" „Und da haben sie nie etwas unternommen?" Falle ich ihr ins Wort. „Der lascht seine Kinder ab und fragen sie nicht nach Sonnenschein!" „Wenn wir nach unserem Bauchgefühl arbeiten würden müssten wir die Familie auseinanderreißen. Finden sie das etwa schön? Ich muss schlucken. „Der Typ ist überfordert! Der muss in eine Art Männerhaus wo er Hilfe findet und die Kinder betreut werden!" „Herr Böttcher! Sie wissen ganz genau, dass es so eine Einrichtung nicht gibt. Ich gebe ihnen hier meine Nummer und wenn es brenzlig wird rufen sie mich an. Wir werden dann die Situation prüfen und gegebenenfalls durchgreifen. Wir haben da auch unsere Richtlinien die wir vom Gesetzgeber strikt einhalten müssen. Da gibt es starre Verfahren und danach wird gehandelt." Hoffentlich kommt Heidi gleich! Ich glaube ich brauche jetzt noch einen Schnaps! „So! Herr Böttcher schön, dass wir uns mal kennengelernt haben!" Sie reicht mir die Flosse die ich aber AUS PRINZIP nicht ergreife. „Und ich werde mal Herrn Valentin einen Besuch abstatten. Schönen Tag noch!" Die Streetworkerin schwingt ihren Hintern aus der Tür die ich dankend zuknalle. Man was hab ich einen Brasst! Am liebsten würde ich auf den Balkon gehen und laut brüllen. Warum nicht? Hier brüllt doch jeder wie er will. Ich gebe also meinem animalischen Verlangen nach und schreie die Welt zusammen. Das tut gut! Jetzt kann ich die Bewohner und ihre Schreie verstehen. Ich bin da wohl kein Einzelfall.

Es bimmelt und Heidi steht endlich vor der Tür. „Ist Frau Friesengold schon weg?" Heidi merkt meine Wut im Bauch und als ich die Geschichte nochmal aufrolle hat auch sie nur ein Kopfschütteln übrig. „Die sind hier im Block mit der Betreuung komplett überfordert!" Versucht sie zu erklären. „Das Team ist nicht größer geworden aber die Probleme. Insbesondere durch die vielen Flüchtlinge die jetzt hier wohnen. Der Stadtverwaltung sind wir doch komplett egal. Solange hier kein Mord und Totschlag ist rührt sich die Politik auch nicht." Frau Merkels Willkommenskultur! Hauptsache die vergessen die eigenen Leute nicht.

Wir versuchen zu frühstücken aber es ist ein sehr nachdenkliches Frühstück. Oben ist es ruhig. Vermutlich weil die Tusse da ist. Da zeigt der Schauspieler sich von seiner besten Seite. Obwohl alle wissen wie er Tick. Dieses falsche Getue geht mir auf den Sack.

Nachdem Frühstück möchte mir Heidi die alte Eckkneipe in der Nähe des Büdchens zeigen. Bei den Aussichten verbessert sich meine Laune schon wieder. Es ist ein dunkler Schuppen dessen Besitzer ein Boxer war. Natürlich läuft die Kneipe unter seinen Namen. „Schoppe" steht in großen Leuchtbuchstaben über der Tür. „Schoppe" ist allerdings schon ein paar Jahre tot. Heute führt das Regiment seine Tochter an und das wohl ziemlich gut denn der Laden ist jetzt schon voll. Die Stimmung ist ausgelassen denn heute kann man hier Eier kaufen. Der komplette Billardtisch ist voll mit 10er Packungen und die Gäste können sich die vorbestellte Ware abholen. „Alles schön der Reihe nach!" Brüllt Tochter Schoppe. Wir setzten uns erstmal an die Theke und bestellen ein zweites Frühstück. Heidi erzählt mir das 90% der Stammkundschaft Hartz-IV-Empfänger sind. 8% sind Rentner und der Rest – Ja! Das ist eben der Rest. Scheinen aber alle gut miteinander auszukommen. Als Frau Schoppe fertig ist genehmigt sie sich erstmal einen Kaffee bei uns. „Sag mal Sylvie weißt du etwas über den Kiosk?" Über diese Frage bin ich jetzt echt überrascht und mein Herz schlägt bis in den Hals. „Der alte Karl hatte den zuletzt! Dann hat er Demenz gekriegt und war weg vom Fenster. Der stand doch eines Tages im Bademantel drin und suchte die Dusche!" Wir prusten alle los auch ein Teil der Stammkunden. „Seitdem steht das Büdchen leer! Warum fragst du?" „Heinz hier!" Sie deutet auf den stolzen Rentner neben sich. „Hatte mal ein Büdchen!" Sylvie schaut mich bewundernd an. „Kein leichtes Brot in unserer Zeit!" „Ist schon länger her!" Versuche ich locker abzuwinken. „Und jetzt möchtest du hier im Block eine Neueröffnung starten". Ich glaube ich werde rot. „Da ist ne Menge zu renovieren. Aber Moschus kann euch mal den Schlüssel holen!" So ein Ringertyp kommt aus der Ecke und ich weiß auch warum sein Spitzname Moschus ist. Der riecht so wie ein Ochse. Ich muss grinsen.

Herr Böttcher - Geschichten aus dem BlockWhere stories live. Discover now