„Außer Seth, Harvey und ich", vollendete sie leise meinen Satz, worauf ich unter Tränen nickte.

„Es tut mir so leid, dass ihr kein Teil meines Lebens mehr seid", wisperte ich und wischte mir die erneut aufkommenden Tränen aus den Augen.

„Sienna, alles was zählt ist, dass du lebst, dass es dir und deiner kleinen Familie gut geht. Nicht mehr und nicht weniger. Wir kommen schon irgendwie zurecht, auch wenn es manchmal schwer fällt und die Erinnerungen-."

Sie brach unvermittelt ab, da sie kurz vorm Heulen stand.

Und jetzt war ich es, die ihren Satz vollendete. „Die Erinnerungen verlassen uns nie. Sie sind immer ein Teil unseres Herzens."

„Ja."

Dicke Tränen kullerten aus Gwennys Augen und wieder umarmten wir uns. Die Wärme, die von dieser Berührung ausging, kroch in mein Herz. Sie belebte meine Seele. Niemals hätte ich damit gerechnet, Gwenny hier zu sehen, doch manchmal verfolgte das Schicksal seine eigenen Pläne.

Ganz in meine Gefühle versunken, schreckte ich plötzlich zusammen, als die Tür zum Büro ruckartig aufgerissen wurde.

„Mami!"

Kieran stürmte in den Raum, seinen kleinen Rucksack, welchen er immer in den Kindergarten mitnahm, auf dem Rücken. Gleich dahinter folgte Niall, der mich und Gwenny erstaunt musterte.

„Mami! Schau mal! Ich hab' ein Bild gemalt!"

Stolz präsentierte unser Sohn mir sein neuestes Werk. Eine Mischung aus bunten Farben, doch ich konnte ein Mädchen und einen Jungen darauf erkennen. Außerdem einen Hund sowie einen Baum, dessen Blätter der Farbe des Herbstlaubes glichen.

„Oh, das ist aber toll. Sollen wir das in der Galerie aufhängen?", fragte ich, wobei ich mich bemühte, meine Stimme normal klingen zu lassen.

„Au ja!", jauchzte er voller Freude.

Lächelnd ging ich in die Hocke, gab ihm einen Kuss auf die Stirn und zog ihm die Mütze mit dem Superman-Motiv vom Kopf. Seine dunklen Haare kamen zum Vorschein, gleichzeitig blitzten seine blauen Augen unternehmungslustig auf.

„Zieh die Jacke aus, Kieran, es ist viel zu warm hier drinnen", wies ich ihn an.

Gehorsam tat unser Sohn, was ich von ihm verlangte. Er hatte auch kein Problem damit, den Reißverschluss zu öffnen und selbstständig aus dem kleinen Parka zu schlüpfen, welchen er mir sodann grinsend überreichte. Dann schaute er zu Gwenny.

„Mami, wer ist das?"

„Eine Kundin. Sie möchte ein Bild kaufen", antwortete ich, bemüht, die Fassung nicht zu verlieren.

Sicher konnte Kieran nicht heraushören, wie es mir gerade erging, denn er nickte nur, ohne einen Ton von sich zu geben. Doch Nialls Stimme erinnerte mich daran, dass sich hier Raum noch ein Erwachsener aufhielt, der sich so leicht nichts vormachen ließ.

„Kieran, was hältst du davon, wenn du nach unten zu Ruppert gehst? Er soll dir einen Kakao machen und dein Bild aufhängen. Und vielleicht kannst du noch ein Zweites malen."

„Okeeey."

Unser Sohn grinste zufrieden, schnappte sich sein Bild und stürmte voller Elan aus dem Zimmer. Als Niall die Tür hinter ihm zuzog, hörte ich Gwenny wispern: „Oh Gott, er ist so süß, ein wundervoller Junge."

Mein Blick ging zu Niall, der auf uns beide zuging. Mühelos erkannte er, dass etwas ganz und gar anders war als sonst. Schließlich umarmte man seine Kunden für gewöhnlich nicht.

Black VisionWhere stories live. Discover now