22. Antagonism

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♪ No Mercy – Nils Lofgren


Niall

Es fühlte sich komisch an zu wissen, dass ich am Samstag den ersten Schritt in Richtung Lockvogel antrat. Die Zeit bis dorthin verging wie im Flug, was meine Nerven ziemlich strapazierte.

Nachdem ich mich von dem Schock des E-Mail Absenders der Bibeltexte erholt hatte (Seth blieb weiterhin an der Sache dran), versuchte ich mir so weit wie möglich nichts anmerken zu lassen.

Somit entsprach es einem Glücksfall, dass Sienna ihre ersten Arbeitsstunden in der Galerie erlebte. Ihre Gedanken verweilten ständig bei ihrer neuen Tätigkeit und sie erzählte mir gleich am ersten Tag sehr viel darüber.

Ich ließ sie gewähren, hörte interessiert zu und stellte Zwischenfragen, die sie teilweise beantworten konnte. Der Knackpunkt für mich, nämlich woher Milli und Nicholas sich kannten, lag jedoch im Dunkeln.

Deswegen beschloss ich, meiner Frau einen Besuch an ihrem Arbeitsplatz abzustatten. Vielleicht würde ich mit Milli sprechen können. Hemmungen, ihr die Frage bezüglich Nicholas' Bekanntschaft zu stellen hatte ich überhaupt keine.

Am Donnerstag ging ich erst sehr viel später zur Arbeit, da ich am Freitag aufgrund der Obdachlosenspeisung sowieso Überstunden machen würde. Außerdem sollte ich noch die sonntägliche Predigt für Kevin ausarbeiten, was ich zuhause, an meinem Schreibtisch tat.

Zwischendurch ließ ich mich jedoch ablenken, denn seit Liam mir den Link zu dieser ominösen Dating-Plattform geschickt hatte, durchforstete ich die Seite hin und wieder. Natürlich nicht, um andere Frauen zu treffen, sondern einfach nur, um herauszufinden, welche komischen Leute sich da herumtrieben.

Ich tat dies stets mit meinem Handy, damit Sienna nicht auf falsche Gedanken kam, denn am Laptop waren solche Dinge nur zu leicht nachvollziehbar.

Seths erste Annahme, dass es sich um einen Virus handelte, der E-Mails in einem Automatismus versendete, um das Netz zu verseuchen, konnte sehr schnell ausgeschlossen werden. Liam hielt mich diesbezüglich stets auf dem Laufenden, von daher wusste ich, dass es noch keine weiteren Neuigkeiten gab.

Ein wenig frustriert legte ich die Bibel beiseite, denn heute lief es einfach nicht mit dem Predigtschreiben. Zumindest nicht so, wie es von mir gewöhnt war. Vermutlich lag das jedoch daran, dass mein Kopf sich derzeit mit anderen Dingen beschäftigte.

Was würde wohl am Samstag passieren?

Unmotiviert schloss ich das halbfertige Dokument, nachdem ich dieses abgespeichert hatte und stand auf, um kurz nach draußen zu gehen. Mittlerweile hatte die Kälte New York fest im Griff und gestern Abend war sogar der erste Schnee gefallen.

Die dünne weiße Decke wirkte im Vergleich zu den Schneemassen durch die Barrow regelmäßig überfallen wurde, geradezu lächerlich. Aber ich wollte mich nicht beschweren. Für die nächsten zwanzig Jahre war mein Bedarf an Schnee nämlich gedeckt, vorausgesetzt, ich lebte überhaupt so lange.

In Anbetracht der Tatsache, dass die Mafia wie eine Klette an mir hing, klang es durchaus nicht realitätsfern, mit einem frühen Tod zu rechnen. Wer wusste schon, was morgen passierte? Oder gar am Samstag?

Wie ein Damoklesschwert schwebte der Gedanke daran über meinem Kopf. Meine Welt drehte sich um nichts anderes mehr. Lediglich Kieran konnte mich ablenken. Sobald er nach mir rief, oder sich an mich klammerte, ging mir das Herz auf. Es schien wirklich eine glückliche Fügung des Schicksals zu sein, dass Sienna im Moment an nichts anderes, als an die Galerie dachte. Ansonsten wäre ihr mein zurückgezogenes Verhalten nämlich aufgefallen.

Black VisionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt