Kapitel 15

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Erschrocken setze ich mich auf, was sich als ziemlich gefährlich herausstellt denn unter mir liegt Harry und beinahe hätte ich das Gleichgewicht verloren, sodass ich mich noch gerade so in der Hängematte halten kann. Von Harry kommt ein leises Grummeln und er sagt irgendetwas davon, dass er noch fünf Minuten braucht, doch zum Glück habe ich ihn nicht geweckt. Ich muss über seine niedliche Reaktion lächeln. Ich beobachte ihn kurz beim Schlafen. Seine dunklen Locken liegen wirr in seinem Gesicht und sein Gesichtsausdruck ist so.. friedlich, was ihn mindestens drei Jahre jünger aussehen lässt. Ich könnte ihm die ganze Nacht beim Schlafen zuschauen.. Der Mond steht immernoch am Himmel, doch hinter dem Park kann ich schon die ersten Sonnenstrahlen sehen. "Verdammt!" flüstere ich. Es muss schon früh am Morgen sein!

Vorsichtig versuche ich von Harry herunterzuklettern und aus der Hängematte zu steigen. Ich habe gerade einen Fuß auf den Boden gesetzt, als die Hängematte beginnt zu schaukeln. Daraufhin rutsche ich mit meinem Knie von seinem Bein. Schnell kralle ich mich mit meinen Händen in die Hängematte um sie zum Stillstehen zu bringen, was sich jedoch als Schnapsidee herausstellt. Ich rutsche ab, mit meinem Gesicht lande ich stumpf auf Harrys Brust. Ich halte den Atem an und bewege mich nicht, in der Hoffnung, dass er nichts gemerkt hat.

"Was genau hast du vor?", fragt Harry eindeutig amüsiert über den Anblick und gähnt. Ich stöhne und hebe langsam meinen Kopf.

"Sorry", murmle ich und laufe augenblicklich rot an, meine Wangen sind glühend heiß. Harry lacht laut los und wenn ich gedacht hatte, dass meine Wangen nicht noch heißer werden können.. naja, dann hatte ich mich aber gewaltig getäuscht! Mein Gott, war das peinlich. Schnell und unbeholfen steige ich aus der Hängematte. "Ich wollte nur.. eh.. sorry! Weißt du wo mein Handy ist?", stammle ich verlegen und taste in meinen Hosentaschen nach meinem Handy, doch es ist nicht da. Harry setzt sich auf und gähnt wieder. "Ich denke es liegt im Wohnzimmer auf dem Tisch"

"Danke!" sage ich schnell und drehe mich um, um in die Wohnung zu gehen. Ich bin fast an der Tür angelangt, als ich plötzlich eine große Hand an meiner Hüfte fühle und schwungvoll umgedreht werde. Ich quietsche laut, wegen der unerwarteten Bewegung und Harry zieht mich noch näher zu sich, sodass uns nur noch wenige Zentimeter trennen. Ich schaue erschrocken zu ihm auf, geradewegs in seine grünen Augen, die im schwachen Licht schimmern. Der Anblick und diese Nähe raubt mir wieder einmal den Atem. Er beugt sich langsam zu mir herunter, bis ich seinen heißen Atem an meinem Ohr spüren kann. "Wieso willst du schon gehen?", flüstert er in seiner rauen Morgenstimme, was einen angenehm kalten Schauer meinen Rücken herunter laufen lässt. Ich atme tief durch und schließe die Augen, um meine Gedanken zu ordnen.

"Die Sonne geht schon auf.", antworte ich mit leicht zitternder Stimme. Es ist nicht mehr als ein Flüstern.

"Du kannst bleiben!" gibt er lächelnd zurück und schaut mir wieder in die Augen.

"Ich-ich.." Er verwirrt wirklich meine Gedanken. Ich räuspere mich einmal, bevor ich fortfahre. "Nein, ich kann nicht. Meine Lehrerin bringt mich um!"

Er sieht ein wenig enttäuscht aus und lässt den Griff um meine Hüfte lockerer, sodass ich mich mühelos befreien kann. Schnell laufe ich in die Wohnung bevor er mich noch einmal zurückhalten kann - und ich vielleicht noch meine Meinung ändere.

In der Wohnung ist es dunkel und ich taste an der Wand nach einem Lichtschalter, doch Harry ist schneller. Wieso schleicht er sich eigentlich immer so an? Ich gehe zu dem Tisch, und finde mein Handy schließlich auf dem Sofa. Als ich es anschalte bekomme ich fast einen Herzinfarkt. Erstens ist es 4:57 und zweitens habe ich 20 entgangene Anrufe von Laura und 39 weitere SMS von ihr, Claire und Sofie. Was zur Hölle habe ich verpasst? Doch eins ist sicher: Es bedeutet nichts Gutes.

"Was ist los?" fragt Harry besorgt und kommt zu mir.

"20 verpasste Anrufe und fast 40 SMS von meinen Freundinnen!", antworte ich erschrocken und schaue zu ihm auf. Schnell öffne ich die letzte sms.

'Von Laura  

Frau Becker wird dich sowas von umbringen!'

Was? Hat sie gemerkt, dass ich nicht da bin? Mein Magen verkrampft sich. Ich scrolle etwas herunter und öffne eine andere Nachricht.

'Von Laura

Pia wieso gehst du nicht an dein Handy!? Ich schwöre ich ruf die Polizei!'

Oh Gott.

Schnell öffne ich eine weitere SMS von früher.

'Von Laura

Pia, hast du vergessen, dass wir um 22Uhr SPÄTESTENS im Hotel sein müssen? KOMM HER! SOFORT!'

"Fuck!" Hatten wir etwa eine Ausgangssperre nach 22Uhr? Wenn ja, warum wusste ich nichts davon? Und was passiert wenn ich jetzt erst da auftauche? Hatte Frau Bescker mein Verschwinden schon bemerkt?  

"Was ist passiert?", fragt Harry besorgt.

Ohne auf ihn zu achten suche ich schnell Laura in meinen Kontakten und rufe sie an. Ich fange an hin und herzulaufen und ich kann Harry's fragenden Blick auf mir spüren, doch darum kümmere ich mich später. Erstmal muss ich versuchen ins Hotel zu kommen ohne bemerkt zu werden.  

Nach einer Sekunde nimmt Laura schon ab.

"Wo zur Hölle steckst du? Weißt du was wir uns für Sorgen machen?" höre ich sie wütend flüstern.

"Ich bin bei Harry, tut mir leid. Ich bin eingeschlafen!" versuche ich zu erklären. Ich höre sie scharf Luft einziehen und am liebsten würde sie mich jetzt mit Fragen durchlöchern, doch sie begreift schnell, dass wir dafür jetzt keine Zeit haben.

"Pia, du musst sofort ins Hotel, wenn du nicht willst, dass Frau Becker dir den Kopf abreißt!"

"Willst du mir etwa sagen, dass wir eine Ausgangssperre haben?", frage ich verzweifelt.

"JA PIA! Gott, Frau Becker hat uns davon erzählt!"

"Warum hast du mir das nicht vorher gesagt?", frage ich aufgebracht und fahre verzweifelt mit einer Hand durch meine Haare.

"Ich dachte du weißt davon!", verteidigt sie sich. "Also, hör zu. Der Typ an der Rezeption wird Frau Becker auf jeden Fall davon erzählen, wenn du vor 6 Uhr hier auftauchst. Du bleibst jetzt wo du bist und kommst frühestens um 6 Uhr her. Aber nicht zu spät, um 8 Uhr geht Frau Becker zum Frühstück. Falls dich irgendwer fragt, sagst du, dass du joggen warst oder so. Komm auf keinen Fall in den Klamotten wieder, in denen du gegangen bist!", erklärt sie eindringlich.

"Und du denkst das funktioniert?", frage ich misstrauisch. "Weiß Frau Becker also noch nicht, dass ich weg bin?"

"Ich hab' das mal in einem Film gesehen. Da hat's geklappt!", antwortet sie aufgeregt und ich fühle mich wirklich wie in einem Film. Sie sagt es so, als wäre ich ein super Geheimagent und sie mein Auftraggeber. Super, das ist doch zum Scheitern verurteilt. Aber da mir nichts besseres einfällt.. "Und du kannst dich bei der kaputten Toilettenspülung bedanken, dass Frau Becker nichts gemerkt hat. Erklär ich dir später", seufzt sie. Wie bitte?

"Eh, okay. Danke, Laura! Wir sehen uns nachher", sage ich und lege auf. Ich stöhne auf und reibe mein Gesicht mit meinen Händen. Als ich die Hände sinken lasse sehe ich Harry mit verwirrtem Gesichtsausdruck vor mir stehen.

"Also, musst du los?" fragt er enttäuscht.

"Ja, gleich.", seufze ich. Dieses Date nimmt einen unerwartetes Ende. Jetzt muss ich mich ins Hotel schleichen. Und ich brauche Klamotten. Lächelnd schaue ich zu Harry. In seine Klamotten werde ich wohl kaum passen..

Getting LostWo Geschichten leben. Entdecke jetzt