Kapitel 01

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Genervt halte ich mir die Ohren mit den Händen zu. Welches verdammte Auto ist auf die Idee gekommen, seit gefühlten zehn Minuten kontinuierlich zu hupen?! Ich rolle mit den Augen und lasse meinen Kopf gegen die Plexiglassscheibe des Einkaufswagenunterstandes fallen und löse damit ein ungewolltes, dumpfes Scheppern aus. Meine unsichtbare Morgen-Uhr zeigt gerade mal wenige Minuten an und ich bin bereits mit den Nerven am Ende. Wann hört denn endlich mal diese verdammte Hupe auf, die Pferde wild zu machen? 

"Das darf doch nicht wahr sein.", murmle ich in meine Arme, die auf meinen an die Brust gezogenen Knien liegen. Dann lasse ich meinen Kopf wieder nach vorne fallen. "Halten Sie die Klappe!", schreie ich und halte mir sofort den Mund zu, als ich realisiere, dass ich gerade wirklich über den halben Parkplatz geschrien habe. Zum Glück wird mich niemand so schnell auf dem Boden finden. Morgen werde ich sowieso von hier abhauen. Es ist Sommer -- der Vauxhall Park wartet praktisch nur auf meinen verspäteten Besuch. Mit einem Mal hört das ewige Hupen abrupt auf und eine Autotür fällt ins Schloss. Für einen kurzen Moment spannen sich alle Muskeln in meinem Körper an und ich weite meine Augen. Ich höre ein Paar Absätze aus der Ferne, die sich mir mit kurzen, schnellen Schritten nähern. O Gott.

 "Mr.Hamilton, ich werde tun, was ich kann. Ich kann-", Rosa verschlägt es die Sprache, als sie mich in meinem Unterschlupf ertappt und mit verdutzten Blicken sicher geht, dass ich es wirklich bin. "Ah, n-nein, alles in Ordnung, Mr. Hamilton. Ich rufe Sie nach dem Einkauf zurück." Mit diesen Worten legt sie das Telefonat mit Damien auf. Sofort tauchen die Bilder seines Gesichtsausdruckes, als wir uns wortwörtlich an der Eisdiele über den Weg gelaufen waren, wieder vor meinen Augen auf. "Birdie...", ist das Einzige, was Rosa zu sagen hat, während ich bemerke, wie sie alles dagegen tut, ihre Tränen aufzuhalten. Ich weiß nicht so recht, wie ich mich verhalten soll. Verdammt, ich weiß nicht einmal, was ich fühle. 

  Einer der Gründe, warum ich zu diesem Supermarkt gekommen war, war, dass ich gehofft habe, Rosa anzutreffen. Ich konnte mich nie wirklich von ihr verabschieden und habe sie dementsprechend seit Wochen nicht mehr gesehen. Anfangs war ich total wütend, als Rosa einfach nicht kam. Jeden Tag saß ich auf diesem Parkplatz und habe mir jedes Auto zehn mal bis ins Detail angesehen, um ihren schwarzen Kleinwagen zu finden, aber die Suche blieb bis heute erfolglos. Aber schnell wurde meine Wut zu einer undefinierbaren Trauer. Ich versuchte mich mit dem Gedanken abzufinden, Rosa wahrscheinlich nie wiedersehen zu können. Mit der Weile hatte ich mich eigentlich mit dem Gedanken abgefunden, dass Rosa der Vergangenheit angehören würde, genau wie Damien und Daisy, aber sie nun vor mir stehen zu sehen, mischt all das zusammen, was sich in den letzten Wochen innerlich bei mir abgespielt hat. Meine Nerven sind am Ende, obwohl ich schon schlimmeren Bedingungen ausgesetzt war. "Er hatte also Recht." Auf Rosas Stirn bilden sich Falten, während sie versucht das, was sich in ihren Gedanken abspielt, zusammenzufügen. Ich tue praktisch dasselbe, als ich versuche, das, was sie gerade vor sich her gesagt hat, zu verstehen. 

  Kurze Zeit später kniet sie sich vor mir hin und schaut mich mit einem unsicheren, nervösen Blick an. "Du bist es doch, Birdie?", obwohl ihr kleiner Scherz nicht wirklich lustig gewesen ist, müssen wir beide Schmunzeln, während auch ich alles dafür gebe, nicht in Tränen auszubrechen. 

  "Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen.", schluchze ich, als sie ihre Arme um mich schlingt und ich ihren vertrauen Geruch einatme, der nach Vanille riecht. Als wir uns beide wieder loslassen, schaue ich sie verwirrt und nach einer Antwort flehend an. "Und wer hat jetzt womit recht?"

  Sie lässt die angestaute Luft aus ihrer Lunge entweichen und pausiert einen kurzen Moment lang. "Mr. Hamilton hat mich seit Wochen zu einem anderen Supermarkt geschickt. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, warum, aber nun wird mir einiges klar. Sebastian hatte dies bereits in Verdacht, aber ich hätte seine Worte nie geglaubt, da es ja sowieso nur eine Vermutung war... Mr. Hamilton wollte also wirklich, dass ich dich nicht mehr zusehen bekomme. Fragt sich nur, warum er mich dann heute wieder zu dem alten Supermarkt geschickt hat..."

"Ich kann mir vorstellen, wieso er das getan hat.", antworte ich zu ihrer Überraschung. Für mich kann es da nur einen Grund geben. "Und wer ist dieser Sebastian?", frage ich, um das Puzzle in meinem Kopf fertigstellen zu können.

"Warte...was weißt du, was ich nicht weißt?", lautet ihre Frage, während sie meine gekonnt ignoriert. 

 "Damien hat mich gestern in der Oxford Street getroffen. Wahrscheinlich dachte er, ich würde dort bleiben. Wenn er tatsächlich wusste, dass ich die letzten Wochen hier war, dachte er sicherlich, dass ich nicht wieder zurückkehren würde." Rosa hört mir aufmerksam zu, obwohl es so aussieht, als würde sie jedes Wort noch einmal im Kopf umdrehen, um mir folgen zu können. 

 "Ihr habt euch gesehen?" Ich nicke. "O man, jetzt ergibt auch bei mir alles einen Sinn." Ich schaue erwartungsvoll zu ihr auf. "Wenn du das alles hören willst, dann muss ich dich ganz nett darum bitten, mich beim Einkaufen zu begleiten." Ihr unschuldiges Grinsen ist so gefälscht, dass es schon wieder amüsant ist. Sie steht wieder auf und streckt mir ihre Hand entgegen. Ich verharre für eine Sekunde, bevor ich nach ihr greife, um Rosa in den Supermarkt zu folgen.


Frage zum Kapitel: Wer meint ihr ist Sebastian? Schreibt eure Vermutungen in die Kommentare! x


The Rain Upon Us (Damien & Birdie - Trilogie #2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt