Kapitel 8

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In meine weiche Decke eingewickelt lag ich in meinem Bett. Ich hatte sie bis zu meiner Nasespitze hochgezogen, damit keine annähernd kalte Luft an meinen Körper gelangen konnte.
Ewig lag ich schon so da. Ich konnte einfach nicht einschlafen. Zu viel war an diesem Wochenende und spezielle heute passiert. Das einzige komische heute war, dass Moritz die ganze heimfahrt über nichts mehr geredet hatte. Er saß nur da und schaute stur aus dem Fenster. Ich fand es zwar nicht all zu schlimm dass wir nichts redeten, denn die Ruhe und nur das leise rattern des Busses zu hören, war ziemlich angenehm, trotzdem verwunderte mich seine plötzliche schlechte Laune.
Vielleicht viel ihm einfach nur ein, dass morgen wieder Montag ist und Schule war, versuchte ich mir einzureden, während ich mich auf die rechte Seite drehte. Ganz langsam ohne dass der Teppich verrutschen und ein Luftloch entstehen konnte.
Ich erkannte aus meiner neuen Position die Umrisse des kleinen Büchleins von Bella. Heute war ein wirklich schöner Tag, auch wenn ich daran erst nicht geglaubt hatte. In letzter Zeit erlebte ich viele solcher Tage und ich träumte auch nicht mehr so oft diesen schrecklichen Traum.
Ich schloss meine Augen, ganz langsam, und konzentrierte mich darauf nicht einzuschlafen. Es war angenehm einfach so dazuliegen und nachzudenken. Über schöne Dinge nachzudenken.
Schlagartig viel mir Phil ein. In letzter Zeit war ich ihm so viel nähergekommen, als ich je gedacht hätte. Erst als ich bei ihm zu Hause fast in seinem Zimmer stand und dann seine Umarmung. Bei dem Gedanken daran bekam ich eine Gänsehaut. War es Zufall, dass er heute schon wieder in meiner Nähe war? Er kam freiwillig auf uns zu, wollte er mich umarmen, oder war es nur so aus Spaß?
Unzählige Fragen schwirrten mir durch den Kopf, bis mir ganz schwindelig davon wurde.
Den dummen Gedanken, er könnte mich vielleicht mehr mögen, schob ich gleich zur Seite. Phil war beliebt und von so einer wie mir wollte er bestimmt nichts. Ich wollte mir darauf nichts einbilden. Fast jedes Mädchen stand auf ihn und er wusste das, deshalb nutze er es oft aus und wenn er Lust hatte mit jemanden zu flirten dann tat er es auch. Er wusste sie würden darauf anspringen.
Außerdem kannte er nicht einmal meinen Namen. Ein Schmerz durchfuhr meine Magengegend, wie ein dumpfer Messerstich. Darüber hatte ich wenn ich ehrlich bin noch nie nachgedacht. Doch es stimmte. Bei keiner unserer Begegnungen hatte ich ihm meinen Namen gesagt und er hatte auch nicht danach gefragt.
Ich spürte wie ich langsam traurig wurde. Doch ich wollte das jetzt nicht. Ich hatte überhaupt keine Lust mit einem schlechten Gefühl einzuschlafen, zumal das Einschlafen wenn man traurig war, umso länger dauerte. Vielleicht war aber auch in diesem Moment die Angst zu groß, wieder den unaufhaltsam schrecklichen Traum zu träumen, indem ich Bellas Tod direkt vor mir sah. Immer und immer wieder.
Ich drehte mich auf die andere Seite und versuchte irgendwie das gute Gefühl von vorhin wieder zu bekommen. So ganz gelang es mir erst als ich an die kleine Chinesin dachte, mit ihrem Mann und dem Foto. Sie waren wahrscheinlich Touristen, die sich über jeden tollen Schnappschuss in ihrem Urlaub freuten. Sofort musste ich an Bella denken. Sie liebte es Fotos zu machen. Eine Wand in ihrem Zimmer, war früher immer voll mit Bildern geklebt, von der Natur, von der Stadt und von ihrem Freunden. Ob die immer noch dort hiengen? Keine Ahnung.
Plötzlich kam mir die Idee, wie als hätte sie jemand gerade eben in mein Hirn eingepflanzt.
Bella liebte Bilder, wie schon gesagt. Und was wäre schöner für sie, als Bilder von uns zu haben während wir ihre Wünsche erfüllen?
Ich deckte mich auf. Nun war mir warm geworden.
Mit langsamen und leisen Schritten, denn meine Elter schliefen schon, bahnte ich mir den Weg zu meinem Schreibtisch und knipste die Nachttischlampe an.
Dann öffnete ich die Schublade und kramte eine kleine Holzkiste hervor.
Bella sollte die Fotos ja auch irgendwie sehen. Zeigen konnten wir sie ihr ja nicht und deshalb hatte ich vor die Fotos in eine kleine Kiste hineinzulegen, die wir leicht unter die Erde hinter dem kleinen Busch auf Bellas Grab vergruben. Sodass wir immer wieder neue Bilder nach jeden erfüllten Wunsch hineintun können.
Meine Wangen glühten nun förmlich, während ich mich, immer noch ziemlich überrascht über diese brillante Idee, wieder in mein Bett kuschelte.
Es war nun schon weit aus über Mitternacht und ich beschloss zu schlafen, denn der Gedanke in ein paar Stunden schon wieder aufstehen zu müssen schlauchte mich.

Moritz war begeistert, als ich ihm am nächsten Morgen hastig und ohne einen Punkt zu setzten von meiner Idee erzählte. Er war zwar immer noch ein wenig komisch als ich ihn begrüßte, doch am Ende des Unterrichts war er wieder der Alte.
Nun war ich auf dem Weg zu meiner Nachhilfe. Als ich gerade die Straße entlang lief, versank ich wieder in Gedanken. Unnötige Gedanken. Verträumt und ohne die Angst Phil könnte mir die Tür öffnen bog ich wenig später in die Einfahrt, des riesigen Einfamilienhauses ein. Erst als ich klingelte wurde mir bewusst, wie nah ich Phil jetzt gerade war. Gleich würde ich in seinem Haus stehen und diesmal wusste ich dass es sein Haus war.
Insgeheim hoffte ich, dass ich ihn heute sehen werde, denn in der Schule konnte ich ihn nirgends entdecken.
Mit einem freundlichen Lächeln öffnete mir Pia die Haustüre. Ich hatte beschlossen, heute auf den Geruch des Hauses zu achten, und zu schauen ob es auch nach Lavendel, so wie Phil, roch.
Doch als ich hineinlief, konnte ich nichts riechen außer dem Duft von Früchtetee.
Ich lief hinter Pia her, die wie letztes Mal auf den Esstisch im Wohnzimmer zusteuerte.
„Ich habe heute leider nicht so viel Zeit“, sagte sie während sie das Buch aufschlug und wir uns hinsetzten, „außerdem ist mein Bruder krank und ich muss nachher mal nach ihm schauen, weil meine Eltern nicht da sind.“
Ihr Bruder? Phil? Das klärte auch die Frage, warum er nicht in der Schule war und meine Hoffnung ihn zu sehen verschwand.
Ich löste eine Matheaufgabe nach der anderen. Das zweite Thema verstand ich jetzt ein bisschen besser als zuvor und ich war eigentlich ganz zufrieden mit mir. Ich war mit der letzten Aufgabe fertig,
als sie gerade heißen Tee aus der Küche trug und es an der Haustür klingelte. Sie stellte den Tee auf dem Tisch ab.
„Sarah? Könntest du vielleicht den Tee zu meinem Bruder ins Zimmer bringen? Die Treppe hoch und dann die erste Tür rechts. Er schläft. Stell es ihm einfach auf seinen Nachttisch. Aber nicht anstecken, du musst fit für den Donnerstag sein.“ Sie grinste, dann ging sie ohne meine Antwort abzuwarten und öffnete die Tür.
Schweiß brach auf meiner Stirn aus, obwohl mir alles andere als warm war.
Doch mir blieb ja jetzt nichts anderes mehr übrig als diesen Tee da hoch zu bringen.
Langsam und mit so leisen Schritten wie ich nur konnte lief ich den Weg zu Phils Zimmer, öffnete die Tür und schloss sie hinter mir wieder.
Auf Zehenspitzen ging ich zu seinem Bett. Er schlief, eingewickelt in seine Decke und wunderschön.
Ich weis nicht ob es nur ein paar Sekunde waren, wie ich so da stand und ihn nur beobachtete oder ob dieser Moment länger dauerte. Jedenfalls wurde mir bewusste wie bescheuert es eigentlich war ihn zu beobachten und stellte die Tasse leise auf seinem Nachtisch ab.
Ich hörte ihn tief ein und wieder aus atmen und dann musste ich ihn schon wieder anschauen. Seine Augen zuckten leicht unter seinen Liedern und er rümpfte kurz seine Nase.
Ich musste lächeln. Wie kann ein Mensch nur so schön sein wenn er krank ist und schläft?

Auf dem Nachhauseweg dachte ich ausnahmsweise gerade nicht über Phil nach, sondern über Mathe. Ich hatte ein gutes Gefühl und wenn ich die zwei Nachhilfestunden gut nutzen würde, könnte ich das schaffen. Ich zog meine Mütze weiter in mein Gesicht, denn es fing an große Wattebäusche zu schneien. So wie an diesem einen Abend mit Phil.
Meine Lippen formten ein lächeln, aber nur weil ich wieder an ihn denken musste.
  

Hundert WünscheWhere stories live. Discover now