Kapitel 48

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Er stieg ein, während ich da saß, versuchte nicht zu heulen und starr nach vorne blickte. Ich sah dem Wasser nach, das neben dem Parkplatz in dem kleinen Fluss hinunter plätscherte. Ich dachte an unser erstes Treffen im Park. Es war also doch kein Zufall gewesen. Schon damals auf dem Weihnachtsmarkt dachte er nur an sein Stipendium in New York.

Plötzlich kam er mir nicht mehr perfekt und wunderschön vor. Er widerte mich an, obwohl ich ihn vor wenigen Stunden noch über alles liebte.

„Alles in Ordnung?", fragte er. Es war das erste Mal das ich in seine Augen blickte, nachdem ich die Wahrheit über ihn wusste. Und irgendwie erkannte ich nicht mehr die strahlenden Phil-Augen die mich immer hypnotisiert hatten, sie waren einfach nur noch eiskalte Kristalle.

„Ja!", schrie ich schon fast, weil meine Stimme unkontrolliert in die Höhe schoss. „Es ist alles in bester Ordnung. Ein richtig schöner Tag. Genau richtig um die Wahrheit heraus zu finden." Ich hatte meine Stimmbänder nicht unter Kontrolle, wahrscheinlich lag es an dem riesen Kloos im Hals.

„Was? Was redest du da?" Immer noch starrten mich seine kalten Augen an.

Ohne ein Wort zog ich den Schlüssel des Autos und stieg aus. Ein kalter Windstoß kam mir entgegen, der aber glücklicherweise meine Gedanken ordnete und mich aus der Taubheit riss. Dann lief ich zum Kofferraum, zog meinen Koffer raus und knallte den Deckel mit voller Wucht wieder zu. Mittlerweile war Phil hecktisch ausgestiegen. Keine Ahnung ob er ahnte, dass sein falsches Spiel aufgeflogen war.

„Was ich da rede? Vielleicht solltest du dir mal ein wichtiges Video anschauen, dann weißt du wovon ich spreche." Ich traute mich ihn anzuschreien, was zuvor nie der Fall gewesen war.

„Welches Video? Ich weiß nicht was du meinst." Er wollte mich festhalten, doch ich schreckte schnell zurück und zog meine Handtasche und den Koffer näher an mich.

„Kannst du dich noch an die Hausparty erinnern? Und das Gespräch mit Steven oben im Schlafzimmer?" Ich sah ihm die Erkenntnis langsam an.

„Du weißt doch etwas von dem Gespräch? Ich dachte du bist total betrunken gewesen?", fragte er entsetzt und langsam zeigte er das gleiche Gesicht wie in diesem Video.

„Stimmt, war ich auch. Es gibt ein Video von diesem Gespräch. Ich hab alles gehört Phil." Wieder versuchte ich nicht zu weinen.

„Fuck. Ich hatte Marvin den ganzen Abend gesagt er soll mich mit seiner Kamera in Ruhe lassen." Er raufte sich durch die Haare. Ich lachte entsetzt auf.

„Es geht doch nicht um das Video und wer es gemacht. Weißt du wie sehr du mich damit verletzt? Du bist das aller letzte!"

„Ja okay, es war nur ein Spiel. Aber ich brauche dieses Stipendium.", sagte Phil.

„Wie kannst du so eiskalt sein? ", kam es leise aus mir heraus.

„Komm schon. Nur noch diesen einen Tag. Ich zahl dir auch neue Klamotten oder was du sonst haben möchtest." Er bemerkte wie er verzweifelt war.

„Spinnst du? Ich dachte du magst mich wirklich und schätzt das was wir haben. Dabei lügst du mich an, gaukelst mir etwas vor und das alles nur damit du am Schluss wieder alles bekommst was dein Daddy dir ausnahmsweise nicht in deinen Allerwertesten schieben kann."

„Das was wir hatten? Möglichst wenig Körperkontakt oder von was sprichst du?" Er lachte auf.

„Zumindest muss ich nicht irgendjemand später erzählen, dass ich mehr mit dir hatte als nur das. Ich will dich einfach nie wieder sehen.", zischte ich zurück.

„Sarah, okay ich hab dich belogen. Weißt du, ich hätte dich so oder so nach dem Treffen abserviert. Viel länger wäre das mit uns nicht gelaufen. So gesehen, war das ganze Zeitverschwendung mit dir und du kannst froh sein, dass du meine Abfuhr nicht ertragen musstest." Ich merkte ihm an, dass er mich verletzte wollte. Ich wusste, er wollte, dass ich heulend davon renne. Doch ich wollte nicht ein kleines Häufchen Elend irgendwo in der Schweiz sein.

Ohne ein weiteres Wort, setzte ich mich auf den vorderen Sitz im Auto und schloss die Türen von innen zu. Phil kam an die Fahrertür gelaufen und klopfte heftig gegen die Scheibe.

„Ey, was machst du?", schrie er.

Ich nahm sein Handy, das in der Ablage zwischen den vorderen Sitzen lag und entsperrte es. Oft genug hatte ich seinen Pin gesehen. Dann öffnete ich seine Kontakte und suchte die Nummer seines Vaters heraus. Ich nahm mein Handy und speicherte zuerst die Nummer ein. Anschließend leitete ich das Video, welches Moritz mir geschickt hatte, an Phils Vater weiter.

Mit freundlichen Grüßen das unschuldige, liebe und verdammt naive Mädchen!

Schrieb ich darunter und drückte auf senden.

„Daddy wird bestimmt stolz auf dich sein.", sagte ich und hielt das Handy so an die Scheibe, dass Phil erkennen konnte, was ich seinem Vater geschickt hatte.

„Spinnst du? Du kannst doch nicht das Video meinem Vater schicken. Steig aus!", schrie er und polterte wieder mit seiner Faust gegen die Scheibe.

Ich atmete erst mal tief aus und versuchte mich zu sammeln. Trotz das Phil mich so verletzt hatte, fühlte ich mich erleichtert.

Dann stieg ich wieder aus.

„Das ist ein schlechter Scherz gewesen, oder?", er kam auf meine Seite gelaufen und stand bedrohlich nahe vor mir. Aber ich hatte keine Angst vor ihm. Für mich war er in dem Moment einfach nur unglaublich erbärmlich.

„Phil, du bist ein schlechter Scherz. Und für das was du mir angetan hast, müsste ich dieses Video eigentlich noch tausend anderen Leuten schicken. Aber ich glaube es ist deren eigene Aufgabe herauszufinden, was für ein riesen Arschloch du bist." Ich wich zurück und das erste Mal kam ich mir in seiner Anwesenheit selbstsicher vor.

Mit dem Autoschlüssel schloss ich das Auto zu, in dem immer noch sein Handy lag, und schnappte meinen Koffer. Dann lief ich zu dem kleinen Fluss, schaute nochmal kurz in die Strömung und schnappte mir einen leeren Joghurtbecher aus dem Mülleimer neben mir.

„Was hast du vor?", fragte Phil und kam auf mich zugelaufen. Doch bevor er mich erreichen konnte, hatte ich den Autoschlüssel in den Becher gelegt und auf die Wasseroberfläche gesetzt.

„Och schade. Jetzt ist der Schlüssel weg.", meinte ich und winkte dem Schlüssel hinterher der Flussabwärts schwamm.

„Bist du total verrückt geworden. Wie soll ich denn nach Hause kommen?" Er rannte dem Fluss soweit es ging hinterher.

„Das ist nicht mein Problem.", meinte ich und lief mit meinem Koffer davon. Nach wenigen Metern spürte ich die heißen Tränen die Wange herunter laufen. Ich konnte es nicht länger unterdrücken, sonst wäre ich noch geplatzt.

Phil hatte mich unglaublich enttäuscht. Wie konnte ein Mensch nur auf so eine Art und Weise Lügen um sich seinen Traum zu erfüllen. Moritz hatte die ganze Zeit recht gehabt und ich war so blind gewesen und hatte nicht bemerkt, dass er mich einfach nur beschützen wollte. Ich hatte mir immer eingebildet er wäre eifersüchtig, dabei wollte er nur, dass ich nicht verletzt werde. Und trotz seiner tausend Anzeichen und Warnungen stand ich am Schluss dieser beschissenen Sache alleine in der Schweiz und versuchte mich aus dem Sichtfeld von Phil zu schleichen.

Ich lief unter die Brücke über der die Autobahn verlief und Autos bretterten. Es war schwer sich zu sammeln und ich konnte einfach nicht klar denken.

Ich wusste, ich müsse irgendwie hier weg kommen. Hatte aber keine Ahnung in welche Richtung und wie.

Hastig putze ich mir die Nase und versuchte nicht allzu laut zu schluchzen. Ich hätte für nichts garantieren können, wäre Phil noch einmal in meine Nähe gekommen.

Erst als ich den zehnten Plan durchdachte, wie ich hier weg kommen könnte, kam mir eine Erkenntnis die ich schon viel früher hätte fassen sollen.


Hundert WünscheWhere stories live. Discover now