Twelve

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Es wurde zur allabendlichen Routine. Schon bald hatte Niall den Bogen heraus und schließlich konnte er sich die Lampe auch vorstellen, ohne dass sie vorher eingeschaltet werden musste.

Leider ließ seine Sehkraft genauso schnell nach. Bald war es unmöglich, ihn weiterhin in den normalen Kindergarten zu schicken. Auch zu Hause wurde es schwerer. Es dauerte nicht lange, da schlich der Junge an den Wänden entlang, immer mit den Händen voraus. Seine Mutter hatte oft Tränen in den Augen, wenn sie ihren Sohn so betrachtete.

Mr und Mrs Horan verbrachten viel Zeit mit ihrem Sohn. Sie hatten sich eine beachtliche Bibliothek zugelegt. Alles Fachbücher über Erblindungen, speziell solche, die sich mit Kindern beschäftigten. Sie zeigten Niall viele Tricks, mit denen er den Alltag überstehen konnte, ohne übersät zu sein mit blauen Flecken. Dennoch gehörte eine gute Salbe gegen Prellungen zu den Dingen, die niemals vergessen wurden zu besorgen.

Jeder Dienstag wurde zum Jonathan Tag. Die regelmäßigen Besuche bei dem freundlichen Arzt brachten aber keine Neuerungen. Kurz nach der Diagnose zog Doktor Meyer einen Spezialisten hinzu, doch auch der konnte nichts tun, als eine Prognose abzugeben, wie lange Niall wohl noch sehen können würde. Die Diagnose aber konnte er nicht revidieren und auch eine Behandlung konnte er nicht in Aussicht stellen.

„So leid es mir auch tut...

Wie oft hatten die beiden diesen Satz jetzt schon gehört? Zu oft auf alle Fälle. Ja, sie wussten, die Menschen, die es sagten, meinten es gut. Doch die Hilflosigkeit, die aus diesen Worten sprach, war kein Trost, sondern nur ein Grund, selbst depressiv zu werden und das durfte auf gar keinen Fall geschehen.

Seit seinem Zusammenbruch hatte sich Mr Horan nie wieder so gehen lassen. Er hatte Kraft geschöpft, aus welcher Quelle auch immer, und diese Kraft investierte er voll und ganz in seinen Sohn.

„Ich weiß nicht, woher Sie all diese Kraft und Ausdauer nehmen“,

hatte Doktor Meyer eines Tages gesagt, nachdem sie ihn mit einem neuen Verfahren zur möglichen Heilung konfrontiert hatten.

„Und ich sehe das nicht ohne Sorge, denn ich fürchte, Sie verausgaben sich selbst, bevor die Sache wirklich akut wird. Bitte heben Sie sich noch etwas Kraft auf.

„Das werden wir tun, aber was ist nun mit diesem Verfahren. Es wird als äußerst vielversprechend beschrieben.

„Das stimmt. Der Artikel klingt nach einem Wundermittel. Doch muss ich Sie enttäuschen. Der Artikel wurde im Auftrag der Firma geschrieben, die dieses Mittel herausgebracht hat. Die klinischen Tests sind nicht ganz so vielversprechend, um nicht zu sagen, es ist zweifelhaft, ob dieses Mittel jemals wirklich auf den Markt kommt. Die Nebenwirkungen sind katastrophal und der Nutzen - gelinde gesagt - sehr gering.

Beinahe hätte er hinzugefügt, ‚es tut mir leid', doch er wusste mittlerweile, dass dieser Satz wenig Trost birgt.

„Danke, Doktor Meyer.

„Danke? Wofür? Das ich Ihre Träume, einen nach dem anderen zerstöre? Ich wünschte, ich hätte etwas übersehen und Sie würden es finden. Wirklich, ich wäre über einen Fehler meinerseits niemals so erfreut. Glauben Sie mir, lieber würde ich meinen Ruf verlieren, als Niall seinem Schicksal zu überlassen.

„Ich weiß“,

sagten die beiden gleichzeitig.

Feel With The Hearts Where stories live. Discover now