Kapitel 2

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„Hi“, sagte er als er direkt vor mir halt machte. Sein Blick schweifte über die Ablage. Ich konnte nichts antworten. Ich wollte, das ‘Hi‘ lag mir auch schon auf der Zunge, doch aus einem komischen Grund war es wie festgeklebt. „Ich hätte gern das Lebkuchenherz, das Linke dort oben.“ Er grinste mich an und seine Augen funkelten als hätte er tausende Diamanten dahinter versteckt.
‘Jetzt reiß dich mal zusammen, er ist doch auch nur ein ganz normaler Mensch‘, sagte ich innerlich zu mir. Es half etwas denn ich konnte mich zumindest wieder bewegen. Ich drehte mich um, hing das Herz ab und gab es ihm.
„Bitteschön“, wow ich hatte ein Wort rausgebracht, „das macht dann…“
„Stimmt so“, unterbrach er mich und drückte mir einen zehn Euroschein in die Hand.
Er lief mit seinen zwei Freunden weiter kurz danach drehte er sich nochmal um, grinste frech und verschwandt.
Als er nicht mehr zu sehen war, schlug ich mir mit der Hand gegen die Stirn und lies mich auf den Stuhl hinter mir fallen. Wie konnte mich ein Mensch so verrückt machen?! Es wäre die Gelegenheit für mich gewesen mit ihm zu reden.  
Erst jetzt wurde mir bewusst was eigentlich gerade passiert ist. Phil, der coolste und beliebteste Junge der ganzen Schule hat bei mir ein Lebkuchenherz gekauft. Ich musste grinsen.
„Was lächelst du den so in dich hinein?“, fragte Amanda und stand mit ihren Armen in die Hüfte gestemmt vor mir.
„Nichts ich…“ Oh man war das peinlich. Ich nahm meine Tasche. „Ich muss jetzt los bis bald.“
Bevor ich ging drückte ich sie noch kurz an mich, dann lief ich den Weg zurück zum Ausgang des Weihnachtsmarktes. Meine Beine zitterten und ich fühlte mich als wäre ich gerade tausende von Loopings mit einer Achterbahn gefahren.

 Vor unserm Haus machte ich kurz halt. Es dämmerte und ich konnte es nicht richtig erkennen. Doch ich meinte von weitem ein Fahrrad vor unserem Haus wahrzunehmen. Meine Vermutung bestätigte sich, als ich näher heran ging. Es war das Fahrrad von Moritz, das da stand. Ein Seufzer entwich mir.
Langsam schleppte ich mich die kleine Vortreppe hoch und schloss wiederwillig die Tür auf.
Aus der Küche hörte ich schon Moritz laute Stimme und Mamas lachen als er ihr etwas erzählte.
„Ich bin wieder da“, sagte ich leise in der Hoffnung mich würde niemand hören. Doch falsch gedacht Mama und Moritz kamen gleich darauf aus der Küche gelaufen.
„Sarah, Moritz ist da“, sagte sie und blickte mich erwartungsvoll an.
„Was machst du denn hier?“ Ich schaute ihm direkt in die Augen.
Klar ich mochte Moritz gar keine Frage. Er war mein bester Freund und der einzige mit dem ich über alles reden konnte. Doch abends wollte ich keine Freunde sehen. Abends wolltel ich mich einfach nur in irgendeiner Ecke verstecken und hoffen dass das alles nur ein schrecklicher Albtraum war. Alles vergessen. Doch das gelang mir nie.
„Ich dachte ich besuche dich mal und wir reden oder machen etwas anderes zusammen.“ Er wich meinem Blick aus.
„Ich muss auf Toni aufpassen.“ Das war nicht einmal gelogen. Jeden Mittwochabend hatte meine Mutter ihre Schwangerschaftsgymnastik und Papa ging mit. Ich zog meine Jacke aus und stellte meine Tasche auf die Treppenstufe. Mama war inzwischen wieder in die Küche gegangen.
„Das macht doch nichts. Wir könnten uns doch Pizza backen und Fernsehen. Wie in alten Zeiten.“
Und genau das war der Punkt. Ich wollte mich nicht an alte Zeiten erinnern. In keinster Weise.
Es stimmt. Früher hatten wir hofft zusammen auf Toni aufgepasst. Als Bella noch lebte.
Wir Mädchen backten die Pizza und Moritz spielte mit Toni Videospiele oder schaute Fern. Danach aßen wir gemeinsam. Lachten viel, hatten Spaß, waren glücklich.
Ich konnte das nicht und ich wollte es auch nicht.
„Moritz“, sagte eine Stimme hinter mir. Es war mein elfjähriger Bruder, der gerade vom Fußballtraining kam. „Ich hab dich ja schon ewig nicht mehr gesehen, bleibst du noch?“
Er schaute erst mich dann Moriz an.
Ich schnappte meine Tasche und rannte hoch in mein Zimmer. Dann sollte er eben da bleiben. Aber ich wollte meine Ruhe. Man darf das jetzt nicht falsch verstehen. Moritz ist wie ein Bruder für mich. Ach manchmal versehe ich mich selbst nicht so ganz.

Eine halbe Stunde später, Mama und Papa waren inzwischen gegangen, lag ich mit meiner Lieblings Jogginghose auf meinem Bett und hört Musik. Als es an meiner Tür klopfte. Ohne dass ich herein gesagt hatte, wurde sie geöffnet.
„Hi“, sagte Moritz leise und schloss die Tür hinter sich.
„Hey.“ Ich richtete mich auf.
„Wenn du reden willst…“ Er lächelte.
„Ich will nicht reden warum kapiert das denn niemand.“ Unterbrach ich in.
Das Lächeln aus seinem Gesicht verschwand. „Weist du was? Du bist ein richtiger Eisklotz geworden, seit Bella nicht mehr lebt. Ich bin auch traurig und will es nicht wahrhaben. Aber ich versteck mich nicht den ganzen Tag zu Hause, wie ein Vampir der die Sonne meidet. Denn glaub mir, das bringt nichts. Du musst dich ablenken, zum Beispiel mit mir etwas unternehmen. Wir können auch Sachen machen die dich nicht an sie erinnern. Nur so kannst du es am besten verarbeiten.“
Ich stand von meinem Bett auf. Wollte nur noch weg von hier. Mit großen Schritten ging ich auf die Tür zu. Doch Moritz hielt mich an meinem Oberarm fest. Ich fing an zu weinen.
„Alles wird gut“, sagte er und nahm mich in den Arm. Ich änderte meine Meinung schlagartig. Es tat doch gut mal wieder einen Freund dazuhaben, der einen versteht.

Ein wenig später saßen wir zu dritt unten im Wohnzimmer und schauten Fern. Als das Telefon klingelte. Ich stand auf und schaute auf das Display.
Es war die Nummer von Bella zu Hause. Mit zitternden Fingern nahm ich ab.
„Sarah Hansen“, meldete ich mich wie immer.
„Hallo Sarah, hier ist Lisa.“ Es war die Mama von Bella.
„Hallo.“ Ich hatte ihre Stimmer schon ewig nicht mehr gehört.
„Du wunderst dich bestimmt warum ich anrufe“, sie räusperte sich, „ich habe gestern Bellas altes Zimmer ein bisschen ausgemistet und dabei ein paar Sachen gefunden, die du und Moritz, denke ich, besser gebrauchen könnt als ich.“ Sie räusperte sich wieder.
„Oh okay.“ Ich wusste nicht genau was ich antworten sollte und ich glaube das merkte man mir an.
„Wenn ihr Lust habt, könnt ihr morgen nach der Schule kurz vorbei kommen und die Sachen abholen, ich ruf Moritz gleich noch an und frage ihn ob er einverstanden ist.“
„Ja gerne kommen wir vorbei. Ich kann es Moritz ausrichten, er ist gerade bei mir.“
„Das wäre nett. Dann bis Morgen.“ Ihre Stimme wurde leiser und bevor ich noch etwas sagen konnte, legte sie auf.
„Wer war das?“, fragte Moritz als ich käseweiß zurück ins Wohnzimmer kam.
Ich erzählte ihm wer dran war und fragte ob er damit einverstanden ist, die Sachen morgen abzuholen. Er nickte und lächelte mich an.
„Erinnerung sind so viel Wert“, sagte er und legte seinen Arm um mich.

Das erste Mal seit langem wurde ich von dem Piepen meines Weckers und nicht von den schrecklichen Albträumen wach. Ich setzte mich auf die Bettkannte und streckte mich.
Dieser Morgen fühlte sich irgendwie anders an als die anderen. Ich war topfit und ziemlich gut gelaunt. Und genau in diesem Moment musste ich an Phil denken. Durch ihn wurde meine Laune noch ein wenig verbessert. Ich hoffte ich würde in heute sehen.
Mit einem Lächeln stapfte ich runter in die Küche. Heute saß Mama am Küchentisch und Papa schmierte die Brote. Und das sah definitiv noch hecktischer aus als bei Mama. Aber er wollte ja dass sie sich schont.
Ich setzte mich auf meinen Platz.
„Und wie war es gestern, bei deiner Gymnastig“, richtete ich meine Frage an Mama. Sie war sichtlich verwundert, dass ich so gute Laune hatte.
„Frag nicht“, sagte Papa schnell bevor Mama überhaupt antworten konnte, „ich bin froh wenn das vorbei ist.“ Mama verdrehte lachend die Augen.
„Warts nur ab, in einem Monat ist das Baby da und wenn du dann nachts zum Windeln wechseln aufstehen must, würdest du dich freuen nur Gymnastig machen zu müssen.“ Er lachte.
„Ich muss los“, sagte ich und verlies immer noch mit einiger Maßen guter Laune das Haus.

Nach der Schule liefen Moritz und ich wie versprochen zu Bellas Haus. Es war ein komisches Gefühl und irgendwie hatte ich auch Angst davor gleich Bellas Mutter zu begegnen. Ich konnte überhaupt nicht sagen wie sie reagieren würde.
Mit einem nicken bestätigte ich Moritz, dass er jetzt klingeln konnte und er tat es auch.
Als ihre Mutter nach gefühlten Stunde die Tür öffnete, kam mir der Geruch entgegen der mir so vertraut vor kam, der Geruch von Bella.
„Ah hallo“, begrüßte uns Lisa freundlich, „kommt doch rein.“
Ich fragte mich, wie schlimm es für sie gewesen sein musste Bella zu verlieren, wenn es für mich schon fast unerträglich war.
Sie führte uns in das Wohnzimmer. Es sah immer noch so aus, wie beim letzten Mal seit ich hier war.
„Habt ihr Durst oder Hunger?“, fragte sie.
„Nein, danke“, lehnte Moritz freundlich ab. Ich schüttelte den Kopf.
„Naja ich denke ihr habt noch Hausaufgaben, ich werde euch mal die Sachen schnell holen.“ Sie verschwand in die Küche. Ich schaute mich noch einmal um. Alles kam mir so vertraut vor und doch so fremd und ich glaube Moritz ging es genauso.
Als Lisa wieder ins Wohnzimmer kam hatte sie eine Schachtel in der Hand.
„Ich habe sie nicht geöffnet als ich las was darauf stand.“
Mit Tränen in den Augen übereichte sie mir die kleine Kiste. Ich atmete tief ein und aus. Auf dem Deckel stand: „Moritz und Sarah, ihr seid die Besten, FREINDS FOREVER.“      

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