Prolog

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Mit langsamen, schlürfenden Schritten und gesenktem Blick nähere ich mich der Oxford Street. Ich kann meine Augen kaum offen halten. Die Schwellung ist auch über Nacht nicht besser geworden. Wenn ich den Moment bestimmen müsste, in dem ich in meinem ganzen Leben am schlimmsten ausgesehen habe, dann ist es wohl dieser.

Ein letztes Mal wickle ich die dunkelrote Decke eng um meinen Körper und kämpfe mich im Tempo einer Schildkröte durch die Massen der Menschen. Eigentlich ist es viel zu warm für eine Fleecedecke, aber in den letzten Wochen hat sie mir das Leben gerettet und es fühlt sich einfach richtig an, ein letztes Mal ihre Nähe zu spüren.

Die heißen Sonnenstrahlen erhellen die hektische Straße. Ich sehe rote Doppeldeckerbusse und schwarze Anzugträgerschlitten, die vor Hamilton & Sons Inc. halten, um Anzugträger abzuholen oder dem Imperium der Sünden auszuliefern. Ich habe ihn seit circa vier Monaten nicht mehr gesehen und ich wäre dem Schicksal sehr dankbar, wenn er mir auch heute nicht über den Weg läuft.

Während Hamilton & Sons Inc. immer größer und höher erscheint, desto mehr ich mich nähere, fällt mir etwas Eigenartiges auf. Als ich über die Straße schaue erkenne ich das leuchtene Schild der Eisdiele. Jamie's Ice Cream Shops Warteschlange führt bis zur Nische, in der ich einen hächelnden Hund erspähe. Chaplin. Augenblicklich starre ich den Stoff der dunkelroten Decke an und atme tief ein und wieder aus, bevor ich über den Zebrastreifen auf Chaplin zu gehe. Ein unüberhörbares Bellen erschreckt mich genauso sehr, wie die letzten Kunden der langen Schlange. Vorsichtig knie ich mich auf den Asphalt. Chaplin hat längst meine Decke im Visier und möchte sie um jeden Preis zurück. Ich gebe ihm, wonach er verlangt und streichle kurz über seinen Kopf, bevor ich mich wieder aufrichte und einen Blick in den Shop wage. Ich hoffe, mich hat niemand gesehen. Aber als ich sehe, wer hinter der Theke neben Juleya steht, um Damien Hamilton ein Tablett voll Eisbecher zu überreichen, verschlägt es mir die Sprache. Wie angewurzelt stehe ich vor der Glasscheibe und überhöre ein "Entschuldigung? Stehen Sie in der Schlange?". Ich kann es nicht glauben, dass mein Schicksal es genau an diesem Tag auf mich abgesehen hat. Noch viel schlimmer ist jedoch, dass die Frau hinter der Theke eine Lügnerin und Diebin ist, die nun für ein Biest ihresgleichen arbeitet.

Juleya hat Meredith in der Eisdiele eingestellt und ich kann meinen Augen nicht trauen.

Rasch dränge ich mich an den Menschen, die außerhalb des Shops ungeduldig und verschwitzt auf ihr Eis warten, vorbei, um so schnell wie möglich von dem Ort zu verschwinden, wo sich in diesem Moment drei Personen aufhalten, denen ich am liebsten nie wieder -- in meinem ganzen Leben -- begegnet wäre. Mit dem Fokus auf der Flucht, übersehe ich einige Menschen, die ich aus Versehen anrempel und murmle leise ein Entschuldigung vor mir her. Ich will hier weg!

Aber das Schicksal hat es wirklich auf mich abgesehen, als ich ihn: Mr. Damien Hamilton persönlich, in meiner Eile anrempel und die bunten Eiskugeln auf dem grauen Asphalt landen, um dort in nur wenigen Sekunden in bunte Farbkleckse zu verschmelzen. Erschrocken schauen wir uns in die Augen und ich würde lieber im Boden versinken, als ihm gegenüberstehen zu müssen. Er trägt weder eines seiner grauen Jacketts, noch eine Krawatte. Wahrscheinlich ist es seine Mittagspause, oder ihm ist einfach zu heiß geworden. Was interessiert es mich überhaupt!

"Birdie...", haucht er überrascht und sprachlos zugleich.

Ich verharre für einen kurzen Moment und schüttle schließlich meinen Kopf, um mich daraufhin an ihm vorbeizudrängen, in der Hoffnung, es wäre das letzte Mal gewesen, dass er mir vor die Augen tritt.

Damien..., antworte ich in meinen Gedanken, kann mich aber nicht dazu überwinden, für ihn stehen zu bleiben.

The Rain Upon Us (Damien & Birdie - Trilogie #2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt