2 - Viel zu viel.

793 95 8
                                    

Habt Ihr vergessen wie kommentieren funktioniert ? 😋❤️

[Louis]

Mit einem mulmigen Gefühl ging ich die letzten Schritte die mich von der Wohnungstür meines Vaters trennten.
Den Schlüssel dafür gab mir meine Mutter. So ganz verstand ich nicht wieso das nötig war.
Als ich jedoch in die kleine Wohnung trat wurde mir bewusst dass es sehr wohl nötig war.

Als erstes bemerkte ich den Geruch. Es stank förmlich. Nach Krankheit, nach Unrat. Ein flüchtiger Blick in die spärliche Küche reichte mir. Es war dreckig. Müll lag herum auf dem Boden, auf der Arbeitsplatte. Die einst so schöne Küche meines Vaters, in denen wir noch vor ein paar Jahren oft zusammen saßen und uns über Gott und die Welt unterhielten, sie war ein ungemütlicher Ort geworden.
Angewidert verzog ich das Gesicht. War das hier wirklich die Realität? Lebte mein Vater so oder träumte ich das?
Unbewusst atmete ich tief durch, wünschte mir dass ich gleich aufwachen würde. Doch das hier war kein Traum. Es war verdammt nochmal kein Traum.

"Hallo?" hörte ich seine schwache Stimme, die mir sofort ein unwohles Gefühl im Magen bereitete.
Gefasst auf alles betrat ich das Wohnzimmer und meine Augen weiteten sich.
Er lag dort auf der Couch. Abgemagert, mit heftigen Augenringen. Man sah ihm an wie krank er war und für mich war das ein Schock. Ich hatte ihn das letzte Mal vor vier Monaten gesehen, als er mir die Diagnose berichtete. Ich dachte er hätte noch Unmengen an Zeit. Vor allem dachte ich er würde normal aussehen.

"Dad..." hauchte ich erschrocken und er setzte sich ächzend auf. Ein leichtes, dennoch warmes Lächeln erschien in seinem Gesicht. "Hallo mein Sohn." sagte er und ich ging auf ihn zu.
Die ganze Situation überforderte mich vollständig doch ich durfte es mir nicht anmerken lassen.
Unsicher setzte ich mich neben ihn und griff nach seiner Hand, lächelte jedoch nicht. Es gab nichts zu Lächeln. Seine Hand war kalt und die Haut war rau. Ich konnte mich erinnern dass seine Hände früher immer warm und weich waren. Es hatte sich unglaublich viel verändert.
"Wie geht es dir, Dad?"
"Den Umständen entsprechend. Die Medikamente scheinen zu helfen." sagte er schwach und rieb sich den Kopf. "Hast du Kopfschmerzen?" fragte ich sofort und er nickte leicht. "Ist aber normal." versuchte er mich zu beruhigen. Ich musste schlucken und nickte. Normal, was war schon normal an dieser Situation?
"Wir kriegen dich schon wieder hin!" sagte ich fest, glaubte mir jedoch selbst nicht. Ich war nicht in dem richtigen Alter, mit 19 Jahren konnte man sowas einfach nicht allein bewältigen. Doch ich musste. Mir blieb keine Wahl.
"Sicher, mein Sohn." antwortete er, doch auch seine Stimme klang wenig überzeugt.
"Ich würde dir gern dein Zimmer und alles zeigen, doch ich bin sehr müde." sagte er leise und legte sich wieder hin während des Sprechens. Er wirkte unglaublich schwach. Er war nicht mehr mein Dad, wie er früher war. Diese Erkenntnis traf mich schwer und versetzte mir einen Stich.
"Keine Sorge, das kriege ich selbst hin. Schließlich kenne ich die Wohnung. Schlaf etwas. Ich...ich denke ich werde mal aufräumen und ich muss noch zur Uni mich anmelden." Während ich das sagte war Dad bereits halb eingeschlafen. Er nickte nur und ich stand auf. Ein Seufzen verkniff ich mir, ehe ich meine Tasche nahm und auf die Suche nach meinem Zimmer ging.
Ich betrat es und wollte sofort wieder gehen. Das war zu viel. Viel zu viel. Es war schäbig, heruntergekommen und dreckig. Ich musste dringend aufräumen.
Schnell stellte ich die Tasche ab und begann damit, diese Wohnung ein wenig wohnlicher zu machen.

Drei Stunden später hatte ich alles sauber gemacht. Küche, Bad, Wohnzimmer, einfach alles. Körperlich war ich am Ende. Verschwitzt und ausgelaugt. In meinem Kopf jedoch brannte die Hölle. Es fühlte sich an als würde er gleich platzen. So viele Erinnerungen und Eindrücke prasselten auf mich ein. Die vielen Nächte die wir als Familie hier verbracht hatten. Die Abende die ich mit Dad vor dem Fernseher verbracht habe weil unsere Lieblingsmannschaft ein Spiel hatte.
Gähnend schnappte ich mir Handy und Schlüssel, ging noch einmal zu Dad doch dieser schlief tief und fest. Ich gönnte ihm das. Es war vermutlich die einzige schmerzfreie Zeit für ihn.
Das Handy stopfte ich in meine Hosentasche ehe ich mir die Jacke überzog und die Wohnung verließ.
Es sollte mir ein schlechtes Gewissen bereiten dass ich erleichtert durchatmete als ich auf die Straße trat, doch das tat es nicht. Ich verspürte tatsächlich Erleichterung, denn die Stimmung innen war gespannt und unangenehm. Ich fühlte mich nicht mehr wohl an dem Platz, an dem ich aufgewachsen war.
Der Weg zur Uni betrug zwanzig Minuten. Ich lief ihn ohne Probleme, da ich mir die Karte stundenlang angesehen hatte um mir den richtigen Weg einzuprägen.
Der Campus war schön. Sehr schön. Alte Gebäude, große Bäume, eine ungewöhnliche Atmosphäre. Hier fühlte ich mich sofort wohl.
Ich würde Medizin studieren und es würde mein Leben bereichern. Es würde mich vielleicht glücklich machen, vielleicht würde mir dieses Studium Zufriedenheit schenken.
Ich lief langsam durch das herrschaftliche Hauptgebäude, bereit endlich anzufangen.
Bereit dazu mein Glück zu finden.

"Hey pass auf!" holte mich eine Stimme aus meinen Gedanken und keine Sekunde später lag ich auf dem Boden. Ich hatte tatsächlich jemanden umgerannt! Und das an meinem ersten Tag, wie viel Pech konnte man eigentlich haben? 
"Oh Gott sorry!" sagte ich, während ich aufstand und blickte in das Gesicht mir gegenüber.
"Schon okay. Ist ja nix passiert!" hörte ich sie sagen. Das Mädchen vor mir lächelte mich aus haselnussbraunen Augen freundlich an. Ich erwiderte ihr Lächeln nicht. Nicht, weil sie mir nicht sympathisch war, sondern weil ich eben nicht lächelte.

"Bist du neu hier? Hab dich noch nie gesehen!" fragte sie neugierig. "Ja, heute ist mein erster Tag sozusagen. Ich bin hier um mich anzumelden." antwortete ich ihr knapp. Sie war ziemlich hübsch, wenn man auf das Offensichtliche stand. Ich jedoch tat das nicht.
Sie lächelte. "Toll! Ich studiere hier Medizin, bin im ersten Jahr noch. Und du?"

"Ebenfalls Medizin." antwortete ich höflich - so gut ich das eben konnte -und wollte gerade weiter laufen, da nahm sie meine Hand einfach und schüttelte sie als Gruß.
Perplex sah ich ihr in die hübschen Augen.

"Ich bin Kelly."

Sunshine •|• LS Where stories live. Discover now