15 - Ozeanblaue Augen

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[Harry]

Am nächsten Nachmittag hatte ich meine Schicht im Burgerladen erfolgreich hinter mich gebracht. Ich zog mir die Uniform aus, schlüpfte in einen Hoodie und meine Jeans und verabschiedete mich von meinen Kollegen, eh ich aus dem Geschäft hinauslief und den Heimweg antrat. Noch immer musste ich an gestern denken. Es war so ein schöner Abend gewesen und auch wenn ich heute ganz schön müde war, so hatte es sich doch gelohnt bis nachts um drei in meinem Auto zu sitzen und die Zeit mit Louis zu verbringen.
Ich war gestern wirklich nicht darauf aus gewesen ihn zu küssen, doch schon auf der Tanzfläche war da diese Energie zwischen uns gewesen.
Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, dass er mich zuerst küssen würde. Oder überhaupt. Dieser traurige Junge mit diesen ozeanblauen Augen.
Ich musste dringend mit jemandem sprechen.

Wie eigentlich immer in London regte es bereits wieder und ich zog mir die Kapuze über den Kopf und beschloss nach einem erneuten Blick auf die Uhr, Zayn und Kelly von der Uni abzuholen. Ich schrieb Zayn kurz eine Nachricht um ihn zu informieren und lief dann die zehn Minuten zum Unigebäude. Wenn ich Glück hatte, würde ich Louis ja vielleicht auch sehen. Ich hatte ihm nicht geschrieben heute, da ich wusste, dass er viele Vorlesungen hatte. Das Medizinstudium war nicht einfach, ich wusste das am Besten. Ich hatte hart dafür gearbeitet aber bereits nach einem halben Jahr festgestellt, dass ich es nicht hinbekommen würde. Und so verließ ich die Uni, startete den Job im Burgerladen. Es brachte Geld ein und ich hatte viel mehr Zeit um Charlotte im Heim zu unterstützen. Das brachte mir viel mehr Freude und war auch das, was ich mir für meine Zukunft vorstellte. Nichts war erfüllender, als diesen Kindern ein Lachen in ihr Gesicht zu zaubern, oder ihnen beim Einschlafen zu helfen.

Vor dem Unigebäude sah ich bereits Zayn warten und so ging ich auf ihn zu und begann zu grinsen, als er mich entdeckte. "Zaynie! Hi!" sagte ich zur Begrüßung und wir umarmten uns kurz. Auch er lächelte mich an.
"Hey Harry. Kelly kommt auch gleich, ihre Vorlesung ist jetzt erst vorbei."
"Super! Was wollen wir unternehmen?"
Zayn überlegte kurz. "Wie wär's wenn wir dir gehen? Wir könnten einfach quatschen." schlug er vor und ich stimmte nickend ein. "Klingt gut."
Im gleichen Moment stieß auch Kelly dazu und umarmte mich ebenfalls. Ein Blick auf sie reichte aus um zu wissen, dass die gestrige Nacht nicht spurlos an ihr vorübergegangen war. Sie sah ein bisschen fahl aus und ihre Haare waren unordentlich in einem Dutt versteckt.
"Geht's dir gut?" fragte ich sie schmunzelnd, was Kelly mit einem Schlag auf meinen Arm quittierte. "Aua!" rief ich lachend aus und rieb mir die Stelle, sah zu ihr und grinste.
"Ich will einfach nur schlafen." maulte sie.
Ich lachte wieder und legte den Arm um sie, zog sie mit mir mit. "Meine Couch wartet bereits auf dich, keine Sorge."

Bei mir angekommen, schmiss sich Kelly sofort auf die Couch, zog sich die Decke über und seufzte tief. "Endlich."
Zayn ließ sich neben ihr nieder, streckte sich und sah dann zu mir. Bevor ich mich zu ihnen setze, holte ich jedem von uns eine Cola aus dem Kühlschrank nebenan, die ich dann auf den Couchtisch stellte. Meine Wohnung war recht klein, doch sie hatte sogar ein separates Schlafzimmer, sowie ein Bad mit Fenster. Ich hatte mich bei der Einrichtung leider auf Kelly verlassen, was bedeutete, dass nun alles in Erdtönen gehalten war, überall hingen oder standen große und kleine Pflanzen und der Couchtisch war aus einem Korbgeflecht mit einer Glaspatte oben drauf. Ich hatte Teppiche, Makramee-Geflechte an meiner Wand und Lichterketten überall. "Das ist Boho!" hatte sie damals gesagt und ich hatte nur genickt. Für mich war das hier eher ein Frauentraum gerade heraus aus Pinterest, aber ich hatte auch kein Recht, mich darüber zu beschweren. Wenn ich die Wohnung eingerichtet hätte, dann wäre meine Couch vermutlich aus schwarzem Leder und der Couchtisch würde ein übrig gebliebener Karton vom Umzug sein. Ich hatte überhaupt keine Ahnung von Einrichtung und ich vermutete, dass dieser Teil für mich immer ein großes Rätsel bleiben würde. Daher war ich Kelly eher dankbar dafür, dass sie sich darum gekümmert hatte. Eins musste ich schon sagen, es hatte Wohlfühlcharakter und ich kam gern nach Hause.
Ich setzte mich neben Zayn, öffnete meine Cola und trank einen Schluck daraus.
"Wie lief die Uni heute?" Ich sah Zayn an und lehnte mich zurück. Er studierte Kunst und Kunstgeschichte, sodass seine Vorlesungen des Öfteren spannend und ereignisreich verliefen.
"Es war so cool! Wir starten jetzt mit unserem ersten eigenen, großen Projekt und das Thema ist frei wählbar. Also habe ich mir natürlich schon etwas überlegt." Zayn's Begeisterung war ansteckend, ich sah ihn interessiert an und war bereits jetzt gespannt.
"Ich will was mit Graffiti machen." fuhr er fort und trankt ebenfalls einen Schluck. "Ich brauche dafür ein altes Auto, das will ich komplett mit Graffiti bemalen. Nicht beschmieren oder so, keine Straßentags. Ich will meine Geschichte erzählen."
"Wow, Zayn. Das ist ziemlich cool." sagte ich ihm zustimmend. "Das passt zu hundert Prozent zu dir, das wird der Wahnsinn!"
Stolz nickte Zayn und seine tiefbraunen Augen glänzten richtig beim Erzählen. Seine Vergangenheit war nicht weniger traurig als meine eigene und so war ich umso stolzer auf ihn, dass er es in seine Kunst projizieren konnte und auch wollte. Er wurde mit 16 zuhause rausgeschmissen und lebte von da an in einem Auto. Bis er auf mich und die anderen getroffen war, war er heimlich in der Schule duschen gegangen, hatte das Essen in der Kantine geklaut und ist dann zu einem verlassenen Parkplatz gegangen um einen trockenen Unterschlupf zum Schlafen zu haben. Ein hartes Schicksal. Als er 18 wurde, also vor zwei Jahren, da hatten wir uns bereits angefreundet und an seinem Geburtstag hatte er mir zu später Stunde seine Geschichte offenbart. Ich hatte ihm damals zusammen mit Kelly und den anderen sofort geholfen. Wir konnten ihn da gemeinsam raus holen, besorgten ihm einen Aushilfsjob, halfen ihm mit den Unibewerbungen und seine Freundschaft mit Luke wurde so eng, dass sie sich gemeinsam eine WG anmieteten. Ich war so stolz auf Zayn wie auf nur wenige sonst.
Der Schwarzhaarige grinste mich an. "Das wird groß."
"Davon bin ich überzeugt." antwortete ich ebenso grinsend.

Sunshine •|• LS Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt