34- Sie kommen!

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,,Sie kommen!" Seine Stimme war gefasst.

Er rückte ein Stück zurück und zog mich eilig hinter sich her. Seine Hand zitterte schrecklich, als er mich berührte. Er hatte Angst. Nicht nur ein wenig Angst, wie wenn man sich vor etwas gruselte. Nein, die Angst, die man hatte, wenn man dabei war alles zu verlieren was einen etwas bedeutete. Wenn man kurz vor dem Abgrund stand und den Tod in die Augen blickte. Solch' eine Angst spiegelte sich auch in seinen Augen wieder.

,,Wer kommt?" Fragte ich nun auch in Panik und ließ es zu, dass er mich weiter von Raum zu Raum schleifte.

Er gab mir keine Antwort, stattdessen machte er hektische Handzeichen zu den anderen. Ich wollte wieder fragen und öffnete gerade meinen Mund, doch er legte eilig seine Hand darauf und drückte seinen Finger an die Lippen.

Er drückte mich etwas grob auf den Boden und zusammen krabbelten wir nun in unserer Schlafzimmer, wo er dann langsam die Tür hinter uns schloss. Seine eine Hand lag auf dem Lichtschalter. Er drückte ihn und er wurde schlagartig dunkel im Raum. Sofort packte er wieder meine Hand und rannte jetzt zu der Kommode, aus der er seine und meine Waffe rausholte. Erst da wurde mir der Ernst der Lage tatsächlich bewusst.

Er öffnete den hellbrauen Kleiderschrank und schob mich, ohne dass ich etwas erwidern konnte, einfach hinein. Auch er kam hinzu. Wieder wurde es ein wenig dunkler, als er die Türen hinter uns schließ. Ein kleiner Spalt erlaubte mir einen Blick hinaus. Ich wollte fragen, was mit den anderen war, doch verkniff es mir nach kurzer Überlegung.

Ein lautes Geräusch ertönte. Ich zuckte panisch zusammen und wimmerte kurz auf, woraufhin er seine Arme um mich schlang, um mich zu beruhigen. Dann knallte es. Scherben sprangen. Ich presste voller Angst meine Augenlider aufeinander. Ich hörte Schritte. Sie wurden lauter. Es klang, als wären es viele. Ich hörte Leon's angespannten Atem neben mir.

Plötzlich hörte ich jemanden schreien. Anna!!

Es war entsetzlich. Kaum auszuhalten. Ich wollte weinen. Ich wollte schreien. Ich wollte treten und schlagen. Doch ich tat nichts von alle dem.

,,Anna!" Gab ich ängstlich von mir und löste mich von ihn. ,,Wir müssen-".

,,Nicht!"

Er stieß die Schranktür wieder zu und sah mich mit ernster Mine an.

,,Aber ich muss ihr doch-", setzte ich an und wollte mich erneut an ihn vorbeidrängen, doch wieder hielt er mich zurück.

,,Wir müssen uns selber schützen".

Aufeinmal schaute er mich viel eindringlicher an und hielt mich an der Schulter fest. ,,Wir können ihr nicht mehr helfen", sagte er nun.

Ich wollte es nicht glauben. Ich konnte es nicht glauben. Sie war wie eine Schwester für mich. Sie zu verlieren wäre das Schlimmste. Ich müsste ihr doch helfen.

Sie schrie lauthals um Hilfe, ich müsste ihr einfach zu Hilfe eilen. Ihre Stimme erklang immer lauter aus dem Wohnzimmer. Ich hörte Schläge und weitere Schritte. Ich hörte sie weinen. Ich hörte sie erneut vor Schmerz aufschreien.

,,Anna", zischte ich so leise und gleichzeitig so verzweifelt, als hätte sie nach mir gerufen.

,,Nicht!" Leon schüttelte ernergisch den Kopf und hielt mich gleichzeitig fest in seinen Armen verschlossen.

Sie schrie. Schrie so laut, dass es in den Ohren wehtat. Sie knallte sich mit letzter Kraft in der Wand fest, ich hörte es. Sie zerrten sie also hier heraus. Aber wie hatten sie uns eigentlich gefunden? Was oder wer hatte uns verraten?

Ihre Stimme verstummte allmählich. Doch der schmerzliche Schrei klang noch lange in meinem Kopf nach. Es war ihre Stimme. Ihre wundervoll sanfte Stimme, die nun verstummte.

Ich wehrte mich gegen ihn, wollte ihn abschütteln. Doch er ließ nicht nach. Er war fest entschlossen.

,,Lasst sie los!" Forderte nun ein Zweiter. Sein Onkel. Auch Leon horchte nun auf und hielt kurz inne. Ich hätte mich jetzt losreißen können, doch er hatte Recht.

Wir würden verlieren.

Wir würden sterben.

Alle.

Ein Schlag, dann war alles still. Mit Tränen in den Augen hielt ich meinen eigenen Mund verschlossen, um nicht versehentlich laut loszuschreien und uns doch zu verraten.

Ich malte mir ein Bild der bewusstlosen Anna aus und einem toten Mann neben ihr. Ich sah es vor mir, als würde ich es tatsächlich in diesen Moment sehen. Sie durften nicht auch noch sterben, wie Mum. Wie Dad. Wie Collin. Wie meine ganze Familie.

Dann fiel die Tür ins Schloss und wieder zuckte ich zusammen. Er drückte mein Gesicht an seine Brust und hielt mir die Ohren verschlossen. Als wäre ich ein kleines Kind. Ich blickte auf und sah ihn mit angestrengter Mine nach vorne schauen.

,,Leon", wimmerte ich erneut. Meine Lippe begann zu beben und ich konnte weitere Tränen nicht länger zurückhalten, als immer wieder schwere Schritte die Wohnung entlangliefen.

,,Es ist alles gut. Alles gut. Ich bin da. Keine Angst". Seine Hände umrandeten mein Gesicht und er fuhr mir einfühlsam übers Haar. ,,Hab keine Angst", wiederholte er und drückte mir einen Kuss auf die Stirn, wobei eine erneute salzige Träne aus meinem Auge schoss.

Das System es kommt, dachte ich nur und verlor allmählich die Hoffnung. Ich wollte jetzt nur noch Anna's Stimme hören. Alles andere war mir momentan egal. Ich wollte nur hören, dass sie lebte. Mehr wollte ich doch gar nicht.

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Mein Herz pochte eilig. Ich versuchte mich zurückzuhalten. Ich versuchte nicht da rauszugehen und nicht alles kurz und klein zu schlagen. Außerdem bemühte ich mich nicht zu hyperventilieren, was mir deutlich schwerer fiel.

,,Mia ... Komm raus, Süße. Wir wissen, dass du dich hier versteckst".

Ich kannte denjenigen nicht.

Ich schaute Leon an. Seine Augen weiteten sich und er blickte mich nun ängstlicher, als noch wenige Minuten davor, an. Wir beiden sagte kein Wort mehr. Mit zusammengezogen Augenbrauen versuchte ich die Stimme zu ignorieren. Keiner von uns rührte sich auch nur einen Millimeter.

,,Mia, wir wollen dir doch nichts Böses tun. Wir wollen dich doch nur in Sicherheit bringen. Zurück nach Hause. Hier ist es zumindest nicht".

Das Klacken mehrerer Schuhsohlen prassten auf den Boden nieder.

Hör da nicht hin, hör einfach nicht hin! Redete ich mir gedanklich, als Ermutigung, zu. Wir atmeten kaum noch. Wir hielten uns an den Händen. Schweiß brachte bei mir aus.

,,Okay, wie du willst!" Langsam wurden sie sauer, hatte ich das Gefühl.

,,Also entweder du kommst jetzt auf der Stelle aus diesem Schrank, oder du kannst dich von deinem zuckersüßen Freund und eurem Baby verabschieden!"

Wass!? Vorher wussten sie von dem Baby?

-Das Armband! Das verdammte Armband!! Ich wusste es ...

Erschrocken über die Informationen, die sie über mich hatten, war ich wirklich am Überlegen, ob ich mich doch ergeben sollte und einfach mit ihnen gehen sollte. Vielleicht blieb Leon dann verschont. Letztendlich blieb mir aber doch keine Wahl. Sie wussten wo ich war. Also was würde es noch bringen? Meine Großmutter sagte immer, man müsse wissen, wann man verloren hatte. Ich wusste es jetzt. Es war aussichtslos. Es war das System.

,,Mia!" Wieder ergriff er mein Handgelenk. Ein winziger Lichtspalt tauchte vor uns auf, als ich ein Stück die Schranktür öffnete.

,,Warte", er bemühte sich sichtlich ruhig zu bleiben.

,,Ich liebe dich", zischte er. Ich lächelte und schob mich langsam hinaus. In die Arme der Vier mit Narben versehenen Männer, die vor dem Schrank mit geladenen Waffen standen und auf uns zielten.

Das SYSTEMWhere stories live. Discover now