13- In der Überzahl

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,,Anna? Anna, bitte sag mir wo du bist", schrie ich durch die laute Menge und blickte mich suchend nach ihr um. Sie antwortete nicht. Ich kniete mich auf den Boden, da der Rauch der vielen Bomben zugenommen hatte.

,,Anna?" Hustete ich und kroch weiter.

,,Ja, hier! Komm schnell!" Kam endlich ihre Antwort.

Eilig lief ich los und rannte den Ton ihrer Stimme hinterher. Währenddessen hörte ich weitere Schüsse. Bomben. Ein Glas zersprang und ein Feuer entfachte sich. Chaos und Panik brachten aus. Viele rannten nur noch durcheinander.

Doch ich lief weiter. Um mich herum: Leichen. Überall. Tote und eine Menge Blut, gefolgt von Schüssen, letzten qualvollen Schreien und unendliches Leid. Alles vereint ergab es eine Situation, die unerträglich und wahrscheinlich auch unvergesslich war.

In der hintersten Ecke der Kuppel erkannte ich ein junge Frau mit dunklem Haar, das könnte sie sein. Je näher ich kam, desto deutlicher wurde das Bild und ich erkannte, dass sie nicht alleine war.

Zwei Männer waren bei ihr. Sie waren groß und kräftig. Beide weiß gekleidet. Ich atmete erleichtert auf. Sie gehörten zu uns.

,,Mia, komm her!" Anna drehte sich zu mir um und deutete auf einen Verletzten am Boden. ,,Leon ist verletzt!"

,,Wass?" Eilig kam ich näher und beugte mich hinab. Dort lag er. Seine Augen waren geschlossen wie die vom Mädchen von vorhin.

,,Was ist passiert?" Flüsterte ich leise und blickte entsetzt auf seinen blutüberströmten Körper.

,,Es waren zu viele!" Antwortete Anna aufgeregt. Ich berührte seinen Körper und eine unbeschreibliche Trauer und Wut stieg in mir auf. Als ich ihn wieder los ließ waren meine Hände in einer rötlichen Farbe getränkt. Verunsichert blickte ich Anna an.

,,Leon", wimmerte ich verzweifelt und nahm seine Hand.

Sie zwei Männer traten nun wieder auf mich zu. In ihrem Hände eine Liege. ,,Wir müssen ihn hier rauf bekommen", rief einer der beiden panisch.

Gemeinsam legten wir ihn vorsichtig auf die Trage.
,,Er muss in die Krankenstation", beauftragte Anna die beiden Männer. Sie nickten nur und liefen mit ihm los.

,,O mein Gott!" Flüsterte ich mit zittriger Stimme und bemühte mich nicht in Tränen auszubrechen. Dieser Tag wird immer schlimmer! ,,Leon!" Rief ich und bemerkte wie meine Stimme langsam versagte. ,,Neinnn!" Ich wollte hinterher rennen, doch ich hatte keine Kraft mehr ihn zu folgen.

Ich könnte es nicht verkraften noch jemanden zu verlieren!
Er durfte nicht auch noch...

Nein.

Niemals.

Er nicht!

Mein Kopf dröhnte, meine Atmung geriet aus dem Takt und mir wurde allmählich schwindelig. Anna schützte mich und redete mir gut zu, doch ich konnte sie schon nicht mehr hören.

Vor mir versank die Welt immer weiter.

Leon. Ich brauchte ihn doch.

Aus meinen Augen strömten die nassen Tränen und mein Körper entglitt mir immer mehr. Das Letzte an das ich mich noch erinnerte war, wie ich nur noch Schwarz vor Augen sah. Dann war ich weg.

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Ein immer lauter werdenes Piepen dröhnte in meinen Ohren. Langsam wurde ich wieder wach. Ich blinzelte noch einige Male, ehe ich erstand wo ich mich befand und was passiert war.

Erschrocken setzte ich mich auf und blickte mit weitaufgerissenen Augen durch den Raum. Vor mir saß Anna und ein Mann, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ich realisierte nach- und nach was mit mir passiert war. An meinem rechten Finger waren mehrere Kabel angeschlossen. Doch mir schwirrte nur eine Sache die ganze Zeit im Kopf rum.

,,Was ist mit Leon?"

Der Mann erhob sich aus seinen Stuhl und drückte mich zurück in das Krankenbett, in dem ich mich befand.

,,Ganz ruhig, Sie sind gerade erst aus ihrer Ohnmacht erwacht. Sie müssen sich ausruhen. Sie sind hier auf der Krankenstation und ich bin ihr behandelner Arzt Dr. Meyer. Wissen Sie wie sie heißen?"

,,Ich muss zu Leon. Anna, was ist mit ihm? Geht es ihm gut?" Ich versuchte meinen Blick an dem Arzt vorbeizuschieben, doch er ließ nicht locker.

,,Wir müssen uns ersteinmal um Sie kümmern".

,,Anna?" Machte ich enttäuscht weiter. Erst jetzt stand auch sie auf, kam einige Schritte näher, kniete sich vor meinem Bett hin und nahm meine Hand.

,,Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht", flüsterte sie leise und verdrückte eine Träne, die sich langsam dem Boden näherte.

,,Er darf nicht... Anna. Er darf auf keinen Fall sterben! Ich habe solche Angst", gab ich nun auch unter Tränen von mir.

,,Ich doch auch, Mia. Das wird schon. Ganz bestimmt".

Ich wollte etwas darauf erwidern, doch ich konnte nicht. Ein dicker Klos in meinem Hals schluckte meinen Schall. Mit nassem Gesicht drehte ich mich weg von ihr und zog mich unter Schreien zusammen.

Wenn er nun auch noch starb... Ich durfte gar nicht daran denken. Bereits bei der Vorstellung wurde mir bereits schon wieder direkt schwindelig.

Ich wollte zu ihm, doch die Ärzte ließen mich nicht. Stattdessen musste ich da rumliegen und diese dämlichen Fragen beantworten.

Wie alt sind Sie?

Im welchem System leben Sie?

Ihre Indivikationsnummer?

U.s.w.

Nachdem ich alle Fragen beantwortet hatte und ich ihnen bewiesen hatte, dass es mir wirklich gut geht, durfte ich auf meine Verantwortung wieder gehen. Endlich.

Denn schließlich fand gerade der eine Kampf statt, der über alles oder nichts entschied. Das war nicht untertrieben. Heute war Der Tag. Ich wartete bereits seit ich noch ein kleines Kind war auf diesen einen Tag. Der Tag an dem ich meine Meinung frei äußern durfte. Der Tag an dem ich frei war. Glücklich. Endlich glücklich. Ich durfte mir die Chance darauf nicht nehmen lassen.

Unter der Kuppel herrschte Krieg. Wir könnten es dieses Mal tatsächlich schaffen. Schließlich hatten die anderen Systeme in unserer Nähe auch gewonnen. Wir werden es auch. Wir werden gewinnen! Zusammen.

Auf wackligen Beinen und gestützt von Anna ging ich durch einen smalen, langen Flur. Mein Blick wanderte dabei von einer Tür zur anderen.

,,Wo sagtest du war nochmal sein Zimmer", fragte ich immer noch etwas schwach nach.

,,Zimmer 17, aber ich weiß wirklich nicht, ob du in deinen Zustand ihn schon besuchen solltest", versuchte sie mich umzustimmen.

,,Nein, ich muss zu ihm. Er hat mir vorhin das Leben gerettet".

Dann sagte sie nichts mehr und wir gingen nur noch stumm den erdrückenden Gang der Krankstation entlang.

,,Zimmer 17. Na also", sprach ich erfreut und humpelte auf die geschlossene Tür zu.

Das SYSTEMWhere stories live. Discover now