vierunddreißig

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~Liviu~

Virgilia legte sich schlafen. Sie schloss ihre Augen und ich hörte, wie sich ihr vor Aufregung pochendes zu beruhigen begann. Sie wechselte ein paar Mal ihre Position, bis sie ruhig dalag und einschlief.

Ich setzte mich in den Schneidersitz und wachte über dem Mädchen, welches ich um jeden Preis beschützen wollte. Ich konnte nicht fassen, dass ich noch eben mit ihr Späße gemacht habe, ich begriff nicht, wie Virgilia meine Boshaftigkeit so ausblenden konnte.

Noch immer hielt ich das Kissen, das sie mir gegeben hatte in meinen Händen und würde so gerne wissen, wonach es roch. Aber würde ich nachher zu der Gefahr werden, vor welcher ich Virgilia zu schützen versuchte? Ich konnte dem Geruch ihres Blutes, welches sich durch ihre Haut kroch, nicht widerstehen. Aber wenn ich mich nur zusammenreißen könnte, ein einziges Mal, dann...

Ich schaltete den unterdrückten Sinn an und roch: Schweiß, Blut, Holz, Blut, Stoff, ein fremden, aber wohlige Geruch und abermals schlich sich der Geruch ihres Blutes in meine Nasenlöcher. Ich starrte Virgilia an, hörte ihr Herz das Blut durch die Venen pumpen. Ich spürte wie sich das Blut in meinem Auge ausbreitete und sich meine Fangzähne aus dem Kiefer herausbohrten. Wütend auf mich selber nahm ich das Kissen und drückte es in mein Gesicht. Dieser wohlige Geruch, das ganze Kissen roch danach. Virgilias Geruch. Ich sog ihn tief in mich hinein. Köstlich. Das Gemisch aus Blut, Schweiß und englischer Rose.

Virgilia seufzte im Schlaf, sie wandte ihr Körper und ich blickte auf. Ihre Lider zuckten. Sofort stellte ich mein Geruchssinn wieder ab und legte das Kissen beiseite. Sie öffnete ihre Augen, sah mich an.
"Wo ist Alessandro?", fragte sie schließlich. Ich wusste, dass sie tief in sich Gefühle für mich hegte, aber es war nicht ausgeschlossen, dass sie auch etwas für Alessandro empfand. Während ich ihr niemals halt bot oder je bieten könnte, war Alessandro derjenige, der loyal und ehrlich war. Er konnte selbst Schwäche zeigen, aber nur weil er so Stark war. Er hatte mir lehren wollen, so zu leben wie er es tat. Aber ich konnte nicht unter Menschen wandeln, ohne nach ihrem Blut zu lächzen.
"Er ist draußen", antwortete ich und hoffte, dass sie einfach nur nickte und wieder die Augen schloss. "Schlaf weiter."
Doch Virgilia sagte stattdessen: "Nein. Ich muss zu ihm, bin gleich wieder da."
Ich sah ihr nach, wie sie durch die Tür tapste und sie verließ.

Früher, als ich ein Mensch war, konnte ich mich auch in andere Menschen hineinversetzen. Ich fühlte mit ihnen, doch ich war kein Mensch mehr und manchmal, aber nur ganz selten, wollte ich wieder einer sein. Ich war lang genug jung gewesen, nun konnte ich doch in Ruhe alt werden.

Ich lauschte Virgilias und Alessandros Gespräch und zuckte zusammen, als sie von ihrer Mutter erzählte. Ich hatte Sylvi gebissen, ich hatte sie schließlich verwandelt. Es war mir alles doch so egal gewesen, dennoch konnte ich Virgilia schon damals nicht töten, damals, als sie noch ein Baby war.

Ich schluckte das Blut des Ondachlosen gierig hinunter. Die warme Flüssigkeit tropfte meinen Gaumen herab. Ich hörte den Mann winseln. Seine Angst verlieh seinem Herzen noch schneller das Blut durch die Venen und aus der Wunde zu pumpen. Ich hatte ihn durch den ganzen Wald geschliffen, sein Gesicht war übersäht mit tausend Schürfwunden. Ich suhlte mich in der Blutfütze welche sich oberhalb seines Schlüsselbeines gesammelt hatte.
In diesem Moment bemerkte ich, dass ein Mensch so eben mein Wald betreten hatte. Zuerst dieser betrunkene Obdachlose und jetzt - ich lauschte - eine Frau? Ich ließ den halb lebenden, halb sterbenden Mann liegen, dessen Puls nun ganz flach war, und lief in die Richtung, aus der das Geräusch kam.

Ich erkannte sie nicht sofort, doch nach ein paar Minuten, in denen ich sie beobachtete, wie sie tiefer und tiefer in meinen Wald irrte, erkannte ich sie wieder. Es war die schwangere Frau von damals, nur, dass sie nicht mehr schwanger war, sondern totkrank. Ich dachte schon, sie wäre gestorben, da sie niemals bei mir aufgetaucht war. Wie konnte ich ahnen, dass sie solange durchhielt. Sie schleppte sich voran, ihre Haut aschfahl, ihre Stirn glänzte vor Schweiß. Ihr Herz war kurz vor dem Versagen. Sollte ich sie tatsächlich verwandeln? Ich hatte das schon so lange nicht getan und nie hatte es mir gutgetan. Dann fiel die Frau und ich rannte in übermenschlicher Geschwindigkeit zu ihr und kniete mich neben sie.
"Du bist tatsächlich gekommen", flüsterte ich ihr zu und sog den Duft ihres Blutes oder vielmehr den Gestank ihres infezierten Blutes ein.
"Ich will, dass du mich verwandelst!", forderte sie mich mit schwacher und rostige Stimme auf. "Ich sterbe hier sicherlich in diesem Dreck!"
Ich grinste. Ich setzte mich neben sie und zog sie mir auf den Schoß.
"Sterben wirst du hier, um dann aber in ein ewiges Leben aufzuerstehen!" Ich drückte meine Zähne in ihr fahles Fleisch und trank die paar Schlucken uninfeziertes Blut.
Nach nur wenigen Sekunden hörte ihr Herz auf zu schlagen, ihre Augen starrten leer in den Himmel und ihre Glieder versteiften.

Virgilia kam zurück. Sie durfte mich nicht darauf ansprechen. Wortlos ging sie wieder ins Bett, zog dir Decke über ihren Körper und drehte sich zu mir.
Lange schauten wir uns bloß an und ich stellte mir vor wie sie sich erhob und zu mir ins Bett stieg. Ich bildete mir ein, sie würde mich küssen.

Aber Virgilia schloss ihre Augen und schlief weiter.

Twixt beauty & darknessWhere stories live. Discover now