fünfzehn

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~Virgilia~

Sich sein eigenes Grab schaufeln.

Meinetwegen stand der Wald in Flammen. Ich hatte den Vorschlag gehabt ihn niederzubrennen, nur war nicht eingeplant gewesen, dass ich mich zu der Zeit in diesem Wald befinde. Die im Dorf dachten ich wäre Tod, was sollten sie auch anderes denken. Es war ein Wunder oder ein Fluch, dass ich überhaupt noch am Leben war und nun würde ich sterben, von meinen eigenen Nachbarn verbrannt. Aber wenn der Vampir mit mir sterben würde, wäre mein Tod doch ein akzeptables Opfer. Oder?
"Dahinten." Ich hätte es nicht sagen dürfen, wie es aussah hätte er es nicht bemerkt, aber ein kleiner egoistischer Teil in mir wollte leben. Ich sah in das erschrockende Gesicht des Vampirs und das erste Mal seit ich diesem ungeheuerlichen Wesen begegnet war, wirkte er zerbrechlich, verwundbar.
"Was?", kreischte ich, "wir müssen hier..." Ich wurde von einem starken husten gepackt, der mich durchschüttelte. Der Rauch schien uns einzumauern, die Flammen kamen von überall...

Ich wäre gestorben, genau an diesem Tag, in diesem Wald. Ich hätte nicht einmal versucht zu entkommen. Das war das erste Mal, als mich dieser Vampir rettete. Er packte meinen Arm und schleppte mich mit sich. Er war kein bisschen stark und kämpfte womöglich selber ums Überleben, aber er nahm mich mit und zog mich durch die Flammen hinaus. Er war mein Retter, mein Beschützer... ein Engel? Niemals!

Wir landeten auf einem Rastplatz, ich hatte nicht einmal gewusst, wie dicht ich an einer Autobahn gewohnt hatte. Er ließ sich auf ein Stein fallen und atmete durch. Er war nicht unverwundbar, das war doch etwas gutes.
"Du solltest zu einem Arzt gehen."
Ich rümpfe die Nase, das war jetzt aber zu viel des Guten.
"Eigentlich. Aber du bist in meiner Gewalt und niemand darf je erfahren, dass du noch lebst."
Ich schluckte. Er war kein Mensch, das musste ich bedenken, aber in diesem Moment sah ich diesen Vampir nunmal durch andere Augen. Seine schwarzen Haare, sein reines Gesicht, seine Augen, seine Lippen, seine Schultern, wie sie beten, als würde er atmen. Er war hübsch, sehr hübsch sogar.
"Wieso hast du mich aus dem Feuer gerettet, es hat den Anschein gemacht, als würdest du auch um dein Leben kämpfen!" Ich musste mehr über den Mann... Vampir wissen, der mich höchstwahrscheinlich entführt hatte.
"Du bist nicht wichtig für mich, aber dein Blut!"
Ich riss die Augen auf. "Du willst von meinem Blut trinken? Warum hast du das nicht schon längst getan?"

Du? Hatte ich schon immer du zu ihm gesagt?

"Weil dein Blut zu kostbar ist, um es zu verschwenden!" Seine Stimme bebte.
Ich hustete. Ich verstand gar nichts mehr. "Wieso kostbar?"
"Das wirst du bald alles erfahren. Und bis dahin sorge ich dafür, dass du am Leben bleibst!"

Es war der Anfang von etwas Großem, das wurde mir in diesem Moment klar.
"Kann ich dir vertrauen?", fragte ich ihn. Ich musste jetzt wohl oder übel mit ihm ziehen, deshalb musste ich das wissen.
"Ich bin ein Vampir, Virgilia, vertraue niemals einem Vampir!" In seiner Stimme klang etwas Bösartiges mit, weshalb ein Schauer meinem Rücken hinunterlief.
"Dafür ist es glaub ich zu spät. Du hast mein Leben gerettet." Ich wusste nicht warum ich das sagte, aber ich wollte unbedingt, dass ich ihm vertrauen konnte.
"Und ich nehme unendlich viele", beendete er den Satz. Er stand auf, packte meine Hand und zerrte mich über den leergefegten Rastplatz. Jedenfalls wirkte er so, es war stockfinster, vereinzelt standen Bäume, hinter denen sich alles verbergen könnte. Wenn er eben noch schwach war, war er es jetzt ganz bestimmt nicht mehr. Ich entdeckte ein Auto, es stand neben dem Toilettenhäuschen. Ein schwarzer Mercedes. Wo war der Fahrer?
"Setz dich schon mal auf den Beifahrersitz!", befahl er mir, ich wollte protestieren, aber ein Hustenanfall hielt mich davon ab. Es war niemals sein Auto, dennoch wusste er, dass es offen war. Ich gehorchte ihm in so fern, dass ich mich ins Auto setzte, aber auf die Rückbank.
Er grinst mich schräg an, als er mich bei meiner Tat beäugte. Ich grinste feindselig zurück.

In diesem Moment trat eine Frau, im engen roten Designerkleid aus den Schatten und kam auf den Mercedes zu, in dem ich saß. Ich hielt die Luft an, der Vampir war verschwunden. Was zum Teufel...?
Die Hintertür wurde aufgerissen, in einer Hand hielt sie ihr Handy, aus dem leise eine Stimme hervorklang.
"Was suchst du hier, Streunerin?", giftete die Frau. Der Vampir hatte mich im Stich gelassen und nun musste ich mich auch noch einem Wortgefecht mit der Frau liefern.
"Ich bin keine Streunerin!", protestierte ich also wie ein kleines Kind
"Raus hier! Aber pronto!" Sie wollte gerade nach meinem Arm greifen, als ihr das Handy aus der Hand geschlagen wurde.
"Das Auto gehört nicht länger Ihnen!" Das war der Vampir.
Und ehe ich mich versah, riss sie die Frau nach hinten und legte sich auf den Kofferraumdeckel. Ihre panischen Augen sahen durch die Scheibe in meine panischen Augen. Ich hätte sie warnen müssen! Binnen Sekunden war die gesamte Scheibe in rotem, fast schwarzen Blut getränkt. Ich hustete, hielt mir meine Augen zu. Ich hörte bloß die Schreie der Frau und erst als diese erstarben sah ich wieder hin. Jegliche Panik war ihren Augen entwichen, sie waren nur noch leer. Der Vampir stieß die Leiche zu Boden. Nur das Blut blieb.
Der Vampir ging um das Auto um, öffnete meine Tür und wischte sich amüsiert das Blut von den Lippen. Ich hatte ihm zu früh vertraut, er war ein Monster und würde jetzt auch mich töten.
Aber stattdessen sagte er: "Ich hatte dir ja gesagt, du sollst nach vorne gehen!" Er grinste.
Wie benommen stand ich auf und setzte mich auf den Beifahrersitz. Er setzte sich hinters Lenkrad und wollte etwas sagen, doch mein Hustenanfall kam ihm dazwischen.
"Ich würde sagen du hast eine Rauchvergiftung", sagte er so nebenbei.
"Was? Ich muss ins Krankenhaus!", hauchte ich. Irgenwo war mir gerade alles egal.
In diesem Augenblick beugte er sich zu mir und nahm mein Gesicht in seine Hand. Er drehte es in seine Richtung und küsste mich. Erst ganz vorsichtig, seine Lippen waren so weich, dann leidenschaftlicher, so leidenschaftlich, dass ich gar nichts anderes konnte als den Kuss zu erwidern.

Ab dem Zeitpunkt musste ich nicht mehr husten. Er lehnte sich amüsiert in den Sitz zurück und startete den Motor.
"Ich habe Wintermoor noch nie verlassen!" Als gäbe es nach so einem Kus nichts besseres zu sagen.
"Na dann schnall dich mal an. Wintermoor wird schon bald ganz weit hinter uns liegen!"

Ich dachte noch einmal an die Frau. Wir alle spielten unsere Rolle in einem großen Schauspiel. Meine schien wichtiger zu sein, als ihre.

Twixt beauty & darknessWhere stories live. Discover now