einundzwanzig

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~Virgilia~

Ich war ein wenig erleichtert, als Liviu weg war, trotzdem konnte ich an nichts anderes denken, als an ihn. Alessandro hatte Livius Platz eingenommen und beobachtete mich, was mich nervös machte.
"Wo bin ich hier überhaupt?", fragte ich, damit er mich nicht noch länger grundlos anstarrte.
"Du bist in einem kleinen italienischen Bergdorf namens Livo. Im Tal liegt der Komersee, den werde ich dir noch zeigen!", antwortete er mir.
Ich lächelte erfreut. Ich konnte zwar mit keinem der beiden Worte etwas anfangen, dennoch war es mir eine Freude zu wissen wo auf dieser Welt ich mich genau befand.
"Ich sehe in die Milliarden von Sternen und je länger ich hinauf gucke desto mehr scheinen es zu werden", flüsterte ich in die kalte Nacht und ich erwischte mich bei dem Gedanken, dass Liviu nicht ganz unschuldig daran war, dass diese Sommernacht nicht angenehm warm war.
"Viele davon existieren gar nicht mehr und dennoch sehen wir sie noch", sagte er ebenfalls flüsternd.
"Ja, das ist irgendwie spannend. Und irgendwie auch gruselig. Ich darf gar nicht daran denken", faselte ich vor mir hin. "Woran magst du nicht denken?", hakte er nach und es freute mich, dass er sich für mich interessierte.
"An das Nichtmehrsein!" So nannte ich es. Irgendwann würde auch ich nicht mehr sein und in Vergessenheit geraten. Wo war ich dann? Würde ich einfach nicht mehr da sein? Würde es einfach um mich herum schwarz werden? Klack, als hätte einer das Licht ausgeknipst?
"Je älter man ist desto weniger Angst hat man vor dem Tod", berichtete er mir. Wie alt er wohl schon war?
"Wie alt warst du, als du zu einem Vampir wurdest?", fragte ich interessiert.
"Zweiundzwanzig", antwortete er. "Was für eine niedrige Zahl, nicht?"
"Und wie lange bist du schon zweiundzwanzig?", ging ich weiter auf das Thema ein.
"So etwas ist etwas Intimes odrr als würde jemand eine Frau nach ihrem Gewicht fragen", entgegnete Alessandro lachend.
"Ich wiege neunundfünfzig Kilo, nun, wie alt bist du wirklich?"
Alessandros Lachen war gerade verebbt, da pustete er auch schon wieder los. Er war ganz und gar anders als Liviu.
"Ich schätze aus der Sache komme ich nichz wieder heraus", musste er zu seinem bedauern feststellen.
"Ne", bestärkte ich seine Befürchtung.
"Gib mir etwas Zeit, dann werde ich alles relevante, aufregende von mir erzählen", sagte er dann. Ich war enttäuscht, es gab nichts spannenderes, als die Geschichte. Ich erinnerte mich, als meine Geschichtslehrerin einmal fragte, in welcher Zeit wir am liebsten gelebt hätten und ich mich nicht entscheiden konnte und gesagt hatte, dass ich am liebsten eine Zeitreisende wäre. Schule, das alles kam mir so weit entfernt vor. Wahrscheinlich war ich auf gar keiner mehr angemeldet. Die Nacht war lang, aber keinesfalls uninteressant, es wurde Zeit schlafen zu gehen.

Ich legte mich in das Doppelbett und merkte aber zu meinem bedauern, dass es bei weitem nicht so gemütlich war wie das Einzelbett. Mürrisch stand ich wieder auf und kroch in das gemütliche Bett. Aber auch das schützte mich nicht vor meinem Albtraum. Ich träumte von Benjamin und Tori, ich träumte davon wie sie starben, aber ich starb auch. Es war beinahe wie eine Erlösung. Ich schreckte auf. Noch immer war es dunkel. Ich musste etwas an meinem Körper haben, ich brauchte etwas zum Knuddeln. Ich nahm das Kissen des anderen Einzelbettes und presste es gegen meine Brust. Dann heulte ich. Alles war so furchtbar. Ich hatte keine Freunde mehr, mein Vater hielt mich für Tod, mein zu Hause fühlte sich nicht wie ein zu Hause an und ich befand mich in Livo am Komersee, wo zum Teufel noch Mal das auch legen mochte. Und alleine war ich auch nicht. Unterwegs mit dem Mörder meiner Mutter und meiner besten Freunden, der übrigens ein Vampir war, der keine Gefühle hatte. Und da war noch Alessandro, bei dem ich mich am wohlsten fühlte. Er war nicht so grausam wie Liviu, das gab mir halt. Egal! Trotzdem war alles grausam! Wäre Mama bloß da...

"Papa ist gemein!" Ich vergrub meinen kleine Kopf in meinem Kissen.
"Das glaub ich nicht", entgegnete Mama und streichelte meinen Kopf. Die Berührung fühlte sich gut an.
"Ich bin ganz alleine auf dieser Welt, ganz alleine!", schrie ich ins Kissen.
"Nein, ich bin doch bei dir. Ich werde immer bei dir sein!"

Verdammt war das eine Lüge! Ich war sechs, daran konnte ich mich noch erinnern. Ich war sechs und gerade in die Schule gekommen. Wieso Papa auch gemein war, Mama war da.
"Mama du fehlst mir so", wimmerte ich in das Kissen und niemand streichelte meinen Kopf. Niemand. "Wieso bist du gegangen. Du hast mich alleine gelassen, einfach alleine gelassen. Wieso? Wieso... hast du das getan? Wo bist du, Mama?"
Ich wurde wütend. "Jetzt führ ich auch schon Selbstgespräche, wie tief kann man sinken?"
Und wie jeder Sturm, ging auch dieser vorüber. Ich hörte auf zu weinen und schlief weiter.

Twixt beauty & darknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt