fünf

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~Virgilia~

Die Sonne ging bereits auf, als ich auf einer Parkbank erwachte und verwirrt umhersah. Ich war alleine, weit und breit war niemand zu sehen. Ich hatte tatsächlich auf einer Parkbank übernachtet, wie absurd war das denn bitte? Mein Schädel dröhnte, als ich mich, etwas zu schnell, erhob. Mit vor schmerz verzogenem Gesicht faste ich mir an die Schläfen. Verdammt noch mal, was ist bloß aus mir geworden? Ich hatte mir doch schon vor Monaten vorgenommen, damit aufzuhören. Aber dann kamen Tori und Benjamin...

Ich erschrack. Ich erinnerte mich an meinen Trip. Sind wir tatsächlich in den Wald gegangen? Sind meine Freunde tot? Ich mochte diesen Gedanken nicht. Wahrscheinlich hatte ich einfach nur schlimm halluziniert. Unter keinen Umständen hätte ich Tori dazu bewegen können, in diesen Wald zu gehen. Ich lachte kurz. Aber dann machte ich mich auch schon auf den Heimweg, mein Vater und meiner Stiefmutter machten sich bestimmt schon riesige sorgen, um ihre drogenabhängige Tochter bzw. Stieftochter. Eher würde ich die türkische Staatsbürgerschaft haben, als Agatha meine Mutter zu nennen.

Es war ein fürchterlich kalter Maitag. Ich rieb mir meine Oberarme und klapperte mit den Zähnen. Meine Schminke musste total verschmiert sein und meine Haare waren mit Sicherheit fettig. Ich wollte unbedingt von den Straßen runter und mich fertig machen. Während des Nachhausewegs tippte ich Tori eine SMS, in der stand, dass sie sich doch mal mitte melden solle. Ich wollte eine Erklährung von ihr, warum ich alleine auf einer Parkbank aufgewacht bin. Sie hätte auf mich aufpassen sollen.

"Virgilia, meine süße, wieso warst du die ganze Nacht fort?" Für andere mochte dieser Satz besorgt klingen, aber ich wusste genau, dass sie das nur tat, weil mein Vater hinter ihr stand. "Und wie siehst du eigentlich aus?"

Ich antwortete ihr nicht und schwieg stattdessen. Mein Vater hatte sich nun vor mich aufgebaut und musterte mich skeptisch. "Du kannst ihr auch antworten."

Ich hob die Augenbrauen, fühlte mich für einen Moment überfordert. Was wollten die von mir? Ich legte meinen Schlüssel auf die Heizung und wollte mich an den beiden Wachunden vorbeidrängen.

"Hast du auf der Straße geschlafen?", fragte mein Vater in einem lauten Tonfall, der mich zusammenzucken ließ.

"Ja?" Ich zuckte mit den Schultern. Auf einer Parbank, um genau zu sein, fügte ich in Gedanken hinzu.

Wut keimte in meinem Vater auf. Natürlich erinnerte ihn das an das Verschwinden meiner Mutter. Einfach nicht wieder nach Hause kommen. Ein wenig konnte ich ihn auch verstehen. Wutentbrannt machte mein Vater kehrt und düste davon. Nun stand ich alleine mit dieser Frau im Flur und fühlte mich unwohl.

"Auf der Straße? Wie ein Penner?", fragte sie abschätzend. Aber es war eine rhetorische Frage, natürlich wollte sie nicht, dass ich sie beantwortete. Also ging ich, erhobenen Hauptes, an ihr vorbei und verschwand im Obergeschoss.

Ich brauchte jetzt unbedingt ein heißes Bad. Ich ließ Wasser in die Wanne laufen und zog mich währenddessen aus. Ich betrachtete mich im Spiegel. Meine Wimperntusche befand sich nicht mehr auf meinen Wimpern, sondern unter dem unteren Wimpernkranz. Meine Haare standen mir zu Berge. ich sah schrecklich aus. Angewidert zupfte ich mir ein Blatt aus dem Haar und ließ es achtlos zu Boden fallen. Dabei bemerkte ich die Schramme an meinem Arm. Das Blut war schwarz und schon verkrustet.

Endlich ließ ich mich in die Wanne gleiten. Das heiße Wasser umschlang meinen Körper wie eine warme Decke. Mein Haute brannte. Trotzdem hörten meine Zähne nicht auf zu klappern. Die Kälte wollte einfach nicht aus meinem Körper weichen.

Mit einem Handtuchturban auf dem Kopf und einem flauschigen Bademantel am Leib lag ich nun auf meinem Bett und versuchte Tori und Benjamin zu erreichen. Vergebens. Auch Dana ging nicht an ihr Telefon. So langsam fing ich an mir Gedanken zu machen. Aber Tori würde niemals in diesen Wald gehen, nicht die Tori, die ich kannte.

Die Dunkelheit umgab mich. Ich lag in meinem Bett und versuchte krampfhaft einzuschlafen. Heute war Mama noch trauriger, als je zuvor. Ihre Augen waren immer voller Tränen und an manchen Tag hatte sie mir nicht in die Augen schauen können. Ich starrte an die Decke und ließ die Gedanken kommen und gehen. Irgendwann driftete ich in einen Traumlosen Schlaf, der von Küssen auf meiner Stirn unterbrochen wurde. Ich blinzelte. Mama hatte sich über mich gebeugt und gab mir noch einen Kuss.

"Du bist ja wach.", stellte sie fest.

"Ja.", erwiderte ich mit müder Stimme.

Mamas Augen waren rot. Die grelle Farbe konnte man trotz der Dunkelheit erkennen. Sie muss geweint haben. Das tat sie neuerdings öfters, aber niemals sehr, dass ihre Augen rot wurden. Ich wollte sie in den Arm nehmen, aber ich wusste, dass sie es nicht zulassen würde.

"Schlaf nun weiter.", forderte sie.

"Machst du mir Morgen einen Kakao zum Frühstück?", fragte ich bettelnd.

Sie nickte . "Versprochen." Ihre Augen füllten sich mit Tränen und ihr Kinn fing an zu vibrieren. "Bis Morgen."

Einen Morgen gab es nicht mehr. Keinen gemeinsamen jedenfall. Als ich in die Küche ging, um zu frühstücken, stand kein Kakao an meinem Platz. Mama war fort und sie kam auch nie wieder.

Die letzten Sekunden mit meiner Mutter waren so blass in meiner Erinnerung, manchmal fragte ich mich, ob ich nur von ihr geträumt hatte. Sie verschwand einfach aus meinem Leben, ich konnte mich nicht von ihr verabschieden, was gäb ich dafür, wenn ich ihr nur eine Frage stellen könnte. Wieso? Alle glaubten, meine Mutter sei in den Wald gegangen und zum Opfer des kalten Geschöpfes gefallen. Vielleicht wollte sie auch einfach aus dem Dorf, sie hätte mich wenigstens mitnehmen können. Aber als mein Vater mir mitteilte, dass Tori, Benjamin und Dana vermisst wurden, glaubte ich tatsächlich an das mysteriöse Wesen. Ich war mir auf einmal so sicher, dass ich nicht halluziniert hatte.

"Du hast der Polizei gesagt, dass du nicht bei ihnen warst?" Agatha trat in mein Zimmer, als ich mich gerade vor meinem Spiegel betrachtete, um mir etwas anzuziehen. Die Polizei hatte mich befragt, aber ich hatte in jeder Hinsicht gelogen. Agatha hatte fassungslos neben mir gestanden. "Sie denken jetzt, dass sie in den Wald gegangen sind! Wieder ein Fall in Wintermoor, der nicht wirklich gelöst wird!"

Ich zuckte mit den Schultern. "Es ist nicht meine Aufgabe, sondern die der Polizei."

Agatha räusperte sich. "Das sind deine Freunde und dir ist scheinbar egal, was mit ihnen passiert ist! Du weißt irgendetwas"

Ich drehte mich zu ihr um, zog mir einen weinroten Kaputzenpulli über, und sah ihr in die Augen. "Ich heul später!"

Der Wald tat sich, wie eine große Wand, vor mir auf. Ich wollte hinein, wollte wissen, ob meine Freunde tot waren. Wollte es mit eigenen Augen sehen. Mir schauderte es wieder, die Wärme aus meiner Körper wich wieder. Der kalte und dunkle Wald machte mir Angst, aber ich ging hinein. Ich glaubte nicht an Übernatürliches, aber ich würde ich nur Antworten bekommen.





Twixt beauty & darknessWhere stories live. Discover now