dreißig

57 7 0
                                    

~Virgilia~

Wie konnte ein Mensch wie ich nur begreifen, dass es unsterbliches Leben gab. Ich hatte Alessandro die ganze Zeit interessiert zugehört und über seine Worte gestaunt. Aber wie in Gottes Namen konnte ein Mann, der zur Zeit der Französischen Revolution gelebt hatte noch heute Leben? Wie?

Am frühen Morgen, der Himmel hatte die Farbe eines hellen Blaus angenommen, kehrten Alessandro und ich zurück. Liviu saß auf der Terrasse und schaute uns an abwartend an.
"Eine schöne Geschichte, Alessandro, die du ihr erzählt hast", begann er gereizt und mir wurde klar, dass er ganz und gar nicht damit einverstanden war, dass ich es nun wusste. "Wenn wir schon einmal Geschichtenstunde haben, erzähle uns doch von deiner Verwandlung!"
Alessandros Blick wurde eisig und starr. Kampflustig blickte Liviu in seine Augen, bereit sich mit seinem Erschaffer anzulegen.
Ich hielt geballt den Atem an. Wie zwei wildgewordene Vampire wohl kämpfen würden? Würde Viel Blut vergossen werden?
"Dir steht es nicht zu, deinen Erschaffer danach zu fragen!", knurrte Alessandro.

Vielleicht sah es nur ich, weil Liviu so etwas nicht sehen konnte, weil er zu aufgebracht oder zu egoistisch war, aber ich glaubte in Alessandros Augen Tränen zu sehen. Eine Verwandlung war mit Sicherheit nicht immer lebensrettend, vielleicht hatte Alessandro durch seine Verwandlung jemand besonderes verlassen müssen. Ich wollte nicht länger zusehen.
"Stop!", befahl ich und tatsächlich hielten beide inne und blicken mich an. "Es reicht. Es tut mir leid, Liviu, dass ich dich nicht vorher gefragt habe. Ich kann verstehen, dass du es nicht wolltest. Und wenn, hättest du mir von deiner Verwandlung erzählen sollen und nicht Alessandro."
Ich warf Alessandro einen vielsagenden Blick zu.
Er seufzte. "Okay, es tut mir auch leid. Es ist deine Verwandlung gewesen und nicht meine."

Ich konnte Liviu ansehen, dass ihm diese Entschuldigungen nicht genügten. Livius Augen fackelten bedrohlich.
"Soll ich dir die Geschichte zu Ende erzählen?", fragte fordernd und ich wollte Nein sagen, er sollte nicht weitererzählen, doch Liviu wartete nicht auf eine Antwort, sondern sprach weiter. "Ich wusste nicht wie mir geschah. Mein ganzer Körper fühlte sich gelähmt an, als ich zum Schafott gebracht wurde. Die Wahrheit war, ich glaubte nicht an das ewige Leben auf Erden. Ich war der festen Überzeugung, ich würde sterben. So hing das Beil nun über mir, bereit zu fallen. Ich blickte auf das ganze Gesindel, das sich an meinem Tod erfreuten. Ich wollte sie alle Tod sehen und als das Beil schließlich fiel, prallte es einfach an meinem Hals ab. Und dann kam die Erkenntnis. Ich war tatsächlich ein Wiedergänger und es durstete mir nach Blut. Zu erst musste der Henker hinhalten, dem ich den Kopf abriss und von dem Blut trank, welches aus seiner durchgerissenen Halsschlagader spritzte. Ich ließ den leblosen Körper fallen und stürzte mich ins Getümmel, schlachtete sie alle ab. Männer, Frauen und Kinder. Kinder, die noch gar nichts verstanden, die nie die Chance hatten sich ihre eigene Meinung zu bilden. Ich glaube das jüngste Kind war drei, ich habe es vor den Augen der schreienden, flehenden Mutter getötet. Alessandro nahm mich schließlich fort. Dieses Ergebnis wurde mit bravur vertuscht, es war wohl ein wildgewordener Mob, der alle getötet hatte. Nein, niemals käme einer auf die Idee, dass es ein einzelner Mann war."
Nicht nur ich hörte mit schmerzverzogener Stimme zu, auch in Alessandros Gesicht spiegelte sich der Schmerz wider.

Danach war Liviu abgehauen und aus irgendeinem Grund vermutete ich ihn außerhalb des Dorfes auf der Wiese. Dort wo ich saß und mit ihnen gesprochen hatte. Alessandro war Zuhause geblieben, die Sonne würde bald aufgehen.

"Du musst nach Hause. Die Sonne geht bald auf!", forderte ich ihn auf, während ich mich neben ihn setzte.
"Das letzte Mal habe ich die Sonne vor 220 Jahren aufgehen gesehen. Es wird Zeit es wieder zu tun", antwortete er tonlos. Er starrte geradeaus auf die Berge, auf deren Gipfel schon das Sonnenlicht funkelte.
"Du wirst sterben!" Es war sinnlos es zu sagen, denn er wusste es.
"Hast du denn gar keine Angst vor mir? Ich gebe dir nie einen Grund mich zu mögen, mir zu vertrauen und doch tust du es", machte er mir klar. Er hatte Recht, ich wusste wer er war und was. Aber dennoch fühlte ich mich ihm hingezogen. Ich fragte mich wie es sich anfühlte von ihr geliebt zu werden. Wie sich anfühlte ihn zu berühren. Ich beugte mich zu ihm, drehte seinen Kopf in meine Richtung und sah ihm in die Augen.
Du hast meine Mutter getötet.
Du hast Benjamin getötet.
Du hast Tori getötet.
Alles Menschen, die mir das wichtigste waren. Aber Liviu, er gar ihren Platz eingenommen. Er und Alessandro.

Und dann tat ich etwas ganz unvernünftiges. Ich sah ihm in die Augen, als ich meine Lippen auf seine presste. Ich küsste einen Mörder, einen eiskalten Killer, ein Monster. Er erwiderte den Kuss, nahm seine Hände und erfasste damit meinen Kopf. Seine starken Hände drückten mich nach unten. Ich ließ es über mich ergehen, das heiße prickeln, welches sich in meinem Körper ausbreitete. Liviu beugte such über mir und küsste meine Wangen, mein Kinn, meine Kehle, meinen Hals.

Ich war dabei meine Seele zu zerreißen.

Twixt beauty & darknessWhere stories live. Discover now