zwanzig

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~Liviu~

Hell, beinahe grell. Ich kniff meine Auge zusammen, da ich sonst nichts gesehen hätte. Die Sonne thronte über mir und warf ihre warmen Strahlen auf meinen eingefroren Körper. Die Wärme berauschte mich, machte mich glücklich.

Ich fasste an mein Gesicht, dorthin, wo ich eben noch die Sonne gespürt hatte. Die Legende war wahr. Ich konnte es nicht fassen.
"Manchmal ist weniger mehr, nicht?", brach Alessandro das Schweigen.
Virgilia sah mich mit weit aufgerissenen Augen an.
"Was hast du gesehen?", fragte sie aufgeregt.
"Die Sonne, ich habe sie nicht nur gesehen, ich habe sie gespürt", antwortete ich erfreut. "Bist du jetzt nicht mehr so kalt?", fragte Virgilia. Sie war naiv, so schnell würde es nicht gehen.
"Das wird wohl noch etwas dauern, aber du hast damit doch kein Problem in Italien Urlaub zu machen und ihm ein paar Mal einen Tropfen deines Blutes zu geben?", fragte Alessandro verschmitzt.
Sie sah ihn eine Weile verträumt an. "Wie ist das nur möglich?"
"Was?", fragte Alessandro.
"Das alles hier? Dass es Vampire gibt, dass mein Blut euch eure Menschlichkeit zurückbringt?"

Da stand sie nun, die Schwangere Frau. Ich konnte sie nicht töten, wieso konnte ich sie nicht töten? Wegen des Babys? Als ob mir das was ausmachen würde, auch diese Frau war einst ein Baby.
"Was sind Sie?", fragte sie wimmernd. Oh, bitte, sie sollte nicht wimmern. Sie sollte kein Opfer sein.
"Hör auf zu wimmern! Ich werde dich nicht töten, dein Körper stirbt schon von ganz alleine!", teilte ich ihr mit. Gut, eine gute Tat für diese Nacht genügte. Ich konnte also gehen...
"Stopp!", rief die Frau. War sie etwa dumm? Ich schäute mich nicht davor, mich wieder umzuentscheiden.
"Ich werde sterben? Aber wieso? Was ist mit meinem Baby?", fragte sie. Aus irgendeinem Grund hatte sie ihre Stärke zurückbekommen.
"Ich habe dich gebissen, du bist infiziert. Das Gift wird dich töten, je unreiner dein Blut desto länger dauert es, dass sich das Gift in deinem Blut ausgebreitet hat. Du hast circa noch zehn Jahre mit deinem Kind!" Ich wusste damals nicht, wieso ich der wildfremden Frau alles erzählt hatte. Ich vermutete, dass ich eine Gefährtin brauchte und sie deshalb am Leben ließ. Noch jedenfalls.
"Wenn du aber länger auf dein Kind aufpassen willst, musst du einfach nur in den Wald kommen. Ich werde auf dich warten!"

Das Baby, ich hatte ganz vergessen, dass dieses Mädchen das Baby war. Wie hübsch sie geworden war. Nur ihre gefärbten Haare gefielen mir nicht.

"Ich gehe jetzt auf die Jagd, pass du solange auf sie auf, Liviu!", legte Alessandro fest und zog sich einen Mantel über.
"Wieso aufpassen?", fragte Virgilia empört.
"Der Geruch deines Blutes wird man noch unten am See riechen können. Er ist so intensiv, dass jeder Vampir seine Fährte aufnehmen könnte!", erklärte Alessandro ihr.
Das schien sie zu verstehen. Sie nickte einverstanden.

"Wie ist es so? Böse zu sein, meine ich", fragte sie mich nach einer ganzen Weile. Sie hatte sie auf die Bank gelegt, während ich an der Hauswand lehnte. Sie schaute in die Sterne und wandte ihren Blick auch nicht ab, als sie mir ihre Frage stellte. "Normal", antwortete ich, ohne groß nachzudenken.
"Word Alessandro jetzt jemanden töten?", fragte sie weiter. "Ich meine, du hast gesagt, dass er alles sei außer böse."
"Alessandro tötet keine Unschuldigen und so wie ich ihn kenne würde er jeden töten, der auch nur einem dieser Dorfbewohner etwas antäte!", erwiderte ich.
"Ich habe noch niemanden getötet", sagte sie schließlich. "Hast du jemanden getötet, als du noch ein Mensch warst?"

Ich presste mein Kiefer zusammen. Dieses Mädchen erweckte Erinnerungen in mir, die ich schon seit Jahren nicht mehr vor Augen hatte.
"Wieso willst du das wissen?", fragte ich sie angespannt.
"Ich will wissen wie du warst, als du noch so warst wie ich."
"Ich war nie wie du. Es waren damals andere Zeiten, in denen ich gelebt habe", antwortete ich verkrampft.
"Wann hast du gelebt?" So lautete ihre nächste Frage.
"Ich sag mal so: Während der französischen Revolution hätte ich beinahe mein Kopf verloren!"

Ich war heilfroh, dass sie das Thema mit ihrer Mutter nicht mehr ansprach. Ich konnte ihr weder die Wahrheit noch die Unwahrheit sagen. Das erste Mal seit der französischen Revolution fühlte ich mich schwach.

"Kannst du dir vorstellen wieder ein Mensch zu sein?"
So langsam ging mir diese Fragerei auf die Nerven.
"Nein und jetzt halt den Mund!"
"Töte unten am See, nicht hier oben im Dorf!", wies Alessandro mich noch einmal daraufhin und ich nickte gehorchend. Ich machte mich auf den Weg zum See, die kleine Stadt hat mir schon immer gut gefallen. Ich setzte mich auf eine Bank und lief danach die Promenade auf und ab. Keiner der vorbeikommenden Menschen schienen angemessen für meinen Appetit zu sein.

"Ich bin gleich zu Hause."
Ich lauschte auf.
"Nein, Mama, mach dir keine Sorgen, hier ist noch nie etwas schlimmes passiert. Ich leg jetzt auf, bis gleich!"

Dunkles Haar, grüne Augen. Sie erinnerte mich an Virgilia und ich wollte nichts sehnlicheres, als Virgilia. Ich erlaubte all meine Sinne meinen Körper zu beherrschen.
Das junge Mädchen kam auf mich zu, ich lächelte es an. Wie alt mochte sie wohl sein? Sechzehn? Vielleicht siebzehn.
"Ist es nicht gefährlich allein nachts durch die dunklen Gassen zu gehen?", fragte ich sie, als sie an mir vorbeigehen wollte.
Sie zuckte zusammen. "Sie klingen wie meine Mutter. Aber genau wie ihr kann ich Ihnen sagen, dass ich keine Angst vor dem schwarzen Mann habe", antwortete sie belustigt.
"Ich bin übrigens, Liviu und nur ein Tourist!", verwickelte ich sie in ein Gespräch.
Sie lächelte erfreut. "Bella und ich wohne hier."
"Mein zu Hause ist nicht so schön wie deines." Ich sah auf den See, er wirkte so malerisch auf mich.
"Ich kann mir auch nich vorstellen woanders zu leben. Aber wenn ich mein Abi in der Tasche habe werde ich erst einmal das Leben genießen. Ich sehe keinen Sinn darin, im Leben nur zu lernen. Ehrlich gesagt habe ich keinen Bock mehr auf dieses Gefühl!", plauderte sie.
"Welches Gefühl?", fragte ich und griff nach ihrer Hand. Sie dudelte es und ließ sich auf den Steg führen.
"Dieses Gefühl eingesperrt zu sein!", antwortete sie. "Was ist Ihr Traum?"
"Ich habe keinen." Meine Stimme hatte jegliche Freundlichkeit verloren. Sie war bedrohlich leise und ich hörte ihr Herz höher schlagen.
"Ich befürchte du hättest das Leben genossen. Wie es scheint hast du um sonst so viel gelernt!" Ich sah den Schrecken in ihrem Gesicht, als ich meine Fangzähne entblößte, mir ihren Körper krallte und sie biss. Ich bohrte meine Zähne tief in ihr Fleisch, öffnete ihre Pulsadern und trank gierig ihr Blut . Die leblose Hülle ließ ich ins Wasser plumpsen.

Auf einmal war es ganz still.

Twixt beauty & darknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt