21. Kapitel

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Lautlos glitt die nächtliche Stadt an mir vorbei. Sanfter Regen prasselte auf die Straße und Tropfen verirrten sich auf die Glasscheibe des Autos.

Nachdenklich verfolgte ich, wie sich vereinzelte Regentropfen einen Weg die Fensterscheibe herunter bahnten. Es wirkte beruhigend auf mich, obwohl es nur eine Kleinigkeit aus dem realen Leben war. Aber genau dieses Leben war mir einige Wochen lang genommen worden. Ersetzt wurde es durch die reinste Hölle.

Wenn ich daran dachte, was Drew mir angetan hatte, verkrampfte sich jeder einzelne Muskel in meinem Körper. Ich fragte mich, wie jemand so grausam sein konnte. Zwar kannte ich die Begründung für seinen Hass auf mich mittlerweile, aber sie rechtfertigte sein Verhalten trotzdem nicht. Er blieb einfach ein Psychopath.

Das Funkgerät knackte und Mike griff mit der freien Hand danach. Mit der anderen lenkte er den Streifenwagen durch die wie ausgestorben wirkende Stadt. Ich saß auf der Rückbank und hing einfach nur meinen Gedanken nach. Nur ganz langsam fiel die Belastung von meinen Schultern ab. Ganz langsam realisierte ich, dass ich wirklich frei war. Das ich bald wieder in meinem eigenen Bett aufwachen würde. Aber so ganz konnte ich es immer noch nicht glauben. Schließlich war dies wochenlang mein Traum gewesen. Und wie oft passierte es, dass Träume in Erfüllung gingen? Genau. Eigentlich nie.

Wo war der Haken? War es vielleicht die Nachricht, die Mikes Kollege ihm durch das Funkgerät mitteilen wollte?
Wollte er ihm sagen, dass sie es nicht geschafft haben, Drew festzunehmen?

Panik schnürrte mir die Kehle zu. Ich würde mich nie wieder raus auf die Straße trauen, wenn er nicht im Gefängnis saß. Schließlich könnte ich ihm überall begegnen. Er hatte mir hinterher spioniert. Er kannte mein Leben, meine Gewohnheiten und die Orte, an denen ich mich aufhielt. Dort könnte er auftauchen. Oder vor meiner Wohnung. Ich würde ihn nie los werden. Er würde mich weiter verfolgen, mir nicht nur schlaflose Nächte bescheren, sondern auch wieder die Tage schrecklich machen.

Dabei keimte langsam die Hoffnung in mir auf, dass es jetzt besser werden würde. Das ich endlich meine Ruhe habe. Endlich wieder glücklich werden kann. Aber ich weiß, wie schwer es werden wird. Es wird kein einfacher Weg, aber ich muss ihn nicht alleine gehen. Schließlich habe ich endlich wieder Tilo an meiner Seite. Ich war nicht mehr alleine. Dieser Gedanke tat wirklich gut.

"Was gibt's?", fragte Mike in die Stille hinein und ich hielt meinen Atem an. Jetzt würde die Antwort kommen, die mein Leben verändern würde. Die Antwort, die mich zurück in das Loch schmeißen oder mir endlich vollständig die Last von den Schulter nehmen würde.

Langsam schloss ich meine Augen. Hörte nur das Geräusch des Motors und den Wind, der gegen das Auto wehte. Außerdem hörte ich meinen eigenen Puls in den Ohren schlagen. Ein Geräusch, welches mir so vertraut geworden war in letzter Zeit.
Meine Muskeln waren angespannt, meine Nerven zum zerreißen gespannt.

Eine Berührung an meiner Hand ließ mich zusammen zucken und ich riss meine Augen erschrocken auf. Sofort zog Tilo seine Hand wieder zurück. Sein verletzter Blick traf mich tief. Ich schluckte hart und schüttelte stumm mit dem Kopf, ehe er die Entschuldigung, zu der er gerade ansetzte, über seine Lippen bringen konnte.

Er musste sich für nichts entschuldigen. Schließlich hatte er nichts falsch gemacht. Es war nicht seine Schuld, dass das alles passiert war. Aber ich weiß, dass er sich insgeheim dennoch die Schuld daran gab. Schließlich war es seine kleine Schwester gewesen, welche Drew als Druckmittel benutzt hatte. Aber er benutze sie nur, um sich an meiner Familie zu rächen. Nicht an Tilos.

Aber das würde er nicht verstehen. Er klammerte sich an dem Gedanken fest, dass ich mich nur wegen Mia auf den Geiselaustausch eingelassen hatte. Wenn ich ihn nie gekannt hätte, dann hätte ich auch nicht versucht, Mia zu retten. Aber genau das war ein Denkfehler. Wenn Drew nicht Mia genommen hätte, dann hätte er eine andere Person benutzt, um mich unbemerkt zu erpressen. Am Ende hätte er immer sein Ziel erreicht und mich zu sich getrieben.

Sacrifice - Don't touch herWo Geschichten leben. Entdecke jetzt