5. Kapitel

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Mit leicht gerunzelter Stirn musterte der Polizist vor uns das Bild, was Tilo ihm gegeben hatte. 
"Und ihr seid euch sicher, dass das..."
"Ja", schnitt Tilo ihm das Wort ab.

Der Polizist nickte leicht und betrachtete das Bild weiter. 
Ohne es anzusehen, hatte ich noch genau im Kopf, was auf dem Bild zu sehen war. Dieses Foto hatte sich in mein Gedächtnis gebrannt, ich konnte an nichts anderes mehr denken. Ich konnte dieses dämliche Foto noch nicht mal mehr selbst anfassen. 

Da wir nicht wussten, was wir nun machen sollten, hatte Tilo während der Fahrt die Nummer angerufen, die ihm einer der Polizisten gab, als sie uns kurz verhört hatten. Jetzt wusste ich, dass die Nummer die des braunhaarigen Polizisten war und dass er Mike hieß. Er hatte einen leicht grimmigen Gesichtsausdruck, schien aber nett und hilfsbereit zu sein. Zumindest kam es mir so vor. 

Ich saß stocksteif auf einem der Stühle, die vor dem großen Schreibtisch standen. Tilo saß auf der Kante seines Stuhls neben mir, Mike versank uns gegenüber eigentlich hinter riesigen Bergen von Aktenordnern. Direkt vor mir auf der Kante stand eine kleine Topfpflanze, die schon mal bessere Zeiten gesehen hatte. Zumindest den Fliegen nach, die mir um die Nase schwirrten und in besagter Pflanze anscheinend ein Zuhause gefunden hatten. 

"Wir müssen davon ausgehen, dass das hier nicht die letzte Nachricht ist, die euch von den Entführern erreichen wird." Mike sah uns eindringlich an und ich bekam eine Gänsehaut.

Ich wusste nicht, wann genau wir ins Du gewechselt hatten, aber es war angenehmer. 
"Aber warum war dieser Brief an mich gerichtet?" Ich war froh, dass meine Stimme einigermaßen gefasst klang, ich fühlte mich nämlich alles andere als gefasst.

Mike musterte mich, als ob er in meinem Gesicht die Antwort auf diese Frage finden würde. Dann sah er kurz zu Tilo und zuckte mit den Schultern.
Ich seufzte, da das nicht so richtig die Antwort war, auf die ich gehofft hatte.

Seufzend lehnte Mike sich in seinem Stuhl zurück.
"Wahrscheinlich hat er euch vorher beobachtet. Mit der Entführung wollte er nicht Mia allein treffen. Sie hatte einen anderen Sinn. Wir wissen nur noch nicht welchen und wer dahintersteckt.
Aber das werden wir noch herausfinden. Erstmal werden wir jetzt dieses Foto untersuchen, vielleicht finden wir ja noch Fingerabdrücke darauf, die uns helfen können." Er erhob sich und ich sah ihn von unten an. Meinte er das wirklich ernst?

Dieser Gedanke, dass die Entführung einen von uns treffen sollte, war höchst beunruhigend. Daran wollte ich gar nicht so genau denken, es war zu verwirrend. 

"Und was sollen wir machen?", fragte Tilo, der sich ebenfalls langsam hingestellt hatte. Auf seinem Gesicht lag ein verwirrter, aber auch aufmerksamer Ausdruck.
"Ihr? Lasst euch nicht von der lästigen Presse tot rennen und nicht entführen." Ernst sah er uns an, dann fing er langsam an zu grinsen. "Ihr schafft das schon. Wenn was ist, ruft an, dann komme ich." Er nickte uns zum Abschied zu und verschwand. 

Ich blieb in seinem Büro wie festgeklebt auf meinem Stuhl sitzen. Erst langsam verstand ich, was er da gerade gesagt hatte. Der Entführer hatte uns vorher also nachspioniert? Was wusste er noch alles von uns? Und wieso wir? Wieso passierte es ausgerechnet uns? Was wollte er damit bezwecken? Ich verstand es nicht.  

"Komm, lass uns gehen", meinte Tilo hinter mir und ich schreckte aus meinen Gedanken hoch. Während ich neben ihm herging, überschlugen sich meine Gedanken, auch wenn mir bewusst war, dass ich eh keine Antworten auf meine Fragen finden würde. Aber trotzdem überlegte ich, wen der Entführer treffen wollte.

Mich, weil er den Brief an mich adressiert hatte? Aber wieso? Oder war es Tilo? Seine Eltern? All das machte keinen Sinn, aber es machte genauso wenig Sinn, dass ich diesen Brief überhaupt bekommen hatte. Und dann wurde er mir auch noch persönlich überreicht.

Sacrifice - Don't touch herWo Geschichten leben. Entdecke jetzt