8. Kapitel

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Die Kinder tanzten mir vor, was wir alles bis zu diesem Moment eingeübt hatten.

Ich sah ihnen zufrieden dabei zu und wippte mit dem Kopf im Takt der Musik. Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass wir noch eine knappe halbe Stunde Zeit hatten. Ich musste mich beeilen, die Choreografie fertig zu bekommen. Es musste etwas einfaches sein, was aber gut aussah und zu einem Blickfang werden würde.

Mein Blick fiel auf Tilo, der mit verschränkten Armen an einer Wand lehnte und mir beim Arbeiten zusah. Er grinste mir ermutigend zu und ich bekam eine Idee. Warum nicht einen kurzen, einfachen Paartanz?

Ich musterte ihn und fing breit an zu grinsen. Langsam erstarrte er, seine Augen wurden groß und rund, die Gesichtsfarbe wich aus seinem Gesicht.
"Nein", flehte er mich fast schon verzweifelt an, aber ich streckte meine Hände in seine Richtung aus.

"Doch, ist auch ganz leicht", beruhigte ich ihn und er kam mit stockenden Schritten auf mich zu.
"Ich hasse dich", flüsterte er mir ins Ohr, sodass es die Kinder nicht hören konnten.
"Ich dich auch", antwortete ich und sah zu ihm hoch. Er sah mich mit einem intensiven Blick an, sodass ich völlig den Faden verlor, was ich eigentlich machen wollte. Er legte mir einen Arm um die Schultern und ich schloss fast schon automatisch meine Augen. Seine Nähe fühlte sich so gut an, so vertraut.

Es fiel mir schwer, meine Fassade aufrecht zu erhalten. In meinem Hinterkopf spukte immer der Satz, der auf den zerrissenen Briefen gestanden hatte. Keine Polizei, das wird Konsequenzen haben. Aber für wen? Für Mia? Für uns? Ich wusste es nicht, aber die Ungewissheit machte mich wahnsinnig.

Nur noch eine halbe Stunde, redete ich mir selbst Mut zu. Nur noch eine halbe Stunde, dann könnte ich offen mit Tilo über die Briefe reden. Wir könnten wieder herumspekulieren, was passieren würde. Aber am Ende würde nichts dabei rumkommen, das wusste ich auch.
Nur noch eine halbe Stunde...

Entschlossen öffnete ich meine Augen. Ich stellte die Kinder immer zu zweit zusammen, erklärte und zeigte dann mit Tilos Hilfe, wie die nächsten und glücklicherweise auch letzten Schritte getanzt wurden. Tilos Hilfe war wirklich umwerfend, er ließ sich wie eine Puppe von mir hin und her schieben, protestierte aber nicht, auch wenn er sich hinhocken sollte. Von dort aus sah er dann mit einem abwartenden Hundeblick zu mir hoch und ich musste mich zusammenreißen, um ernst zu bleiben.

Eine halbe Stunde später stand ich als nervliches Wrack im Eingangsbereich der Tanzschule und sah erleichtert dabei zu, wie die Kinder von ihren Eltern abgeholt wurden. Ich schüttelte ein paar Hände und unterhielt mich mit einigen Leuten, ohne zu realisieren, was ich eigentlich sagte. Die Kinder wirkten aufgeregt aber auch langsam müde, was ein gutes Zeichen war. Ihre Augen strahlten vor Begeisterung, was mich beruhigte.

Die Eingangstür öffnete sich wieder einmal und der Polizist Mike trat herein. Durch seine Uniform zog er direkt alle Blicke auf sich, sorgte aber gleichzeitig dafür, dass sich die restlichen Eltern mit ihren Kindern in einem beschleunigten Tempo auf den Weg nach Hause machten.

Sein Blick schweifte suchend in dem Raum umher. Er fand Tilo und mich, hielt sich aber abseits und wartete, bis er uns allein zu sprechen bekam. Wie in Trance verabschiedete ich die letzten Kinder und dirigierte sie zur Tür heraus. In meinem Kopf herrschte eine unglaubliche Leere, ich wollte nicht darüber nachdenken, was Mikes Erscheinen zu bedeuten hatte. Hatte der Entführer die Drohung mit der Konsequenz etwa schon wahr gemacht?

Inzwischen hatte Mike unsere Briefe von dem Entführer gefunden und machte davon ein Foto. Er wirkte nicht sonderlich überrascht, sie vorzufinden. Tilo gesellte sich zu ihm und ich ging auch herüber, als ich die Tür hinter der letzten Geburtstagsfamilie geschlossen hatte. Im Vorbeigehen sah ich zu Claire in den kleinen Tanzsaal, aber sie war mit ihrem Tanzkurs beschäftigt.

Sacrifice - Don't touch herWo Geschichten leben. Entdecke jetzt