Kapitel 1

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PoV. Tim

Die Sonne war bereits aufgegangen, als mein Wecker mich unsanft aus dem Schlaf riss. Ich öffnete die Augen, schloss sie kurz darauf jedoch wieder, um den Sonnenstrahlen, die mich blendeten, noch einen Moment zu entkommen. Ab jetzt war ich Schüler eines Internates. Am vorigen Abend brachten meine Eltern mich her, angeblich war es besser für mich, ich sollte zur Ruhe kommen. Ich sollte mich selbst wieder finden und meine ehemalige Freundin vergessen, die sich vor sieben Wochen das Leben genommen hatte. Ich und Cata waren zwei Jahre zusammen, hatten so gut wie nie Streit, wir liebten uns. Cata war die Frau, mit der ich mein restliches Leben verbringen wollte. Doch dieses gemeinsame Leben fand ein viel zu frühes Ende. Ich fand sie in der Wohnung ihrer Eltern, doch da war es schon zu spät, sie war schon tot. Seit diesem Tag war ich zu nichts mehr zu gebrauchen, ich verließ das Haus nicht mehr, ich aß nicht mehr, ich sprach mit niemandem. Nun sollte ich, laut meinen Eltern, in diesem Internat wieder zu mir finden. Ich schwang seufzend meine Beine aus dem Bett und fuhr mir mit der Hand durch meine braunen Haare. Nachdem ich mir frische Kleidung aus dem kleinen Holzschrank genommen hatte, ging ich ins Badezimmer und stieg unter die Dusche. Einen Zimmernachbarn sollte ich heute auch noch bekommen, worauf ich allerdings lieber verzichten würde. Ich hatte zurzeit nicht das Bedürfnis Kontakte mit meinen Mitmenschen zu pflegen, geschweige denn neue zu knüpfen. Meine Finger tasteten nach einem Handtuch und griffen danach, als ich es erfühlt hatte. Ich trocknete mich flüchtig ab und zog mich an. Mein Blick im Spiegel wirkte niedergeschlagen und meine Augen waren matt, traurig. Ich zwang mir ein Lächeln auf und verließ das Zimmer. Mit einem Knacken verschloß ich die Tür und wandte mich in Richtung der Treppe, die zur Aula führte. "Hey, du musst Tim sein!" riss eine Stimme mich aus meinen Gedanken. Erschrocken drehte ich mich um und nickte nur. "Ich bin Stegi! Unser Klassenlehrer, Herr Richter, hatte erzählt, dass du in unsere Klasse kommst und das Zimmer gegenüber von uns kriegst." - "Von uns?" Stegi nickte und deutete mit dem Kopf auf die Tür, die hinter ihm gerade aufschwang. Hinter ihm erschien ein Junge mit braunen Haaren, der mich freundlich anlächelte. "Rafi" sagte er und hielt mir die Hand hin. Ich versuchte zurück zu lächeln und gab ihm ebenfalls die Hand. "Tobi kommt zu dir ins Zimmer", sagte der blonde Junge. Ein zögerliches Nicken war allerdings alles, was ich erwiderte.
Ich wusste ohnehin nicht, wer dieser Tobi war. "Kommst du direkt mit zur Klasse? Dann können wir dir schon alle vorstellen.", bot mir Stegi an und fuhr sich durch die Haare. " Ja, klar." antwortete ich und folgte Stegi zum Klassenzimmer. "Rafi geht noch zum Frühstück, ich krieg um die Uhrzeit allerdings noch nichts runter." informierte mich Stegi. Ich stimmte ihm zu, genau so ging es mir auch. Im Klassenraum angekommen, begann Stegi einen Haufen Namen zu erwähnen, von denen ich allerdings nicht einmal die Hälfte behielt. Seufzend ließ ich mich anschließend auf den Stuhl neben Stegi fallen. "du wirst dich schnell eingewöhnen, wirst schon sehen." meinte er aufmunternd. Ich war mir nicht so sicher, wie er. Wenige Minuten später betrat unser Klassenlehrer Herr Richter den Raum und bat mich nach vorn, um mich vorzustellen. Zögernd begann ich:"Ich heiße Tim, bin 17 Jahre alt und wohne eigentlich in Essen." Mehr fiel mir schließlich auch nicht ein. Über mich gab es nicht besonders viel zu erzählen. Stegi grinste mich von seinem Platz aus an, bis Herr Richter mir endlich erlaubte, wieder zu meinem Platz zu gehen. Sobald man vor einer Klasse stand, kam einem jede Minute vor wie eine ganze Stunde. Ich sackte auf dem Stuhl zusammen und spürte ein freundschaftliches Klopfen auf meiner Schulter. Während dem eher mäßig interessantem Unterricht, zeichte ich auf meinem Collegeblock. Ich spürte Stegis Blicke, sowohl auf mir, als auch auf der Zeichnung. Je mehr Zeit verging, desto klarer war das Gesicht meiner Freundin zu erkennen. Mit jedem Bleistift Strich den ich zog, kam ein weiteres Detail von ihr zum Vorschein: Ihre Grübchen, wenn sie lachte; ihre kleinen Locken am Haaransatz, über die sie sich furchtbar aufregen konnte; ihr fabelhaftes Lachen. "wer ist das?" unterbrach Stegi schließlich sowohl mein Zeichnen, als auch meine Gedanken. "Meine Freundin.." flüsterte ich zurück. "Oh.. Du vermisst sie sicher, oder? So weit von zuhause weg, wenn die Freundin daheim wartet, das ist doch super ätzend, oder?" - "Sie wartet nicht. Zumindest nicht zuhause. Sie ist tot." - "shit." War das einzige, was Stegi noch über die Lippen brachte. Ich wollte nicht mit ihm darüber sprechen und er schien mich nicht danach fragen zu wollen. Entweder weil es ihn nicht interessierte oder weil er mir Zeit lassen wollte, bis ich auf ihn zu kam. Das würde die Zeit zeigen. Es klingelte. Ich erhob mich von meinem Platz und ging langsam raus, dicht gefolgt von dem etwas kleineren, blonden Jungen. Vor der Tür wartete Rafi in Begleitung eines anderen Jungen. Das musste wohl dieser Tobi sein. Nachdem wir einander vorgestellt wurden, gingen wir auf den Schulhof. Mit dem würde ich also ab heute das Zimmer teilen. Fragt sich lediglich, wie lange. Ich hatte nicht vor lange auf diesem Internat zu bleiben. Ich wollte so schnell wie möglich wieder nach Hause. Nur dort fühlte ich mich ein wenig verbunden mit Cata. Nur zuhause spürte ich ihre Anwesenheit.

Was machst du nur mit mir? | Stexpert FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt