Kapitel 60 - Qual der Wahl

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Wie in einer Art Zeitlupe prasselten die Bilder vor mir auf mich ein. Damiens wutverzerrtes Gesicht, die angespannten Muskeln am ganzen Körper und der Ausdruck in seinen Augen, der mich kühl durchzuckte. In ihnen stand blanke Verabscheuung. Schon wieder versetzte mir die Frage, was zwischen den beiden vorgefallen war, einen Stich. Wie grausam musste das Ereignis gewesen sein, dass jeder Funken Bruderliebe aus den Herzen der beiden erloschen war?

Erst kurz bevor Damien uns erreichte - ich war mir sicher, es waren nur ein paar Wimpernschläge - stieß mich Alec gewaltig von sich, sodass ich unsanft gegen den naheliegenden Baum prallte. Mein Schädel pochte nahezu gleichzeitig mit dem Aufprall und erst als ich die dicke Flüßigkeit an meinen Fingern, an meinen Kleidern und an der Baumrinde spüren konnte, fiel mein Blick auf den Biss an meinem Arm. Alec hatte seine Zähne zwar nur vorsichtig darin vergraben, doch trotzdem waren die Konturen durch das viele Blut nicht mehr zu erkennen. Ich presste vergeblich meine Hand auf die Wunde um erneut die Blutung zu stoppen, doch mit dem eingebundenen Arm fiel es mir noch schwerer als üblich. Alles an meinem Körper brannte und schrie vor Schmerz und so war alles was ich tun konnte, es zu zulassen. Ich spürte den Schmerz, ich fühlte ihn in jedem Muskel, in jedem Knochen und tat es meinem Vater gleich. Um mich nicht noch weiter zu schwächen, ließ ich mich langsam, entlang des Baumstammes, nach unten gleiten, bis ich das Unterholz und das Moos unter meinen Beinen spürte.

Derweilen waren Alec und Damien, soweit ich das durch meine leicht verschwommene Sichtweise einschätzen konnte, in die von Alec bewusst angestachelte hitzige Revanche verwickelt. Der Erdboden zitterte unter ihren Bewegungen und mein Herzrhythmus tat es ihm gleich.

Ich warf einen Blick auf meinen Vater, doch er hatte die Augen geschlossen und ich befürchtete sofort, er sei ohnmächtig geworden. Hatte er weitaus schlimmere Verletzungen als es zunächst schien? Mit jeder Sekunde, die ich meinen Vater betrachtete, bemerkte ich den Stich in meinen Herzen etwas mehr und meine Wut auf Tyler wurde unentwegt verstärkt. Wie konnte er sich einfach so aus dem Staub machen? Ich wollte mich erheben und meinen Vater wachrütteln. Ihm sagen, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis wir endlich von diesem scheußlichen Ort fliehen können. Ich wollte ihm sagen, dass alles gut wird. Aber ich konnte nicht.

Erstens, weil meine Beine, mein Körper und mein Geist viel zu schwach waren um mich um etwas anderes zu kümmern, als die entsetzlich starke Blutung an meiner Hand und meinem Arm zu stoppen.

Und zweitens, weil - nachdem ich einen kurzen Seitenblick auf den erbarmungslosen Kampf geworfen hatte - es so aussah, als würde es alles andere werden als gut.

Laub und Staub wurde aufgewirbelt als Damien Alec auf die Seite schleuderte und dieser dumpf gegen einen der starren Baumstämme prallte. Er hielt eine Hand an seinen Hinterkopf, der mit Sicherheit zertrümmert gewesen wäre, hätte Alec nicht dieses kleine gewisse Etwas an Übernatur.

Blut klebte an der Kleidung von Beiden und nun floss die rote Flüßigkeit auch über Alec's gesamten Arm, der zur Hälfte von einer pechschwarzen Jacke verdeckt war. Damien stand mit dem Rücken zu mir, doch Alec's Blick fixierte mich unausweichlich. Ein angenehmes Ziehen erreichte meinen Leib und meine Wangen glühten, ehe ich mich überhaupt fragen konnte wieso. Seine Miene war kalt, ausdruckslos und hatte so etwas...tiefsinniges, dass meine Sinne vernebelte. Der Moment, in dem unserer Blicke sich trafen, ging so schnell vorbei, dass ich verwirrt den Kopf schüttelte.

Ein kalter Windhauch rüttelte an meinen Kleidern und meine Zähne klapperten beinahe automatisch in der kühlen Abendluft. Der Mond erleuchtete die Lichtung in trübem Schein und ich konnte den Atem von jedem von uns in ungleichmäßigen Wolken, fast wie Rauch beim Aufsteigen zu sehen.

Ich richtete mich wieder ein wenig auf, da meine Beine zur Seite weggekippt waren und stöhnte geschwächt auf.

Mit den Händen strich ich über das grüne, weiche Moos unter mir und genoss den Anblick der zarten, unschuldigen Pflanze. Ein Rascheln im Unterholz erlangte meine Aufmerksamkeit zurück, doch da hatte ich ihn schon verpasst. Ich hatte den Augenblick verpasst, der alles ändern sollte. Der Augenblick, der der Auslöser für alles war, was folgte.

DARK BLOODWhere stories live. Discover now