Kapitel 19 - schmerzliche Wahrheit

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Voller Erwartung musterte ich jede seiner geschmeidigen Bewegungen. Es hatte mich so viel Überwindung gekostet, die Worte laut auszusprechen, sodass ich eine Enttäuschung nicht so leicht verkraften würde. Betreten blickte er auf den Boden und trat fast unmerklich ein paar Schritte zurück.
"Das, das... Zoey. Ich...", ich konnte beobachten wie er innerlich mit sich selbst rang.
"Bitte. Ich muss es nur ein einziges Mal aus deinem Mund hören.", ich hatte alles in dieses eine Versprechen gelegt, wenn er mich nun zurückweisen würde, könnte ich das nicht ertragen. Es war meine einzige Rettung, meine einzige Hoffnung auf Sicherheit, Beständigkeit. Niemand anderes konnte sie mir schenken. Niemand anderes verstand mich. Nicht einmal mein Plan, Sophie alles zu erzählen, war aufgegangen. Ich sollte es scheinbar als Warnung ansehen, dass ich auf dem Weg zu ihr fast gestorben wäre. Ein Kälteschauer durchzog mich, obwohl meine Jacke eng an meiner Haut anlag.
Er blickte mir in die Augen und es schien als hätte er seine Fassung wiedererlangt, ehe er leise flüsternd erwiderte:
"Ich werde nicht verschwinden. Nicht solange du nicht in Sicherheit bist."

Es war zwar nicht die Antwort, die ich mir erhofft hatte, aber immerhin ein Anfang. Ich war definitiv nicht in Sicherheit, das stand nach dem heutigen Abend fest, aber andererseits wollte ich mich nicht wie ein hilfloses Kind fühlen, dass sich nicht selbst zu verteidigen wusste. Er sah in mir nur die zaghafte, schüchterne Zoey, nicht jedoch mein starkes, neues Ich, das einiges in den letzten Tagen ertragen musste. Das hatte mich stark gemacht.
"Danke. Für alles." Ich schenkte ihm ein aufrichtiges Lächeln, doch mir war nicht nach Freude zumute. Die akute Anhäufung meiner weiblichen Hormone bei seinem Anblick verblasste allmählich und die Erinnerungen an die Erlebnisse der vergangenen Stunden holten mich wieder ein. Meine Beine wurden wacklig und nur mit Mühe konnte ich Tränen unterdrücken. Kupferfarbenes Haar und ein höhnisches Grinsen tauchten vor meinem inneren Auge auf und ich zuckte zusammen. Um mich herum schien alles zu verschwimmen und ich drohte das Gleichgewicht zu verlieren. Damien legte mir stützend einen Arm um die Schulter, was ich mit einem dankbaren Blick quittierte. Als ich mich einigermaßen wieder gefangen und die Bilder aus meinem Kopf verdrängt hatte, legte Damien einen Finger unter mein Kinn, sodass ich ihn ansehen musste. Meine Augen waren feucht und gerötet, weshalb wieder der sorgsame Blick in seine Augen trat.
"Was ist los?", fragte er einfühlsam und strich dabei sanft durch mein Haar.

"Nichts es...es ist nur... du weißt nicht was ich durchmachen musste seit du weg warst. Das alles..."
"Das weiß ich eigentlich schon." , er setzte einen resignierten Gesichtsausdruck auf und ein seltsames Gefühl machte sich in meinem Körper breit. Hatte er mich etwa die ganze Zeit über beobachtet? Vermutlich schon, wobei ich mir nicht sicher war ob ich den Gedanken mochte oder nicht. Er hatte mitangesehen wie ich gelitten hatte, Tag für Tag und dennoch nichts unternommen? Ein Anflug von Wut stieg in mir auf, den ich nur schwer unterdrücken konnte. Ich hätte es wissen müssen.
"Wie konntest du nur...", ich wollte ihm die alles entscheidende Frage stellen, wieso er mich überhaupt verlassen und allein zwischen all den Trümmerhaufen zurückgelassen hatte, doch er ließ mich überhaupt nicht zu Wort kommen. Stattdessen packte er mich am Arm und sagte entschlossen:
"Komm. Es gibt viel zu besprechen." Er machte eine Pause und sah sich nachdenklich und angespannt zugleich um. "Allerdings nicht hier."

Ehe ich mich versah, standen wir vor meiner Haustür. Die Fenster waren dunkel, doch die Vorstellung, welchen Ärger ich bekommen würde, weil ich so lange weg gewesen war, machte mir große Sorgen. Ich kaute auf meiner Unterlippe, als mir Damien die Schlüssel aus der Hand nahm und ihn so leise wie möglich in der Tür umdrehte. Während seine Finger meine berührten, verspürte ich ein warmes Zucken durch meinen ganzen Körper, doch es war so schnell verschwunden wie es gekommen war. Damien stütze mich behutsam mit der Hand, jedoch bemerkte ich, wie er krampfhaft versuchte mir nicht allzu nahe zu kommen. Es verletzte mich auf eine seltsame Art und Weise, dass er mich scheinbar nicht sehr vermisst hatte. Der Flur war stockdunkel und ich warf Damien einen warnenden Blick zu als er Anstalten machte, den Lichtschalter zu betätigen. Für eine Moralpredigt war ich derzeit einfach nicht in Stimmung.
Wir schlichen leise über die kühlen Fließen, ehe ich Damien einen Blick über die Schulter zuwarf. Er sah sich um, als wäre er noch nie zuvor hier gewesen, dabei war es gerade mal ein knappes Jahr. Ich nahm reflexartig seine Hand und unsere Blicke kreuzten sich. Er zog sanft ein paar Kreise um meine Finger, schüttelte dann aber leicht den Kopf und entzog sich meinem Griff. Zugern würde ich wissen, was in seinem Kopf vorging. Ob er es vermisst hatte? Sein altes Leben? Mich? Anscheinend nicht, denn er wollte nicht einmal meine Hand halten, nachdem ich fast gestorben war. Es versetzte mir einen tiefen Stich in meinem Herz und ich dachte an die drei kleinen Worte, die er bei seiner ersten Rückkehr gesagt hatte und an den Kuss. Was hatte sich seitdem geändert? Ich schlug mir den Gedanken aus dem Kopf, bevor wir mein Zimmer betraten.

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